Ein literarischer Roadtrip: Quer durch Europa und zurück

In den letzten Jahren habe ich viele Länder außerhalb von Europa entdeckt. Meine letzte größere Reise führte mich nach Bali, Tasmanien, Fiji und Neuseeland. Auch dieses Jahr, in einer Zeit vor Corona, entdeckte ich die Stadt New York und berichtete euch in einem Beitrag von meiner Reise. Das Entdecken von neuen Kulturen, Essen, Trinken und das Kennenlernen der Menschen macht für mich Reisen so wertvoll. Und nach den vielen und teilweise sehr langen Flugreisen der letzten Jahre stand für mich fest, das Nahe, also Deutschland und Europa entdecken zu wollen. Wohin mich meine aktuelle Reise führte, welche Bücher mich auf dem Weg begleiteten und was ich dabei erlebt habe, davon möchte ich euch in diesem Beitrag berichten.

Eine Reise quer durch Europa, hier in Slowenien

Erste Station: Barockstadt Ludwigsburg

Ludwigsburg liegt etwa 12 km nördlich von Stuttgart im schönen Baden-Württemberg. Bereits im August war ich in der Region für einen Wochenendausflug und war begeistert. Also sollte dies der Auftakt meiner dreiwöchigen Reise quer durch Europa werden. Neben dem Residenzschloss und „Blühenden Barock“ sei besonders der Marktplatz hervorzuheben. Fahrradtouren den Neckar entlang, vorbei an den Weinbergen, sind eine tolle Abwechslung, wenn man sich von der barocken Architektur der Stadt oder einem Ausflug nach Stuttgart sattgesehen haben sollte. Besonders gefallen hat mir die Felsengartenkellerei (unbedingt zu empfehlen, wenn man gerne Wein trinkt) oder die Stadt Besigheim. Auf dieser Station beendete ich „Die Pest“ von Albert Camus (Rowohlt), von welchem ich euch berichten werde. Natürlich konnte ich auch nicht an einer Buchhandlung vorbeigehen und stelle euch hier meine Neuerwerbungen vor:

Das Residenzschloss in Ludwigsburg

1. „Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami, erschienen im Dumont Verlag im August 2020
Das Cover und der Buchtitel haben mich schon seit einiger Zeit gereizt. Und ebenso die unzähligen Rezensionen, die ich auf Instagram von unseren BloggerkollegInnen gelesen habe. Auf meinem E-Book-Reader hatte ich bereits die Leseprobe gelesen und war von den ersten Seiten begeistert. Der Stil und die Erzählweise haben mir sehr gut gefallen und als ich das Buch in der Buchhandlung entdeckte, musste ich es mitnehmen. Das Buch spielt in Japan und handelt von drei Frauen. Von der dreißigjährigen Natsuko, ihrer älteren Schwester Makiko und deren Tochter Midoriko. Es handelt von dem Wunsch nach einer Brustvergrößerung, einer Tochter, die mitten in der Pubertät steckt, sowie einer kinderlosen, unverheirateten Frau, die sich ihrer Rolle in der Gesellschaft unklar ist. Reizvoll ist die Geschichte, da es ein Thema aufgreift, welches scheinbar in der japanischen Gesellschaft tabuisiert wird. Ich bin jeweils sehr gespannt, ob sich mein erster Leseeindruck bestätigt.

„Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami

2. „Herkunft“ von Saša Stanišić, erschienen im Luchterhand Literaturverlag im März 2019
Ein Buch über Heimat und den damit verbundenen Gefühlen. Was bedeutet Heimat und Herkunft, wenn man fern von dem Land lebt, in welchem man geboren wurde? Der Begriff Heimat ist für mich als in Dresden Geborene und Aufgewachsene, aber schon lang in Hamburg Lebende, immer noch unklar und schwebend. Das ist wohl auch der Grund, warum mich der Titel in der Buchhandlung und in diesem Moment so angesprochen hat. Vielleicht aber auch die etwa 50 Taschenbücher, die mitten in meinem Weg aufgebaut waren. Luise hat euch in ihrer Rezension zu „Herkunft“ bereits ausführlich von dem Buch berichtet, daher möchte ich lieber an dieser Stelle von meiner nächsten Station auf meiner Reise berichten.

