In unserer Sommerpause haben wir nicht nur kräftig Sonne, Meer und Energie getankt – Luise in Frankreich an der Atlantikküste, Aline auf Kreta – in der Strandliege, mit Sonnencreme-Duft in der Nase sowie wahlweise mit einem Eis oder gekühltem Getränk in der Hand und etwa einem Podcast auf die Ohren. Vor allem aber haben wir auch fleißig geschmökert!
Apropos Podcast: In der letzten Folge unseres Podcasts Aufgeblättert – Dein Book Blind Date, falls ihr sie noch nicht kennt, hatten wir einen absoluten Sommerbuchtipp mit Sogwirkung und Irland als Lebensgefühl in unserem Speeddating: Die Sache mit Rachel von Caroline O’Donoghue
Sowie folgenden, heißen Buchtipp, der sich hinter dem ersten Satz des Blind Date verbirgt: „Hinten rechts spannt sich eine dünne Narbe, ich spüre sie unter den Fingerspitzen, taste mich an ihr entlang, vergesse manchmal, dass ich sie habe.“ Und zwar ist es das Buch – ein Roman, der tief in die Gedankenwelt seiner Protagonistin blicken lässt und durch eine bildhafte Sprache besticht.
In unserer frisch erschienenen vierten Podcast-Folge versuchen wir den Bestseller-Code von Caroline Wahls Büchern 22 Bahnen und Windstärke 17 zu knacken. Luise hat beide Bücher nach Empfehlung von Aline im Urlaub gelesen und sehr gemocht. Ob wir es schaffen? Hört doch mal rein ;-). Außerdem findet sich noch ein Sachbuch als Blind Date versteckt über Vergänglichkeit, vor allem im Schönen und Kleinen. Hier direkt reinhören.
Auf unserer Leseliste in der Sommerpause waren übrigens einige erhellende Sachbücher dabei:
Sachbücher – Kurz zusammengefasst
Row Zero* von Daniel Drepper und Lena Kampf – Die Investigativjournslisten haben hinter die Kulissen der Musikindustrie geblickt und mit über 200 Menschen, von Machtmissbrauch mutmaßlich Betroffenen, aber auch Musikern, Managern, Produzenten und vielen mehr, gesprochen. Ziel von Drepper und Kampf ist es, aufzuzeigen, wie sexistische Strukturen in der Musikindustrie wirken.
Die kurze Stunde der Frauen* von Miriam Gebhardt über das Symbolbild der Trümmerfrau, dessen idealisierter Mythos entzaubert wird. Die Autorin beschreibt das Lebensgefühl der Frauen in der Nachkriegszeit zwischen Aufbruch, Ernüchterung und Überlebenskampf.
Sachbuch-Highlight von Luise:
„Toxische Weiblichkeit“ von Sophia Fritz
Erschienen bei Hanser Berlin, März 2024*
Toxische Männlichkeit als Phänomen ist spätestens seit der #metoo-Bewegung als solches entlarvt worden. „Das ist toxisch männlich!“ geht uns mittlerweile leichter über die Lippen und kann empowernd sein. Nur sollten wir uns klar machen, dass das Patriarchat auch toxisch weibliche Bilder hervorruft, um sich anzupassen oder innerhalb dessen behaupten zu können.
Sophia Fritz beleuchtet die prägnantesten Bilder toxischer Weiblichkeit: „Das gute Mädchen“, „Die Powerfrau“, „Die Mutti“, das „Opfer“ oder aber „Die Bitch“ – Typen von Frauen, die jedem sicher schon begegnet sind. Vermutlich kennt jede Frau diese Verhaltensweisen genauso an sich, mal mehr oder weniger ausgeprägt. So findet frau sich etwa plötzlich „Ja und Amen“ sagend wieder, um keinen Konflikt einzugehen oder mit ausgefahrenen Ellbogen in der Berufswelt, gar unsolidarisch gegenüber anderen Frauen.
