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Miniaturen als neue Erzählform
„Wir hatten mal überlegt, dass die kleine Form vielleicht so etwas ist wie die zu kurz geratene, ein bisschen bescheuerte Verwandte der großen Formen, des Romans, des Dramas oder auch des Scripts zur Großerzählung im Serienformat. Wenn sie artig ist, darf sie mal etwas vortanzen. Aber wenn die Erwachsenen anfangen, sich ernsthaft zu unterhalten, über die relevanten Themen, die Welthaltigkeit von Romanen […], dann soll die kleine Form lieber wieder draußen spielen gehen.“
So beschreiben Martin Lechner und Tobias Premper selbst im Epilog die Form der Miniatur, einer Erzählform, die sie für sich entdeckt haben und in „Gelati, Gelati“ anwenden. Es sind Mikro-Kurzgeschichten, die mitunter nicht länger als eine halbe Seite lang sind, sogar manchmal nur einen Satz lang.
„Gelati! Gelati!“ von Martin Lechner und Tobias Premper
erschienen im August 2021 bei Edition Azur (Voland & Quist)
Was mir gut gefiel…
Miniaturen lassen Raum für eigene Gedanken der Leser:innen. Diese besonders kurzen Geschichten kommen entsprechend schnell auf den Punkt und wirken deshalb intensiver. Aber sie scheinen auch unfertig, sodass man sie weiterdenken kann. Streng genommen könnte man den Platz auf der Seite nutzen (immerhin ist häufig mindestens die Hälfte frei), um selbst Gedanken aufzuschreiben. Treffend fand ich auch den Vergleich mit Kieselsteinen. Wenn man sie in den See wirft, kann man schauen, wohin sie einen treiben, so auch die Miniaturen. Fast hätte ich mir gewünscht, de Begriff ‚Kieselsteine‘ wäre auch im Titel des Buches vorgekommen.
Es sind lustige, kreative Texte dabei, aber auch beklemmende, schonungslose. Für mich ist es zum einen ein spannendes Gedankenexperiment gewesen.
Freibadtage
[…] Die mit Herzen und Delphinen verzierte Bäuche, die sich in der Sonne wölben. Der nach zwanzig Minuten Anstehen endlich vom Zehnmeterturm hinuntergewirbelte Salto. Das an die Ohren krachende Wasser und das fischgleiche Gleiten durch das fremde Element, als lebte man hier, jählings gewandelt und frei. Das japsende Auftauchen, das triefende Hochstemmen am Beckenrand, das weltverlorene Wanken über die glühend heißen Platten, auf denen nie etwas geschieht.
Was mir weniger gefiel…
Es war für mich zum anderen ein Experiment, auf das ich mich nicht immer einlassen konnte. Manchmal ist es schwer für mich gewesen, den jeweiligen Sinn der Geschichten nachzuvollziehen – sie sind zum Teil zu kurz, zu skurril für meinen Geschmack oder es passiert scheinbar nichts, sodass ich nicht immer warm mit den Miniaturen geworden bin. Es sind Gedankenfetzen, die wie lose Puzzlestücke auf dem Boden verteilt sind. Sie lassen sich nicht zusammensetzen. Ich hätte mir auch schon ein bis zwei Seiten mehr, oder zumindest ein paar mehr Zeilen, bei manchen Geschichten gewünscht, um meinen Gedanken dazu eine Chance zu geben. Diese können sich nach zwei Sätzen oft gar nicht groß weiterentwickeln.
Tut es aber nicht
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Fazit
Für mich sind die Miniaturen vor allem aber eine neue Erfahrung gewesen, verstörend aber auch aufregend. Ich habe die Geschichten innerhalb von wenigen Stunden in mich aufgesogen und vielleicht gebe ich der einen oder anderen Geschichte irgendwann eine zweite Chance und beschäftige mich intensiver mit ihnen. Vielleicht auch gerade denen, die nur einen Satz lang sind, da sie Freiraum für die eigene Kreativität bieten. Auf jeden Fall sage ich Danke an Martin Lechner und Tobias Premper, die mich auf ihren Miniaturen-Band aufmerksam gemacht haben und das mit einer sehr netten E-Mail, wie man es sich als Blogger:innen wünscht. Auch weil wir gerne Bücher aus unabhängigen Buchverlagen empfehlen.
Zitat Anfang, Zitat Ende
Ich merke mehr und mehr, dass weniger und weniger der richtige Weg für mich ist.
Insgesamt sind es 99 Miniaturen, 33 jeweils einzeln und 33 gemeinsam geschriebene Mikro-Geschichten der beiden Autoren. Es ist defintiv etwas für die experimentierfreudigen und kreativen Leser:innen unter euch! Und diese Mikro-Kurzgeschichten sind wie kleine Snacks, die man zwischendurch einfach mal vertragen kann, zum Beispiel ideal für den nächsten Urlaub am Strand. Auch ist es perfekt als Geschenk für das kommende Osterversteck.
Wind zog auf
und ich beschloss, in den Wald zu gehen. Auch wenn meine Jacke für den Wald noch in der Reinigung war. Unter den Bäumen, bis mir der Wind die Haare zersauste, musste ich an das Meer denken. Und mit jedem Schritt durch den fauchenden Wald dachte ich noch stärker an das Meer. Und als mich die Äste der Bäume des Waldes bereits in die Arme genommen und vom Boden in die Luft gehoben und schon fast in Stücke gerissen hatten, sah ich mich in einer Nussschale liegen. Auf dem seidenglatten, himmelblauen Meer. In der Nähe des Strands von dem die Rufe eines Eisverkäufers herüberhallten: „Gelati! Gelati!“.
Danke an den Verlag für das Bereitstellen des Rezensionsexemplars.