Zeit für gute Musik: Die Kiwi-Musikblibliothek, eine Rezension zur Buchreihe

Hommages an die Musik von den Autoren Sophie Passmann, Thees Uhlmann, Anja Rützel und Tino Hanekamp

*Presseexemplare* Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch im Oktober 2019

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Die letzten 1 1/2 Wochen haben wir euch auf unseren Social-Media-Kanälen auf eine kleine Musik-Zeitreise mitgenommen. Welches Lied ist unser Gute-Laune-Song, welchen Song verbinden wir mit unserer Jugend oder gar mit unserem ersten Kuss, welches wiederum hören wir bei Liebeskummer? Es sollte als kleiner Einstieg zu einer ganz besonderen Bücherreihe dienen, die ich nun besprechen möchte:

In Erinnerungen schwelgen, das kann man nämlich auch mit den Büchern aus der Musikbibliothek vom Kiwi-Verlag. Und dabei muss man die Bands und Sänger gar nicht unbedingt kennen, denn es sind die jeweiligen Autoren, die ihre Jugendjahre und Teenie-Schwarm-Erinnerungen wieder aufleben lassen und zeigen, inwiefern sie von den jeweiligen Interpreten in ihrem Leben bis hin zur Gegenwart geprägt wurden. Und davon kann man sich sehr gut mitreißen lassen.

Wenn auch nur digital: Mit unserer Musik-Challenge auf Instagram und Facebook wollten wir gemeinsam mit euch tanzen und abrocken.

Sophie Passmann: Frank Ocean

Zu meiner Schande muss ich gestehen – das erste, was ich hier erst einmal googeln musste, war, wer eigentlich Frank Ocean genau ist. Mit R&B und Funk kenne ich mich nur wenig bis gar nicht aus. Dafür lese ich gerne Kommentare, Beiträge und Artikel von der Journalistin und Influencerin Sophie Passmann. Diese sind wunderbar zynisch, sarkastisch und auf den Punkt gebracht. Gerne gelesen habe ich auch ihr Sachbuch im Bereich Feminismus: „Alte, weiße Männer“. Ich erwartete also auch im Buch zu Frank Ocean diesen klassischen Sophie-Passmann- Zykasmus (meine Wortschöpfung à la Anja Rützel). Natürlich war dieser auch zu finden, aber das kleine und dünnste Büchlein der Reihe ging darüber hinaus: Sophie Passmann überraschte mich, indem sie eine neue, für mich unbekannte Seite an ihr zeigte. Sie schreibt über ihre manische Depression: „… es war nicht die Hitze, die mich lähmte, es war die Leere, die noch nie so schwarz und mächtig und da war, wie jetzt.“ (S.13) Sie zeigt, wie Frank Ocean, entgegen vieler Hip-Hop- und R&B Klischees, mit intelligenten, tiefgründigen Texten sie immer wieder begleitete und auch über manische Zeiten hinweghalf. Der Sänger faszinierte sie außerdem mit seinem Mut, als dass er sich als Homosexueller outet und dies in der von Testosteron-geschwängerten Rapper-Szene. Zwischen der Autorin und dem Sänger sehe ich Parallelen. Denn auch Sophie Passmann finde ich mutig, mit der Darstellung ihrer manischen Depression ein Stück Verletzlichkeit Preis zu geben. Sie macht aufmerksam auf ein oft verschwiegenes, nahezu tabuisiertes aber wichtiges und ernstes Thema: wie es ist eine psychische Erkrankung zu haben und dass es natürlich in Ordnung ist, damit offen umzugehen. Sophie Passman überzeugt mit ihrer schonungslosen Ehrlichkeit und mit ihren Mut, ganz genauso wie Frank Ocean. Dieses Buch las ich innerhalb weniger Stunden, es nahm mich mit und zog mich in eine neue Musikwelt.

„Frank Ocean“ mit einer Signatur von Sophie Passmann.

