Sehe das Buch vor lauter Bäumen nicht – Eine Rezension zu „Auwald“ von Jana Volkmann

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In unserem zweiten Beitrag in diesem Monat aus der Rubrik unabhängige Buchhandlungen will ich euch ein Buch aus dem Verbrecher Verlag vorstellen. Einen Verlag, den ich bereits durch eine online Veranstaltung kennenlernen durfte und aus dessen Programm ich euch bereits kurz das Buch „Spitzenreiterinnen“ von Jovana Reisinger in einem Couchgeflüster vorgestellt habe. Eine ausführliche Rezension widme ich „Auwald“ von Jana Volkmann da mir die Stimmung, die der Klappentext erzeugt hat, besonders gut gefallen hat. Dieser erweckte Bilder von Einsamkeit, Stille, aber auch ein Gefühl des Aufbruchs und Selbstfindung in mir.

„Auwald“ von Jana Volkmann, Verbrecher Verlag, erschienen im August 2020

Das Buchcover von „Auwald“ im typischen Styl des Verbrecher Verlags

Inhalt

In „Auwald“ begleiten die Leser:innen Judith, die als Tischlerin in einer Werkstatt in Wien arbeitet. Bei ihrer Arbeit ist sie sehr akribisch und benötigt für einen Auftrag oft länger, als von ihrem Chef vorgesehen. Für Judith ist es jedoch eher eine Leidenschaft mit Holz zu arbeiten, deren Sorten sie schon am Geruch erkennt, als wirkliche Arbeit. So ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass, wenn es um Beziehungen und Freundschaften geht, sie eher eine Einzelgängerin ist. Es kommt fast täglich vor, dass Judith, obwohl ihre Freundin Lin zu Hause bereits auf sie wartet, sie oft einen Umweg nach Hause geht, da sie die Einsamkeit und das Alleinsein mag. Und auch bei ihren gemeinsamen Silvesterurlaub in Wien verliert Judith sich in der Stadt und schlendert lieber alleine durch die Straßen, anstatt mit Freunden zu feiern. Nachdem ihr Chef sie mehr oder weniger dazu drängt, entschließt sich Judith also auch alleine in den Urlaub zu fahren. Sie beschließt mit dem Schiff von Wien, ihrem Wohnort nach Bratislava zu fahren. Dort angekommen besichtigt sie ein Museum und bemerkt recht schnell eine andere Frau, die, wie sich später herausstellen wird, ihr Portemonnaie klaut und damit auch das Rückfahrticket nach Wien. Kurz darauf verschwindet das Schiff, mit welchem sie eigentlich hätte zurück nach Wien fahren sollen, auf einmal spurlos. Da Judith als Passagierin registriert ist, sieht sie so auch ihre Chance, aus der Welt zu verschwinden und macht sich zu Fuß auf den Weg durch Wälder und Wiesen in Richtung Wien.

Kritik

Ja, ich sehe den Wald vor lauter Bäumen wirklich nicht. So ungefähr fühle ich mich beim Lesen von „Auwald“. Wie eine einsame Wandererin auf einer Lichtung stehe ich da und frage mich, wohin mich diese Geschichte eigentlich bringen soll. Schon relativ früh bekommt Judith mit, dass ihr Schiff für die Rückfahrt nach Wien verschwunden ist. Aus ungeklärten Gründen beschließt Judith sich somit zu Fuß auf den Rückweg zu machen, versteckt sich dabei vor den Suchtrupps im Gebüsch, Tunneln und Hochsitzen. Mir kommt sie dabei völlig verwirrt vor, wie sie so alleine durch den Wald stapft, ohne Plan und ohne Ziel und ich kann mich die ganze Zeit nur wundern, von was sie sich eigentlich ernährt, außer aufgefangenem Regenwasser. Kein Wunder also, dass sie auf ihrer Wanderung Robert in die Arme fällt – vor Ohnmacht. An dieser Stelle könnte ein Twist in dem Plot entstehen, doch leider passiert auch weiterhin nicht viel. Judith und Robert sind zwei eher menschenscheue Charaktere, sodass eine Annäherung zu viel verlangt ist und nur der Hund von Robert Judiths Herz erobern kann. Aber darauf will sie sich genauso nicht einlassen – schließlich ist das hier auch kein Liebesroman – und zieht weiter in Richtung Wien. In der Stadt scheint aber gewaltig etwas nicht zu stimmen: der Flughafen ist dunkel, der Industriepark sehr ruhig, die Regale leer gekauft und kaum Menschen auf der Straße. Ich freue mich, denn ich vermute hier den Twist beziehungsweise Plot der Geschichte. Aber leider nein, außer dass die Regale im Kiosk leer sind, Judith drei Zahnbürsten klaut und die menschenleeren Innenstadt durchwandert passiert nicht viel. Und ich, als enttäuschte Leserin, bleibe zurück und frage mich, warum Wien wie ausgestorben da liegt. Ist sie vielleicht ähnlich von der Landkarte verschwunden, wie das Schiff? Oder ist vielleicht sogar etwas viel Schlimmeres passiert? Spätestens im Epilog hätte ich mir etwas Aufklärung gewünscht, doch ist dieser einzig Lin gewidmet, die Jahre später mit ihrer neuen Freundin in Monaco ist und glaubt in einem Straßenzug Judith zu sehen.

Die Rückseite im typischen Verbrecher Verlag Design

Fazit

Vor lauter Kritik möchte ich das Fazit aber dafür verwenden, was mir trotz der für mich nicht schlüssigen Geschichte besonders gut gefallen hat. Denn die Sätze, die Jana Volkmann geschrieben hat, strotzen nur so von feinen und ausgewählten Beobachtungen des Alltags, des Lebens im Großen, von Zwischenmenschlicher Einsamkeit und des Alleinsein im Allgemeinen. Und auch die Literaturkritiker:innen feiern das Buch wie zum Beispiel Katja Gasser / ORF2: „Mit „Auwald“ ist ihr eine betörend genaue, radikal unsentimentale Auseinandersetzung mit der Einsamkeit des Menschen als Grundlage seiner Freiheit gelungen.“ oder auch die Jury des Bremer Literaturpreises in ihrer Begründung „Der Roman Auwald demonstriert ihr beeindruckendes Talent für eine dichte Wahrnehmungsprosa und sie verwandelt auf originelle Weise ein Katastrophengeschehen in die Möglichkeit, sich einer privaten Krise zu stellen.“. Selbst wenn mir die Geschichte nicht gefallen hat und ich das erste Mal seit langer Zeit einem Buch nichts abgewinnen kann, findet ein anderer Leser oder Leserin mit Sicherheit hier sein neues Lieblingsbuch.

Infos zum Verbrecher Verlag

Der Verbrecher Verlag ist ein unabhängiger Verlag und wurde 1995 von Werner Labisch und Jörg Sundermeier gegründet. Seit 2016 leitet Sundermeier den Verlag gemeinsam mit Kristine Listau. Das Programm ist breit gefächert, der Schwerpunkt liegt auf der Belletristik, zudem veröffentlicht der Verbrecher Verlag Sach- und Kunstbücher sowie eine Stadtbuch- und eine Filmliteratur-Reihe. er Verbrecher Verlag zählt zu den Preisträgern des Deutschen Verlagspreises 2019 und 2020.

Website zum unabhängigen Verlag: https://www.verbrecherverlag.de/

Vielen Dank an den Verlag für die Zurverfügungstellung des Rezensionsexemplares. Dies hat meine Beurteilung zu dem Buch nicht beeinflusst.

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