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„Also ich halte es für überwertet, mit siebenundzwanzig zu sterben. Ich denke, Jimi Hendrix und Janis Joplin haben da wirklich einen Fehler gemacht. Mit siebenundzwanzig fängt alles erst an […]. Im Nachhinein von allem erzählen, das ist doch das eigentlich Geile. Dann ist alles nur noch Anekdote und Nostalgie und nicht Weltschmerz und Anstrengung.“ Damit beginnt Sophie Passmanns „Komplett Gänsehaut“. Sie ist selbst gerade erst einmal 27 Jahre, aber nimmt es zum Anlass einen Kommentar über ihre und meine Generation, die vielbesagten Millennials oder auch Generation Y, und über das Erwachsenwerden zu schreiben. Es liest sich gar wie ein Manifest, also wie eine öffentliche Erklärung darüber, was diese Generation ausmacht und wie Sophie Passman sie sieht und bewertet.
Bevor ich selbst zum Buch griff, habe ich mich verleiten lassen, die eine oder andere Buchkritik zu lesen. Es reichte von Lobgesängen bis hinzu Verrissen. Ich war froh darüber. Denn persönlich finde ich es eine der besten Voraussetzungen, bevor ich ein Buch lese, wenn es polarisiert. So habe ich weder zu große Erwartungen, noch bin ich allzu kritisch. Mich motiviert es vielmehr, mir ein eigenes Bild davon zu machen. Habe ich doch darüber hinaus sowohl „Alte weiße Männer“ als auch „Frank Ocean“ von Sophie Passmann gelesen und jeweils ihren pointierten Schreibstil sehr gemocht.
Welches Bild ich mir von „Komplett Gänsehaut“ machen konnte und ob ich Sophie Passmanns Statement über die Millenials als gelungen erachte? Um es vorwegzunehmen, es ist kein einseitiges Bild. Es ist eher kompliziert.
Daher habe ich mich auch dazu entschieden, diese Kritik dahingehend zu splitten, was mir eher gefiel, und was mir eher missfiel.
Buchkritik –
„Komplett Gänsehaut“ von Sophie Passmann
erschienen bei Kiepenheuer & Witsch im März 2021
Positive Kritikpunkte
Erst neulich habe ich begonnen, während des Lesens Stellen zu markieren, indem ich kleine Klebezettel nutze. Viel zu oft ärgere ich mich nämlich anschließend, vor allem wenn ich Rezensionen schreibe, dass mir die eine oder andere gute Stelle nicht mehr einfallen will und ich Zitate nicht wiederfinde. Dennoch bin ich erstaunt, wie viele Klebezettel es bei Sophie Passmanns „Komplett Gänsehaut“ letztendlich geworden sind.
Zu Beginn markiere ich nahezu auf jeder Seite ein Zitat. Die ersten Seiten von „Komplett Gänsehaut“ lese ich sehr amüsiert. Dabei denke ich mir: Oh man, ja! Du triffst den pointierten Nagel auf den Generationen-Klischee-Kopf, liebe Frau Passmann. Und bei all dieser Auffassungsgabe über unsere gesellschaftlichen Marotten und Absurditäten bist du wirklich erst 27 Jahre alt? Gleichzeitig fühle ich mich des Öfteren peinlich berührt, nahezu ertappt, da das eine oder andere Klischee der Generation auch auf mich zutrifft: „Verdammt noch mal, bei jedem Umzug stelle ich den ‚Zauberberg‘ ins Regalfach auf Augenhöhe und warte auf den Grund, wieso mich das interessieren soll. Im Regalfach darunter geht es weiter mit Büchern von Menschen in meinem Alter, die mal ein Wochenende in Berlin waren“. Bei mir ist es zwar nicht der Zauberberg, jedoch andere Klassiker, die ich noch nicht gelesen habe, aber welche ich gerne gut sichtbar hinstelle wie „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann oder Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Immerhin mag ich es, Bücher zu besitzen und gerne auch Klassiker. Und tatsächlich folgen anschließend, ein Regalbrett weiter unten, die modernen Bücher von jungen Autor:innen, deren Büche überproportional oft in Berlin spielen. Sophie polarisiert und ich lehne mich mal soweit aus dem Fenster, dass genau das auch ihr Ziel ist. Sie will irritieren. Sie will provokativ sein und deshalb auch einfach mal verallgemeinern, also anmaßen, dass Eigenarten bestimmter Blasen als Eigenarten einer ganzen Generation betrachtet werden können. Anecken kann Sophie Passman.