Thees Uhlmann: Die Toten Hosen

Es ist so sympathisch zu sehen, wie ein mittlerweile renommierter Sänger wie Thees Uhlmann diesen Fan-Boy-Moment erlebt, wenn er über seine Lieblingsband aus der Jugend spricht. Man hat das Gefühl Thees hautnah als 17-jährigen Jungen zu erleben, als er von seinem ersten Toten-Hosen-Konzert spricht. Man schmunzelt noch mehr, wenn er erzählt, wie er selbst jetzt noch voller Respekt ans Telefon geht, sobald der Name Campino auf seinem Handy-Display erscheint. Obwohl sich die beiden mittlerweile persönlich gut kennen, fühlt es sich für Thees Uhlmann weiterhin irreal an, mit dem Star seiner Jugend auf Augenhöhe sprechen zu können. Er gibt offen zu, dass sein Buch keine objektive Darstellung der Hosen ist und er entgegen vieler Fans nicht nur die Songs der Anfängerjahre der Band als die wahren betrachtet. Jedoch muss ich dies ein Stück weit auch kritisieren, da jeder Spiegel zwei Seiten hat. Ich hätte mir somit auch die Darstellung der Kehrseite gewünscht, z.B. inwiefern der Mainstream zu einer Punk-Band dazu gehören darf. Dürfen sich die Toten Hosen insofern noch als Punk-Band bezeichnen? Inwiefern hat sich die Band durch den Erfolg verändert, wirklich nur zum Besseren? Zumindest finde ich, dass eine Hommage nicht automatisch Negatives ausklammern muss. Thees Uhlmann scheint allerdings nun einmal durch und durch Fan zu sein und gibt dies offen zu. Das macht ihn letztendlich auch wieder sehr sympathisch: „Sie haben in diesem Buch nichts Negatives über Die Toten Hosen gefunden. Wenn Sie das wollen, machen Sie das Internet auf. Da ist alles voll davon“. (S.170)

Anja Rützel: Take That

Da Germany’s Next Top Model die wohl gefühlt einzige Trash-Sendung ist, die ich jemals regelmäßig geschaut und selbst die dieses Jahr boykottiert habe, las ich bis jetzt nur wenige Artikel von Anja Rützel. Denn genau dafür ist sie bekannt: für feuilltonistische Artikel über Trash-TV-Sendungen.

Feuilleton und Trash TV – Etwas das wohl nur Anja Rützel so elegant vereinen kann. Sie hat damit eigens ein Genre kreiert, das wohl auch nur sie so gekonnt mit Leben füllen kann. Das habe ich jedenfalls nun bei ihrer autobiographischen Hommage zu Take That festgestellt. Sie ist eine Wortakrobatin, ihre Wortspiele strotzen nur so vor Humor, Kreativität und Intelligenz. Manche Passagen waren so vollgepackt mit Wortkreationen und Anspielungen auf andere Phänomene der Popkultur, dass ich des Öfteren erst einmal recherchieren musste, über wen Anja Rützel spricht oder was sie eigentlich genau meint.

Der Autorin gelingt es insgesamt, dass Take That als gecastete Mainstream-Boy-Band wie eine legendäre Rockband wirkt. Wie Queen oder Police in den achtziger Jahren. Berührt hat mich zudem besonders die Szene, in der sie beschreibt, wie sie sich nach längerer Funkstille mit ihrer Schwester bei einem Reunion-Konzert von Take That wieder versöhnt. Da in den Kapiteln zudem jeweils ein Mitglied der Band näher vorgestellt wird, lernt man jeden genauer kennen. Jeder wird gebührend von Anja Rützel gefeiert. Jeder wird als wichtiges Element der Band angesehen, auch wenn der ein oder andere kaum singen oder im Rampenlicht stehen durfte. Ich selbst war zwar zu jung für Take That und gehörte eher zur Fraktion Backstreet Boys – meine erste Band für die ich mit stolzen zehn Jahren schwärmte, ohne so recht zu wissen, wovon sie singen. So konnte ich mich aber dennoch ein Stück weit in Anja Rützel hineinversetzen, selbst wenn ich nicht mal mehr aus Nostalgie ein Konzert der Boyband besuchen würde. Zudem konnte ich mit 15 das Lied von der deutschen Hip-Hop-Band Blumentopf „6 Meter 90“ über die Hysterie von Fans nach der Trennung von Take That nahezu auswendig. Mein persönlicher und einziger Take-That-Moment.

Wortkreationen von Anja Rützel zu den Band-Mitgliedern

Stehauf-Wämpchen (Gary)

Babe-Babe (Mark)

Gerade-noch-EX-Band (Robbie)

Arsch-Aktivismus (Howard)

Flash-Gordon-Hotboy-Kostüm (Jason)

Die Musikbibliothek wurde mir als Überraschung zugesendet. Ich kam direkt ins Schwärmen und suchte alte CDs raus…

Tino Hanekamp: Nick Cave

Nick Cave, noch so jemand, von dem ich auf Anhieb keinen Song nennen könnte. Er ist ein Phänomen: Man kennt ihn, ich wusste, dass er für viele ein Idol ist und dennoch bedient er eine sehr spezielle Sparte. Außer mit einem Duett mit Kylie Minogue „Where the wild roses grow“ schaffte es Nick Cave mit seiner Band The Bad Seeds nie auf die oberen Chartplätze. Es sind vor allem melancholische Lieder mit literarischen und religiösen Bezügen und über die Liebe, die Nick Cave ausmachen. Ihn umgibt eine mysteriöse Atmosphäre.

