#frauengeblaetter – ein Leserückblick auf den November

Und Schwupps, da ist ein Monat schon wieder vorbei. Wie gestern kommt es uns vor, dass wir euch in unserem #herbstgeblaetter die, unserer Meinung nach, besten Herbstbücher vorgestellt haben. Das wurde übrigens auch der Startschuss zu einer neuen Routine von uns, denn wir wollen euch ab sofort monatlich mit unseren Couchgeflüster-Beiträgen einen Rückblick auf unsere vorgestellten Bücher des Monats geben. Kein Muss, aber da kann es weiterhin zu thematischen Schwerpunkten kommen, wie in diesem Monat: Denn wie der Zufall es so will, haben wir ein paar tolle Vorschläge in petto und das Besondere daran: Alle wurden von Frauen geschrieben!

Über Frauen in der Literatur

FRAUENLITERATUR“ von Nicole Seifert im KiWi Verlag (Luise)

Dieses Sachbuch ist einfach perfekt, um unseren Lesemonat mit vielen tollen Autorinnen einzuläuten! Denn es trägt zur Strahlkraft von Frauen in der Literaturwelt bei. Zudem haben Aline und ich diesen Monat an der Lesung bzw. Diskussion zu dem Buch von der Buchhandlung Stories Hamburg teilgenommen:

Schnell noch Nudeln kochen und sich dann gemütlich mit dem Laptop von zu Hause einklinken. Ich erhasche einen Blick auf die anderen Teilnehmer:innen. Neben einigen bekannten Gesichtern sehe ich vor allem Aline. Wir schauen „zusammen“ zu, wenn auch von unterschiedlichen Plätzen – wie man das so macht in Corona-Zeiten. Obwohl wir uns sehr darauf gefreut haben, live dabei zu sein, ist die Online-Variante aktuell umso vernünftiger und nach einem langen Arbeitstag auch gar nicht so verkehrt. Und ich muss sagen, obwohl wir beide schon recht platt sind und es eine fachliche Diskussion ist, sind wir beide gebannt. Die Harmonie zwischen dem Moderator Frank Menden und der Autorin Nicole Seifert spürt man. Und noch dazu ihre Leidenschaft zu dem Thema: Sichtbarkeit von Autorinnen in der zeitgenössischen Literatur und weshalb die Literatur von Frauen häufig als nicht so wichtig eingestuft wird oder anders: Warum wird der Kanon wesentlicher Literatur, z.B. in Schulen oder an der Uni oder in Literaturkreisen vor allem von Männern bestimmt? Auch in meinem Bücherregal stehen bei den Klassikern nur wenige Frauen. Und warum gibt es wiederum sogenannte „Frauenliteratur“, aber keine Männerliteratur? Nicole gibt in dem Buch einen geschlichten Einblick, aber auch in die bestehende Forschung und warum diese wiederum auch nicht nur von Frauen bestimmt sein muss. Eine schöne Lesung und ein erhellendes und wichtiges Buch, welches sich so gut wegliest!

Eine Frau, auf der Suche nach dem Sex ihres Lebens:

„Der Sex meine Lebens“ von Anonyma im Ullsteinbuchverlag (Aline)

Wie fange ich nur diese Rezension an? „Der Sex meines Lebens“ ist kein pornografischer Roman, auch wenn einige Stellen sehr explizit sind. Ein Liebestagebuch ist es jedoch auch nicht. Vielmehr ist es das Erinnern einer Frau, die in der Blüte ihres Leben steht und noch einmal auf die Suche geht, nach einem Gefühl des Begehrens und der Lust, aber auch der Enttäuschungen und Überforderungen. Gefühle, die Sex in ihrem bisherigen (Liebes-)Leben ausgelöst haben. “ „Ich will noch einmal wirklich guten Sex haben“ sagt eine Frau in der Mitte ihres Lebens.“ Und so begibt sich die anonyme Autorin auf eine Reise durch ihre Erinnerung in drei Akten. Im ersten Akt erlebt sie ihre erste Annäherung an Jungen, den ersten Kuss und die erste Beziehung. Im zweiten Akt, im Alter von 20 bis 30 probiert sie sich aus, wechselt Beziehungen und Partner, bis im dritten Akt ihr Liebesleben zur Ruhe kommt. Sie bekommt ein Kind, heiratet und lässt sich wieder scheiden. Lernt einen neuen Partner kennen und ist dann an dem Punkt angekommen, wo sie darüber nachdenkt, was Sex für sie persönlich eigentlich ausmacht. Über 50 Jahre des Suchens nach dem Höhepunkt, ablegen von Performancedruck und Erwartungshaltungen. „Und ist Sex wichtig? Ja. Weil mein Leben in meinem Körper stattfindet. Er ist das Instrument, er wird zur Landkarte, er ist das Vehikel durchs Leben, und es kann vorkommen, dass wir auf der selben Welle surfen.“ Vielleicht ist der Roman eine andere Art der Aufklärung? In jedem Fall ist es ein mutiger Roman einer mutigen Autorin, die tief und ehrlich in ihr Liebesleben blicken lässt. Ehrlichkeit, die abseits von allen romantischen Vorstellungen dringend notwendig ist und durch Bücher wie „Sie hat Bock“ von Katja Lewina und jetzt „Der Sex meines Lebens“ von Anonyma geradegerückt wird.