Zweite Station: Südtirol und die Dolomiten

Wintereinbruch in den Dolomiten

Der Weg von Süddeutschland nach Südtirol ist nicht mehr weit. Einmal quer durch Österreich und schon ist man in Bozen. Dort treffe ich eine Freundin, mit der ich die Dolomiten erobern will. Der Alta Badia Höhenweg hat es uns angetan und soll uns sieben Tage quer durch das UNESCO Welterbe führen. Vorbei an Fünftausender- Gipfeln, durch Täler und von Hütte zu Hütte, endlich abschalten vom Alltag und Natur pur genießen. Am Morgen unseres ersten Wandertages liegt eine Schneedecke über der Landschaft und mein Auto ist bedeckt mit etwa zehn Zentimeter frischem Schnee. Und so bezaubernd er zwar ist, so macht der Schnee uns leider dennoch einen Strich durch die Rechnung, zu gefährlich wäre der Aufstieg schon zur ersten Hütte ohne Steigeisen fast nicht machbar. Der Wetterbericht verspricht leider auch für die kommenden Tage keine Verbesserung und so verschieben wir die Tour kurzerhand auf 2021 und machen uns auf den Weg zu unserer nächsten Station. Trotzdem war der Abstecher in die Dolomiten schön, besonders der Anblick der drei Zinnen lässt einen demütig im Anbetracht der Schönheit der Natur staunend zu den Gipfeln hochblicken.

Dritte Station: unerwartet schönes Slowenien

Passstraßen hoch und runter, zwischendrin die Sorge, ob mein etwa 16 Jahre altes Auto den Weg wohl schaffen wird und einen Zwischenstopp in Triest später erreichen wir Slowenien. Vor dem Grenzübergang noch schnell die Coronalage gecheckt, eine Unterkunft mitten im Nirgendwo gebucht, fühlen wir uns direkt wohl. Sehr herzlich und mit Rotwein aus der Region werden wir von unseren Gastgebern begrüßt. Die Outdoorküche unserer Unterkunft verspricht auch ein bisschen „Draußen“- Gefühl. An unserem ersten Tag holt uns dennoch der Regen ein, aber Regentage sind ja auch wunderbare Lesetage. Und wenn man mit Freunden reist, haben die manchmal Bücher im Gepäck, die man selber noch nicht kennt. So bin ich auf meine nächsten Empfehlungen gestoßen:

3. „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht, im Suhrkamp Verlag erschienen im Juli 1964, erstmalig erschienen 1941
Drei Götter reisen auf die Erde und sind auf der Suche nach den guten Menschen. Einem Gerücht nach würde es diese nicht mehr geben, denn aufgrund der aktuellen Lage hat die Menschheit den Glauben an die Götter verloren. Sie begegnen der gutherzigen Shen Te, die aufgrund ihrer Lebenssituation gezwungen ist, in die Rolle ihres skrupellosen Cousins Shui Tas zu schlüpfen. Die Parabel stellt den Konflikt zwischen Moral, Überleben und ethischen Grundsätzen hervorragend dar, ist witzig und stimmt zugleich nachdenklich. Wieviel Gutes und wieviel Schlechtes kann in einem Menschen zugleich stecken und wie gehen wir in der Rolle der Shen Te, damit um? Ich habe dieses Theaterstück jedenfalls sehr genossen.

