*Off-Topic*
Ein Gastbeitrag
„Eine Dame ohne Familie sitzt allein in ihrer Wohnung. Sie hat niemanden. Die Lebensmittel liefert der Supermarkt. Eine Tages erhält sie einen Anruf, der etwas verändert….“
Mit diesem Teaser überzeugte uns Andrea, als sie an unserem Oster-Gewinnspiel teilnahm, bei dem wir mal etwas ganz Besonderes verschenken wollten: Kreativität in Form eines Gastbeitrags.
Uns gefiel die Spannung, die Andrea erzeugt hat. Wir wollten wissen, wie es weitergeht. Außerdem sprach uns die Aktualität des Themas auf der einen Seite, aber auch die Zeitlosigkeit auf der anderen Seite an. Denn Einsamkeit bei Senioren und Seniorinnen ist nicht nur in der Corona-Krise ein Thema.
Lasst euch von der Kurzgeschichte so berühren, wie sie uns berührt hat:
„Gewählte Freundschaften“
Den Sommerjob in der Apotheke hatte Johanna sich spannender vorgestellt. Sie schrieb den ganzen Tag nur die kleinen Kärtchen in gelb und weiß für die Lagerplätze der Medikamente und versah sie mit einem siebenstelligen Loch-Code. Es hatte schon eine gewisse Melodie, wenn sie regelmäßig den Hebel des Lochgerätes herunterdrückte.
„Kragch“, machten die Metallstempel. Außerdem produzierte sie dabei eine Unmenge Minikonfetti, die sie jeden Abend auffegen musste. Kurz vor Feierabend am Donnerstag hatte sie einen Einfall. Sie lochte das vorletzte Kärtchen des Tages. 679….. Das klang wie eine Telefonnummer.
Während sie auf den Bus wartete, wiederholte Johanna immer wieder die Nummer im Kopf. Als sie an ihrer Station aus dem Bus stieg, zog sie ihr Handy aus der Umhängetasche und gab die Zahlen auf dem Touchscreen ein.
Ein Freizeichen ertönte. „Was mache ich hier eigentlich?“, murmelte Johanna zu sich selbst. Sie wollte eben auf den roten Hörer drücken, als am anderen Ende abgehoben wurde.
„Hallo?“, fragte eine brüchig klingende Frauenstimme. Johanna antwortete nicht. „Hallo?“, jetzt ein bisschen fester. „Oh guten Abend“, Johanna räusperte sich. „Ich glaube, ich habe mich verwählt. Entschuldigen Sie bitte.“ Sie drückte das Gespräch weg. Im letzten Moment meinte sie noch ein „wie schade“, gehört zu haben, aber wahrscheinlich hatte sie sich geirrt.
Am nächsten Morgen dachte Johanna wieder an den Anruf. Wie töricht, diese ganze Aktion. Johanna schämt sich innerlich und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Aber es ließ sie nicht los. In ihrer Mittagspause setzte sie sich an den Computer und rief sich ein Online-Telefonbuch auf. Sie gab die Telefonnummer in die Rückwärtssuche und drückte:
ENTER.
Herbert Sommerbach
Julius- Schmedler- Weg 43
Die Adresse lag ganz in der Nähe ihrer Wohnung.
Mit einem Blumenstrauß stand Johanna vor der Pforte des kleinen Einfamilienhauses und kam sich schon wieder albern vor. Aber nun war sie schon einmal hier.
Sie straffte die Schultern und öffnete die hölzerne Gartenpforte. Der Garten war groß und etwas verwildert. Am Haus wuchsen wunderschöne Rosen an einem Spalier bis zu den Fenstern des ersten Stocks. An den hölzernen Fensterläden blätterte die weiße Farbe ab. Johanna stieg die Stufen zur Haustür hinauf und drückte den Klingelknopf. Er war aus Messing und auf Hochglanz poliert. Darunter stand auf einem ebenso glänzenden Schild in geschwungener Schrift Sommerbach. Vor der Tür stand ein Tontopf mit rosafarbenen Bellies.
Im Haus näherten sich Schritte. Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Tür öffnete sich einen Spalt.