Eine Frau, auf der Suche nach ihrer Herkunft:

„Auf Basidis Dach“ von Mona Ameziane im KiWi Verlag (Luise)

Mona, Journalistin und Moderatorin der Büchersendung „Stories“ auf WDR 1Live ist im Rheinland geboren. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater kommt ursprünglich aus Marokko. Als Kind entgegnete sie einmal einem Animateur in einem Hotel, auf die Frage nach ihrer Herkunft, mit den Worten: „Ich komme aus halb Marokko und aus halb Deutschland.“ Damals erntete sie zwar Lacher, aber genau so hatte sie es empfunden, für sie waren ihre zwei Heimaten zum einen selbstverständlich. Zum anderen ist sie vor allem in Deutschland aufgewachsen. Monas zweite Heimat, Marokko, hat sie insbesondere mit Familienurlaub verbunden. Je älter sie wurde und damit auch die Suche nach der eigenen Identität begann, kamen immer mehr Fragen auf, wie: Welcher Kultur fühlt sie sich am nächsten? Und warum sind Gott und Allah eigentlich genau das Gleiche und gleichzeitig überhaupt nicht? Warum scheint sie in Deutschland auf Partys mit einem Limobier eine Spießerin zu sein, aber in Marokko wiederum eine Draufgängerin? Sie teilt ihre Emotionen, aber auch ihre Gedanken mit den Leser:innen. Es ist ein persönliches, aber auch lehrreiches Buch. Link zur ausführlichen Rezension

Eine Frau, die ihre Herkunft anklagt:

„Nur eine kleine Insel“ von Jamaica Kincaid im Kampa Verlag (Aline)

Alles andere als romantische Urlaubsgefühle kommen mir beim Lesen von Jamaica Kincaids Essay „Nur eine kleine Insel“ auf. Es sind vielmehr die Ambivalenzen von Beobachtungen, mit denen die Autorin spielt. In dem Touristen, welcher ihr Heimatland Antigua besucht, sieht sie eine weiße Person aus Nordamerika oder Europa. Sie erkennt an, dass dieser womöglich hart arbeiten musste, um sich die Reise zu ermöglichen. Jedoch nimmt sie auch an, dass dieser Tourist sich nicht für das Land und seine Menschen interessiert, sondern nur Erholung an den wunderschönen weißen Sandstränden sucht. Antigua ist Mitglied des Commonwealth, und lange Zeit wurde die Bevölkerung von Kolonialmächten unterdrückt. Und in der Neuzeit sind die vermeidlichen Unterdrücker nicht mehr die Kolonialherren, sondern die eigenen Mitmenschen. Korrupte Politiker, die sich an der Armut der Bevölkerung bereichern und ihren eigenen Reichtum vergrößern, anstatt die Armut der eigenen Bevölkerung zu reduzieren. Jamaica Kincaid wirbt in ihrer Streitschrift für den Blick hinter die Kulissen des Antiguas, welches der Tourist sieht. Und sie wirbt bei Ihren eigenen Mitmenschen dafür, ihre Lethargie abzustreifen und sich aufzubegehren, gegen die Unterdrücker. Mir kommen immer wieder neue Gedanken, wenn ich das Buch lese, mit so vielen Themen werde ich auf rund 100 Seiten konfrontiert. Sei es die Auseinandersetzung mit der Natur der karibischen Insel. Sei es das Hinterfragen der Dinge als Tourist in dem Land, welches ich besuche. Das öffnen der Augen für die Missstände und das Wandeln auf den wirklichen Straßen des Landes und nicht nur hinter der von Mauern umgebenen Ferienanlage. Über all dem schwebt das Erbe der Kolonialmächte, die ein wirtschaftlich und emotional ausgeblutetes Land zurückgelassen haben. Und mehrere Jahrzehnte später wird dieses wunderschöne Land weiter ausgeblutet. Sei es von den Touristen oder den herrschenden Mächten. Als Leserin fragen ich mich, wie soll das noch weiter gehen? Link zur ausführlichen Rezension.