4. „In der alten Sonne“ von Hermann Hesse, im Suhrkamp Verlag erschienen im März 1988 und entstanden 1904
Vier Landstreicher leben in einem Armenasyl, welches vormals das ehemalige Gasthaus „Zur alten Sonne“ war. Die von der Gesellschaft ausrangierten Existenzen verbringen ihre letzten Lebensjahre in dieser uns ungewöhnlich erscheinenden Gemeinschaft. Hermann Hesse schafft es auf eine tragische und komische Weise zugleich dieses Zusammenleben zu beschreiben. Die knapp 100 Seiten lesen sich sehr flüssig und nehmen mir gemeinsam mit dem zuvor vorgestelltem Buch von Bertolt Brecht, ein wenig die „Angst“ vor den großen Namen der deutschen Literaturgeschichte. Gerne mehr davon, denke ich bei mir und blättere die letzte Seite um.

Natürlich verbringen wir die Tage nicht nur lesend, sondern bezwingen doch auch den einen oder anderen Berg, wandern durch Täler und vorbei an wunderschönen Weinbergen. Sehr zu empfehlen ist das Vipava-Tal und der Triglav-Nationalpark, welche wir auf unserer siebentägigen Reise vom Süden Sloweniens Richtung österreichische Grenze erkundet haben.

Vierte Station: Auf Heimatbesuch in Dresden

Nichts finde ich schlimmer als Autofahrten, die länger als vier Stunden dauern, auch wenn man sich zwischendurch abwechseln kann. Und bevor ich für ein paar Tage in meine Heimatstadt Dresden reise, esse ich deshalb Mozartkugeln und Sachertorte in Salzburg, zähle Kuhglocken im Allgäu und besuche Freunde in München. In Dresden entdecke ich dann meine letzte Buchvorstellung für diesen Bericht, aber wohl von einer der am meist diskutiertesten Autorin der letzten Wochen. Besonders im Zusammenhang mit einem Literaturfestival, welches in Hamburg stattfand. Zu diesem wurde Lisa Eckhart zunächst eingeladen, dann ausgeladen, wieder eingeladen oder doch ganz ausgeladen?

5. „Omama“ von Lisa Eckhart, erschienen im Hanser Verlag im August 2020
Die Kabarettistin polarisiert und legt den Menschen in ihrem Programm ein Spiegel vor, in den niemand reinschauen möchte. In ihrem Debütroman „Omama“ nimmt sie uns mit in die österreichische Vergangenheit und einmal quer durch die Nachkriegsgeschichte. Lisa Eckhart porträtiert das Leben ihrer Oma Helga so bitterböse und humorvoll, dass es schon fast wieder wehtut. Der Konflikt mit ihrer Schwester um die Gunst der Besatzer, die von Oma Helga organisierten Busreisen nach Ungarn um Fleisch zu schmuggeln und eine Liebesgeschichte auf einer Kreuzfahrt. Schon die ersten Seiten strotzen nur so vor schwarzem Humor, wie man ihn bereits von ihrem Bühnenprogramm kennt. Lisa Eckhart ist eine Kunstfigur und auch ein Pseudonym, daher handelt es sich vermutlich auch um eine fiktive Geschichte. Ich bin jedenfalls gespannt, wie der Roman sich entwickelt.

„Omama“ von Lisa Eckhart

Nach drei Wochen geht meine Reise quer durch Europa zu Ende und ich komme wieder in Hamburg an. Hier empfängt mich der Herbst in seiner ganzen Pracht und verspricht viele Lesestunden auf der Couch. Auf meiner Reise bin ich vielen Menschen begegnet, habe eine neue Kultur entdeckt (Slowenien), neues Essen (Bleder Cremeschnitte) und Getränke (Wein, Wein und noch mal Wein) kennengelernt. Manchmal schweift der Blick immer noch in die Ferne, aber dabei liegt das Gute manchmal so nahe, dass wir es fast übersehen. Meine erste, knapp 3.000 km lange Europatour mit dem Auto wird bestimmt nicht die letzte gewesen sein. Und nun freue ich mich auf die ruhigen Tage mit Tee und meinen vielen neuen Buchentdeckungen, die ich auf der Reise gesammelt habe.

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