„Ja bitte?“, fragte die Stimme, die Johanna bekannt vorkam. Ein weißer Haarschopf und klare blaue Augen erschienen im Türspalt. „Guten Tag Frau Sommerbach“, Johann räusperte sich. „Mein Name ist Johanna Schmieder. Ich habe gestern Abend bei Ihnen angerufen.“ Sie hob den bunten Tulpenstrauß. „Ich wollte mich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass ich einfach aufgelegt habe.“
Die Tür öffnete sich einen Spalt weiter und Johanna sah in das freundliche Gesicht einer alten Dame. „Das ist aber reizend“, sagte sie und öffnete die Tür nun ganz. „Möchten Sie nicht hereinkommen?“ Sie machte eine einladende Geste. „Danke, das ist ja nett.“ Johanna folgte ihr durch den Flur in die helle, aufgeräumte Küche. Frau Sommerbach nahm eine Vase aus einem der Schränke und stellte die Tulpen hinein. „Die sind wirklich sehr schön. Vielen Dank.“ Die beiden Frauen lächelten sich an.
„Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Tee vielleicht?“ Ohne Johannas Antwort abzuwarten hielt sie einen Kessel unter den Wasserhahn und stellte ihn dann auf den Herd. Sie füllte Teeblätter in einen Filter und hängte ihn in eine Kanne. Dann deutete sie auf eine gemütlich aussehende Sitzecke. „Setzen Sie sich doch.“
„Danke. Wohnen Sie hier allein?“ Johanna war das Geschirr neben der Spüle aufgefallen. Eine Tasse, ein Teller, Messer, Löffel. Frau Sommerbach hielt inne und sah auf die Kanne vor ihr. „Ja“, ihre Stimme klang traurig. „Mein Mann ist vor ein paar Monaten gestorben.“
„Das tut mir leid.“
„Ach wissen Sie, in meinem Alter weiß man, dass man nicht mehr lange hat. Aber die langen Abende allein sind wirklich nicht schön. Mein Herbert und ich waren immer Nachtmenschen. Vor drei/halb vier sind wir selten zu Bett gegangen.“ Sie zog die Schultern hoch. „Jetzt sitze ich allein vor dem Fernseher oder lege eine Patience. Die Lebensmittel bringt mir der Supermarkt nach Hause. Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß.“
„Waren Sie lange verheiratet?“ Der Teekessel begann zu pfeifen. Frau Sommerbach goss vorsichtig das heiße Wasser in die Kanne und ein wunderbarer Duft breitete sich in der Küche aus.
„Fast 58 Jahre.“
„So lange, wow.“
Die alte Dame nahm zwei hauchdünne Teetassen aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. Kandis und ein Sahnekännchen folgten. Dann schenkte sie Johanna und sich den goldgelben Tee ein. Sie setzte sich mit einem leisen Seufzen und sah die junge Frau an.
„Frau Sommerbach, darf ich Sie etwas fragen?“ Johanna drehte die Untertasse auf dem Tisch.
„Sicher Kindchen.“ Die alte Dame ließ einen Kandis in die Tasse fallen und goss vorsichtig ein paar Tropfen Sahne hinein.
„Als ich gestern auflegte, hatte ich das Gefühl, Sie hätten noch etwas gesagt. Haben Sie?“
Langsam legte Frau Sommerbach den kleinen silbernen Löffel wieder neben die Tasse. „Ja, ich fand es schade, dass sie so schnell aufgelegt haben.“ Sie machte eine kleine Pause. „Seit dem Tod meines Mannes habe ich mit fast niemandem mehr geredet. Wir haben leider keine Kinder.“ Ihre Augen glitzerten feucht. Aber sie blinzelte die Tränen schnell weg.
Sie tranken Tee und unterhielten sich über Johannas Studium und ihren Ferienjob. Johanna erzählte Frau Sommerbach, wie es zu dem Anruf gekommen war. Gertrud Sommerbach lachte herzlich.
Als Johanna sich verabschiedete, war es schon dunkel. In der Haustür drehte sie sich noch einmal um: „Darf ich Sie wieder besuchen?“, fragte sie. „Das wäre sehr schön“, antwortete die alte Dame. Dann streckte sie Johanna die Hand entgegen. „Ich heiße Gertrud“, sagte sie.
– Ende –
Liebe Andrea, vielen Dank für deine schöne Geschichte als Gastbeitrag!
Zu Andrea von aprilgeschichten: