Von einer ganz besonderen Freundschaft: Rezension zu „Schatten der Welt“ von Andreas Izquierdo

Ich bin sprachlos, überwältigt, fasziniert.

„Schatten der Welt“ stand schon ganz lang auf meiner Leseliste. Vor allem wurde es von Bloggern hoch gelobt und empfohlen, deren Meinung ich sehr schätze und deren Buchgeschmack meinem ähnlich ist. Sonst hätte ich wohl offen gestanden die Finger davon gelassen. Historische Romane lese ich eher selten. Zudem spielt ein Großteil des Buches während des Ersten Weltkrieges, ein Thema wonach mir im Moment aufgrund der Ernsthaftigkeit der Corona-Krise eigentlich nicht ist.

Wenn es euch ähnlich gehen sollte, dann lasst euch bitte nicht davon abschrecken: Denn ich persönlich bin mehr als froh, den Roman nichtsdestotrotz in die Hand genommen und ihn gelesen zu haben.

Inhalt

Die Geschichte von einer ganz besonderen Freundschaft beginnt in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg und handelt von dem Dreiergespann Carl, Artur und Luise, genannt Isi: Sie haben viele Flausen im Kopf, haben vor allem auch große Träume. Aufgrund ihrer einfachen Verhältnisse, aus denen sie stammen, haben sie kaum Perspektiven. Das hindert sie jedoch nicht an dem Versuch, ihre Träume zu verwirklichen: Sei es als Fotograf wie Carl, als Unternehmer wie Artur oder als unabhängige und für ihre Rechte kämpfende Frau, Isi. Und so erobern eine Lehrerstochter, ein Schneiderssohn und ein Wagner (altertümlicher Begriff für den Handwerksberuf in einer Räderei) die Welt rund um Thorn, eine Kleinstadt in Westpreußen. Bis der Erste Weltkrieg beginnt und sich die Welt für alle schlagartig ändern wird. Die Freunde müssen sich trennen, in der Hoffnung, dass die Wege wieder zusammen führen werden.

„Schatten der Welt“ von Andreas Izquierdo: Eines von Luises Favoriten 2020

Kritik

Schatten der Welt: Ein Titel, dessen Bedeutung offen gelassen wird, aber unglaublich viel Interpretationsspielraum bietet und deutlich macht, wie facettenreich dieser Roman ist.

Mit Schatten der Welt könnte zum einen die Arbeiterschicht gemeint sein, aus der die Protagonisten stammen. Denn wirklichen Einfluss und Macht konnte man zu der Zeit nur als Teil der Oberschicht erlangen, zumal das Dreiklassenwahlrecht noch Bestand hatte. Die Lebenswege waren so klar vorgegeben und begrenzt. Aber auch der Krieg, der thematisiert und abgehandelt wird, kann als Schatten der Welt gemeint sein.

Carl, der Ich-Erzähler des Romans, dessen Traum es ist, mal die Welt zu verändern, das „Auge der Welt“ zu sein, begreift mit der Zeit, dass er sich stattdessen nicht den gesellschaftlichen Prinzipien entziehen kann. Artur bewegt sich nur allzu gern an den Grenzen des Legalen. Und Isi? Isi ist eine Frau und befindet sich damit zur damaligen Zeit auf der Schattenseite der Gesellschaft. Sie ist abhängig von Männern wie von ihrem cholerischen, tyrannischen Vater oder von ihrem Arbeitgeber, einem Großgrundbesitzer. Als Frau kann sie vor allem nichts daran ändern, denn ihr fehlt gänzlich das Recht auf Wählen. Sie begreifen sich wohl alle drei als Schatten der Welt.

Es ist ein Roman, der meines Erachtens sogar Schullektüre werden könnte, wenn es um das Thema Gesellschaftsverhältnisse in der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges geht. Ich musste damals „Im Westen nichts Neues“ lesen. Mich persönlich hat es offen gestanden eher gelangweilt. Zwar ist es sicher ein wichtiges Buch, da es die traurige Realität eines Soldatenlebens im Krieg zum ersten Mal schonungslos beschrieben hat. Nur empfand ich es sowohl inhaltlich als auch sprachlich zu monoton. Der Roman „Schatten der Welt“ ist lebendiger und emotionaler.

Das Buch hat, wie ich es bereits im Adventsgeflüster Vol. 2 beschrieben habe, nämlich auch einen unglaublich mitreißenden Sprachstil. Er nimmt einen trotz der mitunter sehr traurigen sowie ernsthaften Themen, mit – locker, leicht und rhythmisch. Es handelt sich um eine sehr berührende Geschichte über Freundschaft, Zusammenhalt, Hoffnungen und vom Glaube, dass Träume irgendwann doch wahr werden können: egal woher man kommt oder was man werden will.

Es ist ein Buch, was einen zum Lachen, aber auch bitterlich zum Weinen bringt. Was einen mittreibt und am Ende den Atem anhalten lässt. Es ist ein Roman, der mich wirklich sehr überrascht hat.

Fazit

Und insofern, lange Rede, kurzes Fazit: Es zählt definitiv zu meinen liebsten Büchern 2020 und daher spreche ich eine klare Leseempfehlung aus, für diejenigen, die das Genre Historische Romane und für diejenigen, die literarische Romane lieben und zögern, wenn es um das jeweils andere Genre geht. Es wird beide Lesergruppen überzeugen, davon bin ich wiederum überzeugt.

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