Sophie Passmanns Schreibstill klingt insgesamt, über das Buch hinweg, wie in ihren ZEIT-Kolumnen und Büchern zwar zum einen passiv aggressiv und zynisch, gleichzeitig aber auch pointiert und nuanciert. Ich muss während des Lesens viel schmunzeln und ihr zustimmen.
Und auch mal widersprechen.
Negative Kritikpunkte
Ab der Mitte des Buches beginnt mich Sophie Passmann dann zu verlieren. Ich störe mich an all diesen Verallgemeinerungen, selbst wenn sie, wie eben erwähnt, auch absichtlich gemacht werden könnten. Es irritiert zu sehr. Es dreht sich sehr viel um DIE Millenials.
Zu viel Aggressivität und Generationenhass versammelt sich auf den Seiten. Gerade als Sophie Passmann ab der Hälfte des Buches beginnt, das Wort Nazi gefühlt inflationär zu benutzen, bin ich drauf und dran das Büchlein beiseite zu legen. Nein, das ist mir zu viel des Guten. Es soll den Spiegel vorhalten und sarkastisch und bisweilen zynisch sein, aber so auf die Passmann’sche Spitze des (Eis)-Berges getrieben, dass ich selbst lange nur noch runterrolle. Zudem sind viele Sätze einfach zu lang (ein Satz erstreckte sich sogar über anderthalb Seiten) und beinhalten insgesamt zu oft das Wort „hassen“.
Wir befinden uns mit dem Buch in vielen Blasen. Gerade die des gutbürgerlichen Mittelstands wird gerne von der Autorin auf den Korn genommen – diejenigen, die auf Instagram so tun, als seien Selbstoptimierung und Perfektionswahn normal. Genauso wie es normal ist, in Berlin, Köln oder Hamburg in der Stadtmitte noch eine Altbauwohnung zu ergattern, die in einer dieser Straßen mit Conceptstores und Biomärkten liegt, Die Inneneinrichtung besteht aus „individuellen“ Vintage-Möbeln und der Camper steht neben der Wohnung. Diese Blase scheint Sophie Passman sichtlich zu hassen. Nur oft scheint sie auch im Zwiespalt zwischen, dass sie all dem wirklich nichts abgewinnen kann und voller Sebstironie und auch Selbsthass sagen will, dass sie (leider) dazugehört: „Manchmal wünsche ich mir, dass ich ehrlich besser als meine Freunde wäre, aufrichtiger und ernsthafter in meinem Versuch, kein komplett verwöhntes Mittelstandsgirl zu sein, denn dann könnte ich sie wenigstens wirklich hassen. Die Autorin spricht häufig „von mir und meinen Freunden“, einer Blase, die nicht automatisch eine ganze Generation repräsentiert. Aber genau dieser Eindruck wird bei mir während Leseprozess des Öfteren geweckt, dass es manchmal nur einzelne Blasen betrifft, die so oder so denken und so oder so handeln, aber wir diese Eigenarten gleich DER Generation oder DEN Millenials zusprechen.
Fazit
Zum Schluss bekommt Sophie Passman letztendlich die Kurve und beschreibt insgesamt treffend und mit viel Humor und Schlagfertigkeit, was Erwachsensein und Erwachsenwerden so ausmacht, gerade in unserer Generationen, für die Corona, die schlimmste gesellschaftliche Krise ist, die wir bis jetzt erlebt haben. Nach dem Buch habe ich einer ihrer Kolumnen im ZEIT-Magazin gelesen und stelle fest: Ja, pointiert schreiben ist und bleibt Sophie Talent, und das auch auf die Spitze getrieben. Aber vielleicht sind 170 Seiten dann doch etwas zu viel des Guten gewesen? „Komplett Gänsehaut“ ist eine Mischung aus einer ironischen Sprechart à la Lorelei von Gilmore Girls, dem intellektuellen Analysieren einer ganzen Generation wie von Michael Nast und am Ende auch ganz individuell Sophie Passmanns Stils. Einige Fans werden enttäuscht sein, andere begeistert. Ich stimme sowohl ihren Kritiker:innen als auch ihren Lobredner:innen zu: Das Buch ist einerseits (passive) Agressivität von Sophie Passman as its best, aber auch gleichzeitig etwas zu viel davon.
Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars, das mich nicht in meiner Beurteilung beeinflusst hat.