Eine Frau im 20er-Jahre-Stil – mit kurzen, dauergewellten Haaren, einer edlen, transparenten Bluse und einer Perlenkette sowie mit ausdrucksstark geschminkten Augen – lehnt sich an einer Wandfassade und schaut gedankenverloren nach unten. Alles in gedeckten Weiß-, Grau- und Schwarztönen. Im Hintergrund sticht daher das berühmte Bild von van Gogh, die „Sonnenblumen“ mit kräftigen, leuchtenden Gelb- und Blautönen unmittelbar ins Auge. Durch das Cover lässt sich bereits erahnen, in welcher Zeit das Buch spielen könnte und worum es gehen wird.
Das denke ich mir zumindest, als ich Ende letzten Jahres im Buchladen stehe und den Historischen Roman in der Hand halte. Meine Idee war es, mal zur Abwechslung ein Buch zu kaufen, von dem ich noch nichts oder zumindest nur wenig gehört habe. Einen Roman, den ich nur aufgrund eines für mich ansprechenden Covers und vielversprechenden Klappentextes kaufen würde.
Und so kam es, dass ich auch mal wieder nach einem historischen Roman griff und dass ich mich einfach mal wieder überraschen ließ von: „Im gleißenden Licht der Sonne“ von Clare Clark, aus dem Englischen von Bernhard Jendricke und Christa Prummer-Lehmair – erschienen im Atlantik Verlag (Hoffman & Campe) Zum Buch auf der Verlagsseite
Inhalt
Da ich auch anfangs nur den Klappentext als Eindruck hatte, lasse ich zur Abwechslung als Inhaltsangabe vorerst diesen sprechen: „Basierend auf einer wahren Begebenheit: ein großer Roman über die Suche nach Wahrheit in einer Zeit der Täuschung und Illusion. In den turbulenten Zwischenkriegsjahren ist in Berlin nichts, wie es scheint. Die junge Kunststudentin Emmeline imitiert bekannte Künstlerporträts für Werbekampagnen und lässt sich auf riskante Bekanntschaften ein. Der Kunstkritiker Julius überschätzt sich gnadenlos selbst und tappt damit in die Falle. Und der jüdische Anwalt Frank versucht verzweifelt, seinen Prinzipien treu zu bleiben. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs flüchtet man sich im Kunstmilieu in Rausch und Übermut – am weitesten geht der junge Kunsthändler Matthias, der einen Skandal auslöst und die Leben der anderen auf den Kopf stellt …“
Analyse
Das Buch ist in drei große Abschnitte unterteilt, jeweils aus einer unterschiedlichen Perspektive geschrieben.
Zu Beginn lernt man Julius Köhler-Schultz kennen, den angesehenen Kunstkritiker, der auch Echtheitsprüfungen von Kunstwerken ausstellt, unter anderem von Matthias Rachmann, der nicht nur ein geschätzter Kollege, sondern auch ein sehr guter Freund wird. Julius ist vor allem in Puncto Vincent van Gogh ein Experte, als dass er bereits eine erfolgreiche Biographie über ihn veröffentlicht hat. An der Person Julius und in diesem Kapitel werden vor allem zwei Dinge gut veranschaulicht: Zum einen die unbeständige Zeit der Weltwirtschaftskrise, die es vor allem gutbetuchten Unternehmern ermöglicht, noch reicher zu werden, diese Krise begünstigt aber auch Betrug. Zum anderen wird eine ganz besondere Etikette sichtbar, die vermeintlich notwendige Tadellosigkeit eben jenes bürgerlichen Milieus. Und so bleibt Julius‘ Zuneigung nicht nur zu Frauen, sondern vor allem auch zu Männern ein Tabuthema. Eine Zuneigung, die ihn blind werden lässt.
Im Kapitel Emmeline wird die Perspektive talentierter, junger Frauen zu der Zeit deutlich. Die Emanzipationsbewegung befindet sich in den 20ern zwar im Aufschwung, aber dennoch obliegt der Chancengleichheit von Frauen weiterhin immense Grenzen. Und so scheint die Kunststudentin Emmeline durch ihr Talent des Zeichnens und aufgrund ihrer Kreativität in der Werbebranche, die aktuell einen Boom erlebt, viel erreichen zu können. Und dennoch ist sie immer auch von dem Geld ihres Schwiegervaters angewiesen und bekommt nur wenig Aufträge. Ihrer Freundin Dora, eine Journalistin, ergeht es ähnlich. Sie möchte investigativer arbeiten, stärker zum Fälschungsskandal und zu Matthias Rachmann recherchieren und schreiben, aber ihre männlichen Vorgesetzte wollen den Erfolg für sich verbuchen.