Ich mochte die Herangehensweise von Sophia Fritz, als dass sie diesen Bildern jeweils ein Kapitel widmet, sie ausführlich aufdröselt, die Gefahren aufzeigt. Zumal die Autorin jedes Mal ein Stück von sich Preis gibt, aufzeigt, dass alle Arten toxischer Weiblichkeit in ihr schlummern. Ich habe die Analyse gerne gelesen, mit neuen Aspekten, erhellenden Momenten. So wird deutlich, dass alle benannten Verhaltensweisen in ihrer zugespitzten Form nie auf Augenhöhe sind, sondern unterwürfiges oder wiederum dominantes Verhalten aufweisen – als ein Überlebenskampf im Patriarchat, in dem man sich entweder einordnet durch Unterordnung (das brave Mädchen oder die umsorgende Mutti) oder indem man in den Kampfmodus geht (Die Powerfrau oder die Bitch). Alle Formen können machtvoll sein, wenn man sie berechnend ausspielt, können aber sich gegenüber toxisch sein, da man sich Zwängen hingibt. Zwar haben die Typen jeweils wichtige, positive Eigenschaften, die wir nicht verlieren, aber freier ausüben sollten und nicht im Korsett des Patriarchats.
Außerdem haben wir für euch Buchtipps zusammengestellt, in Vorbereitung auf die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sowie in Brandenburg – die ersten Wahlen am 01. September haben bereits ein Stimmungsbild aufgezeigt, das erschüttert, aber uns erneut aufrütteln sollte, ENDLICH zu handeln und miteinander zu reden:
Ostbewusstsein von Valerie Schönian
Nullerjahre von Hendrik Bolz
Die neue Entfremdung von Jessy Wellmer
Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas Rietzschel
Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts von Jakob Springfeld
Romane – Kurz zusammengefasst
Und alle so still von Mareike Fallwickl*: Stell dir vor, Frauen würden die Care- und Sorgearbeit niederlegen und sich zu einem Protest zusammenfinden – allerdings nicht zu einer klassischen Demonstration mit Plakaten, Megaphonen und lauten Parolen, sondern still auf dem Boden liegend. Genau dieses Gedankenspiel greift Mareike Fallwickl auf. Ob es gelungen ist?
Mein letztes Jahr der Unschuld* von Daisy Alpert Florin handelt von einer beklemmenden Beziehung zwischen einer jungen Studentin und ihrem Professor. Es ist kein leichter College-Roman, sondern vielmehr einer, der die Schattenseiten hinter den Mauern solcher Institutionen und zudem häusliche Gewalt und Missbrauch in einer Nebenerzählung behandelt.
Mitternachtsschwimmer* von Roisin Maguire spielt an der Steilküste Irlands, die so zerklüftet wie das Innenleben seiner Protagonisten erscheint. Die Geschichte plätschert jedoch etwas vor sich hin, die Protagonisten bleiben einem fern. Die Geschichte hat für Aline bedauerlicherweise nicht funktioniert.
Dieser Garten von Mely Kyak lässt einen in den schattigen Klostergarten der Nonnen aus Fulda entfliehen. Es ist eine feinsinnige Erzählung über biologische Gartenkultur und das Leben einer Klostergemeinschaft, die geprägt von den Frauen der Gemeinschaft war und ist.
In Die Farbe von Milch von Nelly Neishon erzählt Mary ihre Geschichte selbst, das Erlebte wirkt lebendig, der klaffende Gegensatz zwischen dem Leben auf dem Bauernhof und dem der Bürgerlichen im England des 19. Jh. ist mehr als spürbar. Als Bauernmädchen schreiben zu lernen, ist damals keineswegs selbstverständlich. Um dies zu verdeutlichen, wird in dem Buch fast gänzlich auf Kommasetzung verzichtet – ein Umstand, der Luises Lesefluss erschwerte. Nichtsdestotrotz flog sie durch die Seiten.
Das glückliche Paar* von Naoise Dolan Der Roman wirkt wie ein Theaterstück, in dem jede*r der Beteiligten seine Bühne bekommt. Der Roman ist eine emotionale Achterbahn, gleichzeitig leichtfüßig und unglaublich unterhaltsam.