Eine Frau auf der Suche nach der Zeit

„Lassen Sie Ihre Zeit nicht unbeaufsichtigt“ von Christiane Stenger im Campus Verlag (Luise)

Warum ist dieses Jahr gefühlt so schnell vergangen und habe ich die Zeit ‚gut‘ genutzt? Fragen, die man sich gerne zum Jahresende hin stellt, aber vor allem auch jetzt in der Pandemie-Zeit. Dabei hat 2021 genauso 365 Tage. Es gibt Tage, da fehlt uns die Zeit an allen Ecken und Enden, obwohl jeder Tag 24 Stunden hat. Mal vergeht die Zeit so langsam, sodass sich 15 Minuten im Wartesaal wie Stunden anfühlen. Ein anderes Mal rennt sie davon, zum Beispiel bei einem schönen Ausflug mit Freunden. Rückblickend wiederum scheint es genau umgekehrt: die Wartezeit beim Arzt wird schnell vergessen. Die Abenteuer mit Freunden hingegen waren so ereingisreich, dass man denkt: Das waren wirklich nur so wenige Stunden oder Tage, die wir zusammen verbracht haben? Warum nehmen wir die Zeit so unterschiedlich wahr? Und was ist Zeit überhaupt? Christiane Stenger gibt mit ihrem Buch „Lassen Sie Ihre Zeit nicht unbeaufsichtigt“ Antworten. Die Gedächtnisweltmeisterin und Autorin begibt sich ins „Uhrwerk“ unseres Gehirns, um das abstrakte Phänomen zu ergründen, Zeit ist nämlich vor allem ein Konstrukt unseres Gehirns. Christiane zeigt unterhaltsam und alltagsnah, wie unser Zeitgefühl entsteht, wie es sich auf unser Leben auswirkt und wie wir es bewusster wahrnehmen und beeinflussen können. Was das mit unserem inneren Faultier oder Chamäleon zu tun hat? Das sind lustige Bilder, die Christiane verwendet, um die naturwissenschaftlichen Aspekte verständlich zu erklären. Sie beschäftigt sich schon lange mit Hirnforschung und liefert nicht nur überraschende Einsichten und gut recherchierte Fakten. Sie schafft es auch, die Zeit durch zahlreiche Selbsttests begreifbar zu machen. Vielleicht ein erstes mögliches Weihnachtsgeschenk für die Dauergestressten unter euren Liebsten? Oder aber etwas für Neugierige und Wissenschaftsbegeisterte!

Eine Frau, die mit ihrer Familie auf der Flucht ist

„Das Flüstern der Feigenbäume“ von Elif Shafak im Kein & Aber Verlag (Aline)

Was würdest du in einem Koffer mitnehmen, wenn du dein Land verlassen und nie mehr zurückkehren könntest? Define und Kostas haben den Steckling eines Feigenbaums dabei, der in ihrer neuen Heimat London eine tragende Rolle und eine der erzählenden Perspektiven des Romans „Das Flüstern der Feigenbäume“ von Elif Shafak einnimmt. Zuvor treffen die beiden sich heimlich unter den Blättern des Feigenbaums in einer Taverne auf Zypern im Jahr 1974. Sie ist Türkin, er ist Grieche. Und durch die Spannungen zwischen den beiden Kulturen, über die sich bald ein Bürgerkrieg entlädt, müssen die Treffen im verborgenen stattfinden. Trotz der Wirren der Zeit findet der Feigenbaum, Define und Kostas und ihre gemeinsame Tochter Ada ein neues Zuhause in London. Einige Jahre später muss die inzwischen 16-jährige Ada den Tod ihrer Mutter verkraften und beginnt über ihre Herkunft, ihre Kultur und das Schweigen der Familie, insbesondere das ihres Vaters Kosta nachzuforschen. So beginnt sich das Puzzle der Zeit langsam zusammenzufügen. Jeglicher Versuch meinerseits, dieses Buch angemessen zu würdigen, wird wohl ein Fehlschlag. Denn detaillierte Beobachtungen, die schöne Erzählweise und die Verknüpfungen der Erzählstränge muss jede:r selbst gelesen haben, um die Kraft und Einzigartigkeit dieses Buches zu verstehen. Alles findet seinen Platz: eine Jahrzehnte überdauernde Liebe, Mythen und Legenden, der Klimawandel und seine Auswirkungen, Krieg und Leid, Flucht und Migration. All das eingewoben in ein Buch, das über mich dahin fegte wie ein schöner Sturm.

Fazit

Mit großen Schritten verabschieden wir den Herbst so langsam in seinen Winterschlaf und begrüßen bald den Winter, der bereits mit sinkenden Temperaturen und Schnee in manchen Teilen Deutschlands anklopft. Aber auch die Adventskalender, die bald geöffnet und die Kerzen, die jeden Adventssonntag angezündet werden wollen, machen Lust auf die Winter- und Weihnachtszeit. Vielleicht sind bei unseren Tipps ja erste Weihnachtsgeschenkideen dabei gewesen?

Diesem Beitrag liegen, neben selbstgekauften Büchern, auch Rezensionsexemplare zugrunde. Wir bedanken uns bei den Verlagen für die Zusendung.

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