Das letzte Kapitel, spielt in den 30ern. Frank ist der Anwalt von Rachmann im Prozess zum Kunstfälschungsskandal. Aber er muss immer mehr befürchten, dass er an Glaubwürdigkeit verliert, einfach weil er den vermeintlich „falschen“ Glauben inne hat. Auch insgesamt werden die Aufträge immer weniger, selbst von Freunden, Kollegen und Vertrauten. Der Prozess scheint abgeschlossen, bis Frank in den Kisten, die sein Mandant bei ihm unterstellt, einen interessanten Fund macht. Er versucht den Fall noch einmal aufzurollen. In diesem Kapitel nimmt die Geschichte noch einmal final Fahrt auf und es wird deutlich, dass sich die vermeintliche Unsicherheit aus den 20ern fortträgt, sich sogar noch stärker verdunkelt – es ist eine Zeit, in der der Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit noch eine gänzlich neue Dimension und Färbung erhält.
Kritik
Clare Clark gelingt es durch die drei Perspektiven vielschichtig auf eine unbeständige Zeit aufmerksam zu machen, die Täuschungen und Illusionen begünstigte und damit für Fälschungen empfänglich war. Den Kunstfälschungsskandal um mehrere Van-Gogh-Bilder gab es wirklich (es handelte sich um den Kunsthändler Otto Wacker). Nur dass dieser im Roman in eine fiktive Geschichte eingefasst ist, was die Autorin im Nachwort, sehr schön formuliert, begründet: „Mehrmals erwog ich, mich auf Fakten zu stützen, nur um festzustellen, wie unwahrscheinlich und abstrus sie waren. So beschloss ich, mir etwas auszudenken. Romane dürfen nämlich, anders als die Wahrheit, nicht unglaubwürdig sein.“ Der Schreibstil der Autorin ist überzeugend und authentisch, er versetzt einen in die entsprechende Zeit. Dennoch benötigt man eine Aufwärmphase, gerade durch die drei verschiedenen Perspektiven. Diese ermöglichen zwar einen allumfassenden Einblick durch verschiedene Biographien, die sich im Charakter, Stand und Umstände sehr unterschieden. Nur dadurch muss man sich immer erst einmal wieder in die Biographien einfinden. Auch lässt das Thema rund um den Fälschungsskandal, das Kernstück laut Klappentext, auf sich warten, sodass ich gerade bei dem ersten Abschnitt mit der Zeit etwas skeptisch wurde, ob die Geschichte meine Erwartungen erfüllen wird.
Das Warten lohnt sich jedoch, denn gerade zum Schluss werden all die Fäden zusammenlaufen und man wird durch unerwartete Wendungen noch mehr in den Bann der Geschichte gezogen. Mich konnte der historische Roman letztendlich mitreißen und in eine Zeit des Glamours und Aufbruch der Goldenen Zwanziger, aber auch in eine düstere und unsichere Zeit der Weltwirtschaftskrise und des aufkeimenden Nationalsozialismus, mitnehmen.
Fazit
Das Buch ist etwas für dicke Schmöker-Liebhaber, es umfasst ca. 525 Seiten. So finden alle Abschnitte und Charaktere umfassend Beachtung. Man sollte sich aber auch auf so viele Seiten einlassen wollen.
Mein Experiment zeigt mir, dass man nicht unbedingt genau wissen muss, worum es in einem Buch geht. Man muss auch nicht bereits zigtausende Lobeshymnen gelesen haben oder dem Stempel: „Das ist ein wichtiges Buch!“ folgen. Manchmal kann man sich auch einfach vom Cover und Klappentext leiten lassen. Clare Clark ist es zumindest gelungen. Finales Fazit?: Yes. Judge this Book by it’s Cover!
Kauft ihr Bücher gerne mal, einfach weil euch Cover und Klappentexte ansprechen oder folgt ihr lieber Empfehlungen von Freunden, Bloggern und Feuilletons? Erzählt es uns gerne!