Mal kurz die Welt retten: Lothar Becker und ein Buchtitel, der die Überschrift sprengt – eine Rezension

„Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen“

Was für ein (langer) Buchtitel! Nicht nur dadurch fällt er mir in der Verlagsvorschau des Carpathia Verlags, einem unabhängigen Verlag, auf. Auch das Cover sticht ins Auge mit seinem aggressivem Rot im Vordergrund und schon fast romantisch anmutendem Sonnenuntergang in rosa und blau am Horizont. Dazu ein Fahrrad und Boot. Und dann erst die Buchbeschreibung, die mein satire- und ironiefreudiges Herz anspricht.

„AGiJ1927meBidDs,udWiGzs“ erschien im Oktober 2020 im Carpathia Verlag

Lothar Becker – „Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzten“


Inhalt

Der Titel scheint fast ein Klappentext zu sein: Er teasert an, was in dem ersten Drittel des Buches passiert. Da gibt es den Großvater, Bruno der 1927 noch kein Großvater ist und seinen Freund Herbert, die in einem kleinen Dorf wohnen. Des Öfteren diskutieren die beiden darüber, wie die Welt ein bisschen besser werden könnte. Bruno will dafür die Dummheit abschaffen, Herbert stellt sich eher eine Weltrevolution vor. Und so passiert es, dass die beiden eher durch Zufall in die Kommunistische Partei eintreten und eine Bombe bauen, durch die die Weltrevolution in Gang gebracht werden soll. Bruno, nachdem er sich flussabwärts ins nächste Dorf hat treiben lassen, zündet die Bombe vor dem Rathaus. Es folgt eine Flucht gemeinsam mit seiner neuen Freundin Else die schlussendlich in Wien endet. Dort warten bereits Genosse Schmidt und Genossin Olga auf die beiden und fordern einen noch viel größeren Loyalitätsbeweis gegenüber der Partei ein: Die Sprengung des Stephansdom.

Das Buch erschien in einem unabhängigen Buchverlag, dem Carpathia Verlag

Kritik

Wer tiefe Gefühle und eine sich dramaturgisch aufbauende Handlung erwartet, wird von dem Buch enttäuscht sein. Aber das ist auch nicht der Anspruch. Stattdessen wartet eine Geschichte mit viel Witz, Ironie und Satire zwischen den Buchdeckeln auf den Leser die mit einer einfachen Sprache auskommen. Die Protagonisten werden sehr gut charakterisiert und bilden förmlich einen Querschnitt der Gesellschaft: Bruno erscheint etwas naiv, Herbert hat große Ideen aber ihm fehlt am Ende der Mut, Genosse Schmidt erscheint wie jemand dem sein eigener Vorteil am wichtigsten ist, Genossin Olga erinnert an eine russische Vorzimmerdomina. Schaut man hinter Satire und Ironie erblickt man einen Tiefgang in der Geschichte, der so auf dem ersten Blick nicht erkennbar ist. Dabei lese ich insbesondere Kritik an dem Streben nach „immer weiter, immer höher“ (dargestellt durch die Genoss*innen). Oder aber auch Kritik an Menschen, die ständig etwas zu meckern haben, aber selber nicht den Mut aufbringen, an der Situation etwas zu ändern (Herbert). Und schlussendlich die Person, die es anpackt, aber am Ende nicht mehr weiß um welche Sache es eigentlich ging (Bruno). Die einzige, die in der Geschichte rational bleibt, ist Else, die wiederum ihre Stimme kaum erhebt und nur zum Ende hin aber nur indirekt eine größere Verantwortung zugesprochen bekommt.

Fazit

Und es ist genau dieser Tiefgang, der das Buch schlussendlich so lesenswert für mich macht. Der Blick hinter die Fassade der Komik und Satire stimmt mich nachdenklich und hat mich, trotz allem oder gerade deswegen, gut unterhalten. Insbesondere ab etwa der Hälfte hat der Plot noch einmal gut an Tempo und Fahrt aufgenommen und die Erlebnisse der Protagonisten anschaulich und manchmal verbunden mit einem inneren Kopfschütteln meinerseits dargestellt. Der Interpretationsspielraum, den der Autor offenbart, ist bemerkenswert und für meinen Anspruch an ein solches Buch genau richtig. Nicht zuletzt ist das Buch vom Charakter her daher nicht nur für Fans der „Känguru-Chroniken“ von Mark-Uwe Kling oder für die von Jonas Jonasson (vor allem auch was die Titellänge betrifft: „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“) gut geeignet, sondern auch für alle, die sich auf das Abenteuer Weltrevolution einlassen mögen.

Ein Buch über welches man bei einer Tasse Kaffee hervorragend diskutieren kann

Infos zum Carpathia Verlag

„Schöne Bücher mit Herz und Verstand“ werden durch den Carpathia Verlag und seinem Verleger Robert S. Plaul im Herzen von Berlin (Kreuzberg – wo auch sonst) verlegt. Das Programm ist handverlesen und konzentriert sich hauptsächlich auf deutschsprachige Belletristik, Krimis und Gegenwartsliteratur, die als Hardcover, E-Book und Hörbuch veröffentlicht werden. Besonders hervorzuheben sind die unterschiedlichen Themen, die durch den Verlag aufgegriffen werden und dabei politische und auch gesellschaftliche Aktualität besitzen. Darüber hinaus werden mit viel Liebe zum Detail, in Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern, die Cover und Bücher gestaltet. Benannt ist der Carpathia Verlag im übrigen nach der RMS Carpathia, jenem Schiff, das 1912 die Überlebenden der Titanic-Havarie barg. Der Roman „Was du nie siehst“ war Gewinner des Deutschen Buchtrailer Awards 2020 und wird von mir hier im Rahmen eines Themenbeitrags ebenfalls noch vorgestellt.
Website zum unabhängigen Verlag: https://www.carpathia-verlag.de/

Vielen Dank an den Verlag für die zur Verfügungstellung des Rezensionsexemplars, welches meine Meinung in dieser Rezension nicht beeinflusst hat.

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