Über den Tellerrand: Historische Romane, zwei Rezensionen

Der Mai, ein Monat der Feiertage und damit auch für viele die Gelegenheit diese für ein paar Urlaubstage zu nutzen. Uns hat es im Mai zwar auch mal zu dem einen oder anderen Kurztrip bewogen, aber vor allem sind wir diesmal in die Zeit gereist: Das Genre ‚Historische Romane‘ lesen wir zwar beide ab und zu gerne, aber dennoch viel zu selten. Entsprechend wollten wir unser Schwerpunktthema „Über den Tellerrand“ als Anlass nehmen. Wir haben mit dem Zeitreisen aber eher zart begonnen – unsere Bücher spielen im 19./20. Jahrhundert.

Unsere Bücher für „Über den Tellerrand“ – Historischen Romane

„Die Reporterin – Zwischen den Zeilen“ von Teresa Simon (Luise)

erschienen im März 2023, bei Heyne, Rezensionsexemplar

Das Thema Journalismus, gerade auch im Wandel der Zeit, fasziniert mich immer wieder, nicht zuletzt auch, da ich selber in der Medienbranche arbeite. Was mich besonders reizt ist hierbei das Zusammenspiel von Emanzipationsbewegung und Journalismus. So entstand in den 1960er- und 70er Jahren langsam eine neue Frauenbewegung. In den Redaktionen herrschte aber weiterhin ein klares Machtverhältnis. Frauen arbeiteten, wenn überhaupt, als Sekretärinnen oder Rechercheurinnen. Die Positionen als Reporter blieben vor allem den Männern vorbehalten. Dabei sollte man denken, dass insbesondere dort, wo freie Meinungsäußerung als höchstes Gut wertgeschätzt wird, es auch als erstes für jede:n zugänglich wird, oder etwa nicht?

Die neue Reihe „Die Reporterin“ sprach mich also unmittelbar an: Anfang der 1960er Jahre, Marie-Louise Graf ist Anfang zwanzig und lebt ihr Leben so, wie von den Eltern geplant – Ziel ist es, dass sie nach ihrem Pharmazie-Studium in die Familien-Apotheke einsteigt. Allerdings hält sich ihre Motivation für Cremes, Medikamente und Anti-Pickel-Tinkturen eher in Grenzen, heimlich verfolgt sie einen ganz anderen Traum. Sie würde gerne schreiben, berichten: Reporterin werden. Bis die neu gegründete Zeitung „Der Tag“ ihr endlich die entscheidende Chance einräumt, um den Fuß in die Tür der Medienwelt zu bekommen. Sie bieten ihr ein Praktikum und später, als sie sich bewehrt, auch ein Volontariat an, Marie ist überglücklich! – Jedoch führt die Entscheidung für diesen Berufsweg zum Bruch mit ihren Eltern, die sie bis dahin nicht in ihr Geheimnis eingeweiht hat. Sie lernt alleine zurecht zu kommen. Sie muss sich als junge Frau jeden Schritt ihres Weges hart erkämpfen, ihr Talent beweisen und mit Fleiß dranbleiben, sich gegen egozentrische Kollegen durchsetzen. Aus ihr wird die selbstbewusste Gesellschaftskolumnistin Malou Graf, die Prominente, wie Pierre Brice, interviewen und bei wichtigen Anlässen, wie dem Besuch der Queen in München ganz vorn dabei sein darf. Doch unter der Karriere leidet nicht zuletzt ihr Liebesleben. Hier geht Malou ein verhängnisvolles Versprechen ein…