Roman-Highlight von Aline:
„Mühlensommer“ von Martina Bogdahn
Erschienen bei KiWi im April 2024*
Möglicherweise habe ich gerade ein Brot gebacken und musste dabei an Martina Bogdahn denken, die uns in ihrem Debütroman „Mühlensommer“ auf den Hof ihrer Kindheit mitnimmt. Dort wird jetzt Brot gebacken, und wie das alles so gekommen ist, erzählt sie in ihrem autofiktionalem Buch das neben der Idylle auch von den Herausforderungen des Großwerdens auf dem Land handelt:
Maria will mit ihren Töchtern übers Wochenende in die Berge, doch dann ruft ihre Mutter an. Ihr Vater hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus; es ist ernst. Maria soll auf den Hof kommen und sich um die an Demenz erkrankte Oma, die Schweine und alles andere kümmern. In Rückblenden erzählt die Autorin vom Kindsein, der Liebe zu ihrem Bruder, aber auch von den Entbehrungen und Herausforderungen, die das Aufwachsen auf dem Hof in Franken mit sich bringt. In der Gegenwart bestimmen die Entfremdung von ihrer Familie und die Missverständnisse zwischen Stadt- und Landleben die Geschichte, die jedoch nur einen kleineren Anteil am gesamten Roman einnehmen. Wunderbar fängt Bogdahn die romantische Stimmung ein, die ich als Stadtkind vom Leben auf dem Land habe: Baden im Fluss, sich im Wind wogenden Getreidefelder und die von der Sonne dauerhaft geküsste Haut. Doch Obacht: Die Romantik wird jäh zerstört, wenn die Katzen ersäuft werden, das Schwein geschlachtet wird und Maria in der Schule für ihren Schweinestall-Geruch gemobbt wird. Ich habe mich sehr schnell in all dem Schönen und auch nicht so Schönen der Kindheit von Maria verloren und bin durch die Seiten gejagt, als müsste ich es innerhalb der 40-minütigen Backzeit eines Brotes auslesen. Das mag vor allem an der Wohlfühlatmosphäre liegen, die Martina Bogdahn erschaffen hat, die mich beim Lesen kurz aus der Realität rausgezoomt hat.
Longlist des Deutschen Buchpreises:
„Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas
Erschienen bei Rowohlt im Juli 2024*
Wir freuen uns für die Debütautorin über die Nominierung auf der Longlist des Deutschen Buchpreis. Hier unsere Besprechung dazu.
Die Wohnung ist schön, die Beziehung im Außen harmonisch, und die Kennenlerngeschichte von Jella und Yannick könnte nicht romantischer sein. Doch was, wenn das Außen im Inneren anfängt zu zerbröckeln? Streit und Gewalt Einzug in die vier Wände der zu teuren Dachgeschosswohnung halten. Was passiert, wenn sich Yannicks Hände um Jellas Hals legen und die Harmonie nicht nur ins Wanken gerät, sondern durch einen Wirbelsturm hinweggefegt wird? Wir begleiten Jella in diesem schmerzlichen Prozess des Aufwachens aus einem Albtraum, der bis tief in ihre Vergangenheit reicht. Wir werden konfrontiert mit ihrem Aufwachsen in einer ostdeutschen Kleinstadt irgendwo in der Lausitz, geprägt vom Tagebau, Miniröcken, Lippenstift und zerplatzenden Kaugummiblasen. Den ersten Freund, das erste Mal und die eigenen Unsicherheiten, die mit der Teenagerzeit einhergehen. Wir lauschen Jellas Gedanken und ergründen, ob irgendwo tief vergraben in der Vergangenheit, durch die Erfahrungen, die sie gemacht hat, ihre immerwährende Suche nach Liebe verborgen liegt und wie sie dann doch immer wieder nur zum Spielball der Männer wurde. Von einer intensiven Erfahrung erzählt Ruth-Maria Thomas in „Die schönste Version“. Dabei bleibt sie oft spielerisch leicht in ihrer bildhaften Erzählart, obwohl es zwischendurch kaum auszuhalten ist, so schmerzhaft ist das Geschilderte. Ein großartiges Debüt, so verletzlich und vor allem ehrlich.
Wir gratulieren allen Nominierten ganz herzlich, hier geht’s zur Longlist. Wir sind nun natürlich schon auf die Shortlist gespannt, die am 17. September verkündet wird. Der Sieger bzw. Siegerin wird am 14. Oktober, im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, verliehen.
*Rezensionsexemplare, wie bedanken uns bei den Verlagen für die Bereitstellung der Bücher.