Klassiker im Sommer: Das Geisterhaus und Frankenstein

Regelmäßig erscheinen Listen mit einer Auswahl an Klassikern, die man gelesen haben sollte. Ob man sie nun wirklich lesen muss, ist eine Entscheidung, die jeder individuell treffen kann. Allerdings geben sie Einblicke in Liebe, Tod, Macht, Freiheit, Gerechtigkeit und Identität und zeichnen jeweils ein individuelles Bild, wie beispielsweise im 18. oder 19. Jahrhundert über genau diese Begriffe nachgedacht wurde. Dies kann besonders interessant sein, wenn man es mit der eigenen persönlichen Definition vergleicht. Vielleicht sehnt sich der Mensch in unbeständigeren Zeiten aber auch nach der Verlässlichkeit die besonders Klassiker ausstrahlen, nicht zuletzt da sie auf eben diesen Listen als Kanon erscheinen. Es scheint daher auch nicht verwunderlich, dass eben solche Listen immer wieder aufs Neue in Zeitungen, Zeitschriften oder Blogs erscheinen.

Im Zuge unseres diesjährigen Schwerpunkts Backlistlesen habe ich zu zwei antiquarischen Büchern von meinem Stapel ungelesener Bücher gegriffen, die regelmäßig auf genau solchen Listen auftauchen: Isabel Allendes Das Geisterhaus und Mary Shelleys Frankenstein. Über beide Werke wurde bereits viel geschrieben und gesagt, ihre Bedeutung im literarischen Kanon betont und ihre Einordnung in die Zeitgeschichte diskutiert. Doch was haben diese Bücher persönlich mit mir gemacht?

Das Geisterhaus von Isabel Allende

Ausgabe von 1995, erschienen bei Suhrkamp

Aus diesem Buch nehme ich das schönste Zitat mit, das ich je über das Sterben gelesen habe:

Wie in den Augenblicken, wo wir auf die Welt kommen, haben wir auch im Sterben Angst vor dem Unbekannten. Aber die Angst ist etwas Inneres und hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Sterben ist wie geboren werden: Nur eine Veränderung. (S. 337)

Mit ihrem 1982 veröffentlichten Debütroman Das Geisterhaus erzählt Isabel Allende die Geschichte einer reichen Familie der Oberschicht. Das Land wird nicht genau genannt. Jedoch aus biografischen Gründen und untermauert durch historische Ereignisse, liegt es nahe, dass wir uns in Chile befinden. In dem Buch geht es mitnichten nur um das Sterben, vielmehr um den Aufstieg und Fall einer Familie, die alles hatte und dann doch alles verliert. Es geht um Liebe, um Magie und um Vergänglichkeit – alles Themen, die mich an Büchern besonders reizen und die Isabel Allende in Das Geisterhaus für mich spannend, punktgenau und kurzweilig zu Papier gebracht hat. Was mir jedoch an ihrem Debütroman darüberhinaus in Erinnerung bleibt, ist die besondere Atmosphäre, die die Geschichte ausstrahlt, denn sie erzählt auch von Hoffnung, wo man keine vermuten mag. Für mich persönlich also eine ganz wunderbare Entdeckung. Übersetzung von Anneliese Botond.

Frankenstein von Mary Shelley

Ausgabe von 1994, erschienen bei Bastei Lübbe

Ich werde mich nun outen: Bis ich mit dem Lesen von Frankenstein begonnen habe, war mir nicht klar, dass nicht das Monster Frankenstein heißt, sondern sein Schöpfer. Und ob die Bezeichnung Monster überhaupt zutreffend ist und wer im Roman eigentlich das wahre Monster ist, darüber ließe sich sicherlich vortrefflich diskutieren. Im Gegensatz zu Isabel Allendes Geisterhaus fiel es mir nicht ganz so leicht, Frankenstein in einem Zug durchzulesen. Die Geschichte ist am Ende sehr ausführlich erzählt und erstreckt sich über viele Seiten, die ich mir stellenweise etwas kürzer und damit vielleicht auch pointierter gewünscht hätte. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, fasziniert mich der Roman trotzdem noch lange, nachdem ich ihn bereits Anfang des Jahres gelesen habe. Nicht zuletzt deshalb, weil er bereits 1818 erschienen ist und schon damals Fragen zu wissenschaftlicher Ethik, Moral und Genetik aufwarf, die bis heute Bestand haben und weil er von einer 21-jährigen Frau, Mary Shelley, verfasst wurde. (Übersetzer/Übersetzerin nicht genannt)

Klassiker haben wir auf dem Blog in jedem Fall schon ein paar besprochen, dennoch gehören wir beide nicht zu der Fraktion: Dies oder jenes Buch muss man gelesen haben. Vielmehr ergibt es sich, wenn ein Jubiläum ansteht oder wir durch unseren Schwerpunkt ältere Literatur entdecken, wie zum Beispiel dieses Jahr durch unseren Leseschwepunkt und wir Lust darauf haben. Welche Klassiker liegen vielleicht bei euch auf der Leseliste oder wären eure persönlichen Empfehlungen? Ich bin in jedem Fall neugierig auf weitere Klassiker. Im Dezember wird es etwa ein Jane-Austen-Jubiläum zum 250. Geburtstag geben. Nächstes Jahr wäre Ingeborg Bachmann wiederum 100 Jahre alt geworden – vielleicht die nächsten Autorinnen und damit mal wieder Klassiker von Frauen, mit denen wir uns beschäftigen könnten? Ganz wichtig sollte dabei jedoch sein: Sich in jedem Fall nicht von eben solchen Listen unter Druck setzten lassen.

Klassiker zum Weiterlesen:

Bei uns im Archiv:

Besprechung zum Thomas Mann Jubiläum
Besprechung zu Christa Wolf und Anna Seghers
Besprechung zu Jane Eyre Charlotte Brontë und Die Sturmhöhe von Emily Brontë sowie Siegfried Lenz und Ernest Hemingway

Und außerdem:

Hundert beste Bücher: Der ZEIT-Kanon
Spiegel Literaturkanon

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