Nachts in Berlin – eine Rezension zu Thorsten Nagelschmidts „Arbeit“

Ich bin begeisterte Podcast-Hörerin. Morgens auf dem Weg zur Arbeit sind es die neuesten Nachrichten. Auf dem Weg zu Treffen mit Freunden, Interviews mit Politikern, Promis und anderen. Und für das „So-Zwischendurch-Hören“ habe ich den 1LIVE „Stories“-Podcast entdeckt, wo wöchentlich AutorInnen eingeladen sind, aus ihrem neusten Buch vor zu lesen. Ein paar Tage ist es nun schon her, als ich so „Arbeit“ von Thorsten Nagelschmidt entdeckt habe. Neben dem Inhalt fand ich besonders den Einblick in die Entstehungsgeschichte (3 Jahre Recherche) spannend, sowie die lockere und angenehme Gesprächsatmosphäre zwischen Thorsten Nagelschmidt und Mona Ameziane, der Moderatorin. So landete das neueste Buch des Autors direkt auf meiner Leseliste, denn meine Neugier war geweckt. Zum Reinhören teile ich hier den Link zum Podcast

Inhalt

Der Titel „Arbeit“ ruft in mir erst einmal Assoziationen zu Karl Marx wach oder auch ein Sachbuch, in dem es um Phänomene wie „New Work“ geht. Im Großen und Ganzen geht es natürlich auch um „Arbeit“, aber Thorsten Nagelschmidt porträtiert in seinem neuesten Roman Personen, für die die Nacht Alltag ist. Es ist die Zeit, in der sie arbeiten, während andere die Nacht zum Tag machen. Hauptsächlich konzentriert er sich auf den Stadtteil Kreuzberg und erzählt die Geschichten eines Türstehers, dessen Arbeitszeiten das junge Familienglück gefährden. Einer Sanitäterin, die für das Medizinstudium lernt. Oder die der griesgrämigen Flaschensammlerin, einem Taxifahrer der seinen Fahrgast nach Halle an der Saale bringen soll und noch einigen anderen. Die Geschichten sind ineinander und miteinander verwoben und begleiten den Leser von Sonnenuntergang bis -aufgang durch eine Nacht an einem ganz normalen Wochenende in Berlin.

Nachts irgendwo auf dieser Welt…

Kritik

Ich mag es sehr, mich in Geschichten von Menschen zu verlieren. Nicht ohne Grund bin ich ein großer Fan des „Alles gesagt“ Podcasts, bei dem Interviews von bis zu acht Stunden mit den Gästen geführt werden. Durch die langen und ausgiebigen Interviews, habe ich als Zuhörer dann das Gefühl, den Gast beinahe kennen zulernen oder zumindest so viel, wie er von sich preisgeben will. Wenn dies in einer unaufgeregten Atmosphäre passiert, bin ich schnell gefangen und verliere mich in deren Biografie. Achja, Biografien lese ich ja auch sehr gerne und viel. Also verwundert es vermutlich auch nicht, dass ich genau die Zielgruppe bin, für welche ein Buch wie „Arbeit“ wie gemacht ist. Beinahe wäre es mir dann also auch passiert, dass ich das Buch innerhalb einer Nacht durchgelesen hätte. Ich konnte mich nur schwer zügeln, um mir einen Teil für die folgenden Tage aufzubewahren. Wie schon bei „Der Sprung“ von Simone Lappert hat es mir sehr gefallen, wie die Geschichten der Personen zusammenhängen. Lernt man in dem einen Kapitel Felix, den Drogenhändler, kennen, begegnet er einem in dem Kapitel von Tan, dem Türsteher, wieder. Während man die Flaschensammlerin durch den Park begleitet, trifft man sie in einem anderen als kauzige Buchhändlerin wieder. Dabei verändert sich je nach Person, die Erzählweise und passt sich die Sprache dem Charakter wie selbstverständlich an.

Ein Türsteher Nachts bei der Arbeit

Fazit

Neulich stand ich in der Hamburger Sternschanze und habe aus sicherer Entfernung das Treiben auf dem Schulterblatt (eine berühmte Hamburger Kneipenstraße) beobachtet. Wie selbstverständlich schoben sich Flaschensammler durch das Partyvolk. In Gruppen beobachtete die Polizei das geschehen und griffen ein, sollte es doch mal zu bunt werden. Am Straßenrand warteten die Taxifahrer auf Kundschaft und hätte ich nur ein bisschen länger gewartet, währen vermutlich auch bald die Kehrmaschinen an mir vorbei gefahren, um den Dreck der letzten Nacht aufzuräumen. Das Bewusstsein für Menschen, für die die Nacht Alltag ist und von mir wie selbstverständlich wahrgenommen werden, wurden bei mir durch das Buch gestärkt. Als genial empfinde ich die Einfachheit der Story. Und ja, es spielt in Berlin, aber man kann diesen Menschen auch in Hamburg, München, Chemnitz und Düsseldorf begegnen und jeder erzählt eine Geschichte. Frag doch mal den Kioskbesitzer, bei dem du abends dein Bier holst, wie es ihm geht. Schenk dem Menschen am anderen Ende der Schlange ein Lächeln, werde dir bewusst darüber, wie viele Geschichten in nur zwei Meter Umkreis zu finden sind. Und Thorsten Nagelschmidt hat es geschafft, ein paar davon einzufangen…in dem er zuhört.

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