Tino Hanekamp, der Autor, ist Musikjournalist und Autor sowie ein Mitbegründer des Übel und Gefährlich in Hamburg. Mittlerweile lebt er mit seiner Frau und Sohn in ihrem Heimatland Mexiko.

Als Leser wird man mitgenommen auf die Fahrt von Tino Hanekamp und seiner Frau zum Nick-Cave-Konzert durch die mexikanische Landschaft gen Mexiko-City. Auf dieser Fahrt erzählt er seiner Frau Ixtel von seinem Jugendstar und von seinen Ideen zum Buch. Es liest sich wie ein Drehbuch, indem durch Einschübe dargestellt wird, wie das Buch geschrieben werden könnte und wie die Leser mitgenommen werden sollen – eine originelle Idee wie ich finde. Es zieht sich wie ein roter Faden durch’s Buch, genauso wie der Umstand, dass sich alles auf der Fahrt zum Konzert abspielt. Beides bildet eine klare Struktur. Man fiebert mit, denn der Autor soll auf dem Konzert Nick Cave persönlich treffen. Es ist nicht das erste Zusammentreffen, nein. Bereits als junger Musikjournalist sollte Tino Hanekamp gemeinsam mit anderen Musikredakteuren aus der ganzen Welt die Ehre haben. „Es waren die letzten Tage der goldenen Ära der Plattenfirmen, als man Musikjournalisten noch um die halbe Welt flog für das Konzert einer Band, aus der vielleicht mal was werden könnte.“ (S. 51) Es war ein Desaster, das den Autor noch viele Jahre beschäftigte, wollte er doch alles andere als als Fan herüberkommen. Wie wird es diesmal ausgehen, kann Tino Hanekamp vor Nick Cave glänzen? Kann er ihn diesmal von sich überzeugen?

Fazit

Die bunten Farbklekse, die Bücher der Musikbibliothek, versprachen leichtfüßige Unterhaltung und ein Entfliehen aus der Krisen-Realität in die Zeit, in der wie Olli Schulz es einmal so schön als Liedzeile formulierte „… Musik noch richtig groß war“.

Mein letztes Open-Air-Konzert: Max Herre Hamburg 2019

Obwohl tatsächlich keine der Bands oder Sänger mich selbst wahrhaftig prägten – ich war zu jung für Take That, wohl zu rockig für Frank Ocean, zu „normal“ für Nick Cave und nun mal mehr Team Ärzte anstatt Toten Hosen – konnte ich mich jeweils gut in die Hommages hineinversetzen. Es waren die bildhaften, lebhaften Beschreibungen der Autoren. Obwohl die Darstellungen unterschiedlicher nicht sein könnten, merkt man allen an, dass die Interpreten sie sichtlich durchs Leben begleiteten. Die Autoren geben zudem alle ein Stück Persönliches preis. Man lernt sie näher kennen und erfährt, wie sie zu dem wurden, was sie jetzt sind und wie jeweils Musik ihrer Lieblingsinterpreten dazu beigetragen hat.

Die Bücher habe ich in der Reihenfolge aufgelistet, wie ich sie gelesen habe: Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich aber wie folgt mein Ranking setzen:

Platz 3 Thees Uhlmann: Toten Hosen

Platz 2 Tino Hanekamp: Nick Cave

Und *Trommelwirbel* Platz 1 teilen sich Sophie Passmann: Frank Ocean und Anja Rützel: Take That

Sophie Passmann hat mich berührt und es geschafft, mich mitzureißen und mitzunehmen in eine für mich unbekannte Musikwelt. Anja Rützel überzeugt hingegen mit Wortgewandtheit und Witz. Da ich mit Take That zudem mehr anfangen kann, konnte ich mich hier noch besser hineinversetzen.

Ihr habt unsere Musik-Session auf FB und Instagram verpasst oder wollt die Lieder noch einmal auf einen Blick haben? Dann schaut gerne in unsere eigens zusammengestellte Playlist von Aufgeblättert [hier lang]. Die Toten Hosen, Nick Cave, Frank Ocean und Take That sind natürlich auch dabei.

Kiwi: Bitte mehr von dieser Reihe! In unserer Playlist finden sich auch direkt Inspirationen ;-)…

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