Hinter die Kulissen geblickt – Eine Rezension zu „Nur eine kleine Insel“ von Jamaica Kincaid

*Werbung*

Jamaica Kincaid wurde 1949 als Elaine Potter Richardson auf der karibischen Insel Antigua geboren. Mit 17 geht sie nach New York, um dort als Au-pair Geld zu verdienen und ihre Familie zu unterstützen. Da ihrer Familie der Beruf als Schriftstellerin missfiel, begann sie unter dem Pseudonym Jamaica Kincaid Erzählungen in der renommierten Zeitschrift New Yorker zu veröffentlichen. Die erste Erzählung „Girl“ machte sie schlagartig berühmt. Ihre Erzählungen und Romane sind oft geprägt von ihrer Rolle als Tochter, als Frau, als Schwarze, als Angehörige einer ehemaligen Kolonie und insbesondere ihrer Liebe zu dieser. Und um die Liebe zu ihrer Heimat, Antigua, geht es auch in dem Essay „Nur eine kleine Insel“ welches erstmals 1988 erschien.

„Nur eine kleine Insel“ von Jamaica Kincaid, erschienen in Kampa Verlag

Keine romantische Urlaubslektüre: „Nur eine kleine Insel“ von Jamaica Kincaid


Inhalt

(Klappentext) Wenn Europäer nach Antigua reisen, sehen sie eine kleine Insel von atemberaubender Schönheit. Umgeben vom marineblauen Wasser zweier Ozeane und gesäumt von den feinsten Sandstränden der Welt, wachsen dort die seltensten Pflanzenarten, scheint die Sonne an jedem Tag im Jahr. Jamaica Kincaid zeigt uns ein Antigua, das wir nicht sehen können oder wollen: einen Ort, wo Drogenbosse wie Fürsten leben und korrupte Politiker nur ihre eigenen Interessen im Blick haben, und wo Menschen leben, die nichts anderes kennen als anderen zu dienen. Voller Bitterkeit und Liebe erzählt Kincaid von ihrer Heimat als Schauplatz schwerer Verbrechen – an den Antiguanern und an der Natur, begangen im Zeichen von Tourismus und kolonialer Unterdrückung. Ein lyrischer Essay, der uns schonungslos und ehrlich mi der geschichtlichen Wirklichkeit konfrontiert.

Kritik

„Wenn Sie als Tourist nach Antigua kommen, sehen Sie Folgendes: Wenn Sie per Flugzeug anreisen, landen sie auf dem V.C. Bird International Airport, Vere Cornwall (V.C.) Bird ist der Premierminister von Antigua. Vielleicht sind Sie die Art von Tourist, die sich fragt, warum ein Premierminister Wert darauf legt, dass ein Flughafen nach ihm benannt wird. Warum sollte denn nicht eine Schule oder ein Krankenhaus oder irgendein großes Denkmal seinen Namen tragen? Sie sind Tourist, und Sie haben bis jetzt weder eine Schule in Antigua gesehen noch das Krankenhaus von Antigua und auch kein Denkmal in Antigua. Wenn sich Ihr Flugzeug im Landeanflug befindet, sagen Sie vielleicht: >Antigua ist aber eine schöne Insel! <“ Es ist diese Ambivalenz der Beobachtungen, mit dem Jamaica Kincaid in diesem Essay spielt. In dem Touristen, welcher ihr Heimatland besucht, sieht sie eine weiße Person aus Nordamerika oder Europa. Sie erkennt an, dass dieser womöglich hart arbeiten musste, um sich die Reise nach Antigua zu ermöglichen. Jedoch nimmt sie auch an, dass dieser Tourist sich nicht für das Land und seine Menschen interessiert, sondern nur Erholung an den wunderschönen weißen Sandstränden sucht. Sie nimmt an, dass der Tourist bei einer Autofahrt über die Insel die schönen Straßen bewundert, aber mit Sicherheit nicht verstehen wird, dass diese Straßen nur gebaut wurden, weil Königin Victoria die Insel besuchte. Antigua ist nämlich Mitglied des Commonwealth, und lange Zeit wurde die Bevölkerung von Kolonialmächten unterdrückt. Und in der Neuzeit sind die vermeidlichen Unterdrücker nicht mehr die Kolonialherren, sondern die eigenen Mitmenschen. Korrupte Politiker, die sich an der Armut der Bevölkerung bereichern und ihren eigenen Reichtum vergrößern, anstatt die Armut der eigenen Bevölkerung zu reduzieren oder in Bildung und das Gesundheitssystem zu investieren. Jamaica Kincaid wirbt in ihrer Streitschrift für den Blick hinter die Kulissen des Antiguas, welches der Tourist sieht. Und sie wirbt bei Ihren eigenen Mitmenschen dafür, ihre Lethargie abzustreifen und sich aufzubegehren, gegen die Unterdrücker.

Wo liegt eigentlich Antigua? Ausschnitt von Google Maps


Fazit

Mir kommen immer wieder neue Gedanken, wenn ich das Buch lese, mit so vielen Themen konfrontiert Jamaica Kincaid mich auf rund 100 Seiten. Sei es die Auseinandersetzung mit der Natur der karibischen Insel Antigua. Sei es das Hinterfragen der Dinge als Tourist in dem Land, welches ich besuche. Das öffnen der Augen für die Missstände und das Wandeln auf den wirklichen Straßen des Landes und nicht nur hinter der von Mauern umgebenen Ferienanlage. Über all dem schwebt das Erbe der Kolonialmächte, die ein wirtschaftlich und emotional ausgeblutetes Land zurückgelassen haben. Und mehrere Jahrzehnte später wird dieses wunderschöne Land weiter ausgeblutet. Sei es von den Touristen oder den herrschenden Mächten. Als Leserin fragen ich mich, wie soll das noch weiter gehen?

Kampa Verlag

Der Kampa Verlag wurde im Herbst 2018 von Daniel Kampa gegründet, der zuvor 20 Jahre im Diogenes Verlag, unter anderem in der Geschäftsleitung tätig war. Deutschsprachige und internationale Gegenwartsliteratur, moderne Klassiker und Krimis werden durch den in Zürich ansässigen Verlag herausgegeben, davon etwa 40 Titel pro Saison. „Neben Georges Simenon veröffentlicht der Kampa Verlag u. a. William Boyd, Olga Tokarczuk, Astrid Rosenfeld und Lucia Berlin, im Krimibereich Louise Penny und den Schweizer Bestsellerautor Gian Maria Calonder. In der Reihe Kampa Salon wird nicht erzählt, sondern gefragt und geantwortet – u.a. sind Gespräche mit Susan Sontag, Joan Didion, Siri Hustvedt, Peter Bichsel, Daniel Kehlmann und David Bowie erschienen.“ Zur Website des Verlags: https://kampaverlag.ch/

Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kommentar verfassen