Das Buch ist kurzweilig und unterhaltend geschrieben, sodass es sich wunderbar als sommerliche Lektüre eignet. Der Roman bildet für mich eine ideale Mischung aus Unterhaltung und zeitgeschichtlichen Hintergründen, ich gewinne einen Einblick in den Alltag einer Reporterin in der Zeit der Umbrüche, nach dem zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges, aber auch in den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs. Genauso werden damalige gesellschaftlichen Gepflogenheiten aufgegriffen. Die Autorin zeigt die entscheidenden Unterschiede von Frauen und Männern auf, was ihren damaligen Platz in der Gesellschaft betrifft, aber auch Homosexualität als damaliges Tabuthema bildet ein wichtiges Thema im Buch. Und vor allem zeigt der historische Roman, wie das sensible Gut der Pressefreiheit in den Anfängen der Demokratie sich entwickelt hat und das es immer zu schützen gilt. Ich bin sehr gespannt auf Teil zwei ab August, der mit einem Cliffhänger vielversprechend eingeläutet wird!

Erinnert hat mich das Buch im Übrigen auch an eine meiner Lieblingsserien Mad Man und die eher unbekanntere Serie Good Girls Revolt (1 Staffel), sie basiert auf dem gleichnamigen Buch von Lynn Povich. Sie war eine der Frauen bei der Zeitung „Newsweek“, die gegen die sexuelle Diskriminierung aufbegehrten und klagten. 

„Der verlorene Sohn“ von Olga Grjasnowa (Aline)

erschienen im September 2020 im Aufbau Verlag

Olga Grjasnowa, der Name ist mir das erste Mal in einer Folge des ZEIT-Podcasts „Alles gesagt“ begegnet. Seit dem liegt „Der verlorene Sohn“ auf meinem Lesestapel und im Rahmen unseres „Über den Tellerrand“-Schwerpunkt in diesem Monat, wo wir uns mit historischen Romane beschäftigen, habe ich nun endlich das Buch zur Hand genommen und bin restlos begeistert. Jamalludin wächst als erster Sohn eines mächtigen Imans im Nordkaukasus auf. Es ist 1839 und der Nordkaukasische Krieg mit Russland tobt seit Jahrzehnten. Schließlich muss der Iman, aufgrund der Kriegsverhandlungen seinen Sohn als Geisel nach Russland geben. Jamalludin wird an den Hof des Zaren geschickt, wo er fortan leben wird. Er wächst mit allen Annehmlichkeiten des höfischen Lebens auf, erfährt eine gute Ausbildung und wird öfter zu den Bällen des Zarenpaares eingeladen. Zunächst vermisst Jamalludin noch seine alte Heimat, den Hof auf dem er aufgewachsen ist, seine Geschwister und vor allem seine Mutter. Doch mit den Jahren verblassen die Erinnerungen, er betet seltener nach Mekka, bis er irgendwann ganz aufhört, ebenso wie er irgendwann seine Muttersprache zu vergessen scheint. Eines Tages, viele Jahrzehnte später, der Krieg zwischen den Ländern tobt immer noch, wird Jamalludin die Möglichkeit erhalten, zurück zu seiner Familie zu kehren. Olga Grjasnowa erzählt in ihrem Roman nicht nur von einem Kind, das zwischen zwei Identitäten und zwei Religionen steht und in diesem Zwiespalt aufwächst. Sie erzählt auch von den territorialen Bestrebungen Russlands, das bereits damals die Länder um das Großreich herum einnimmt, was im heutigen Kontext erneut besonders spannend ist. Ihr ist also ein Roman gelungen, der nicht nur die historischen Begebenheiten schildert, wenn auch ausgeschmückt nach Grjasnowas Vorstellung, sondern zudem die psychologischen Faktoren einbringt, die das Aufwachsen mit zwei Identitäten mit sich bringt.

Fazit

Vermutlich haben wir etwas geschummelt, als dass wir uns für zeitgeschichtliche Bücher entschieden haben. Aber beide Romane haben uns einmal mehr auf den Geschmack des Genres, Historische Romane, gebracht, sodass wir ganz bestimmt noch einmal tiefer in die Trickkiste greifen werden bzw. in der Zeitleiste auf unserer Zeitmaschine ;-): Und auch mal Geschichten aus noch früheren Epochen lesen werden. Für Tipps sind wir wie immer aufgeschlossen!

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