*Presseexemplare*
„Kim Jiyoung, geboren in 1982“ von Cho Nam-Joo
und „Kim Jong-un“ von Jung H. Pak
Die Halbinsel Korea erscheint manchmal wie ein rotes Tuch für mich. Geht es euch ähnlich? Man hört so viel und letztendlich so wenig von den beiden geteilten Ländern Südkorea und Nordkorea. Mit Hilfe von zwei Büchern möchte ich dem Geheimnis, welches die Halbinsel umgibt, ein wenig auf die Spur gehen.
Das Land Südkorea galt letztes Jahr lange als Musterschüler im Zusammenhang mit der Corona-Krise und war dahingehend sehr wohl öfter präsent in den Medien. Betreffend digitaler Nachverfolgbarkeit galt das Land als Impulsgeber. In den 60er Jahren gelang es Südkorea von einem armen Agrarland zu einer Industrienation aufzusteigen, im Bereich Technik wie zum Beispiel bei der Produktion von Computern und Flachbildschirmen haben sie eine marktführende Stellung. Südkorea gilt als fortschrittlich und ist im Gegensatz zu seinem Nachbarstaat eine funktionierende Demokratie. Von Südkorea gehen auch immer wieder Bestrebungen aus, dass das geteilte Korea sich wieder vereinen soll. Das hört man. Das weiß man. [Wikipedia zu Südkorea]
Ein noch roteres Tuch ist sicher der Nachbarstaat Nordkorea. Dieser scheint noch geheimnisvoller, aber auch unberechenbarer. Es ist das scheinbar zum Teil wahrgewordene 1984, wie George Orwell es prophezeit hat. (Dazu habe ich auch bereits vor einiger Zeit den Artikel Dystopien als Spiegel verfasst.) Am 09. September 1948 wurde die „Demokratische Volksrepublik Korea“ proklamiert und gilt seitdem als das weltweit restriktivste politische System der Welt. [Wikipedia zu Nordkorea]
„Kim Jiyoung, geboren in 1982“ von Cho Nam-Joo
Erschienen im Kiwi-Verlag, am 11.02.2021. Zum Buch auf der Verlagsseite
Mit dem Buch „Kim Jiyoung, geboren 1982“ wurde mir bewusst, welche Schwachstelle Südkorea trotz aller Modernität wohl zu haben scheint: Denn wenn es um die Rollen der Männer und Frauen und deren strukturelle Ungleichbehandlung geht, wirken die Südkoreaner:innen bis heute traditionell und konservativ.
Kim Jiyoung, geboren 1982 scheint ein ganz normales, geordnetes, gut bürgerliches Leben mit ihrem Mann und ihrer Tochter zu leben. Es könnte das Leben einer jeden Südkoreanerin oder aber auch einer Frau auf einem anderen Teil der Welt sein. Nüchtern und sachlich wird der Werdegang von Kim Jiyoung von der Kindheit an bis hin zu ihrer Jugend, ihrer Studienwahl, ihrem erste Freund und den Weg in die Arbeitswelt, Schwangerschaft und Familiengründung beschrieben. Überall begegnen ihr entweder unterschwellig oder aber auch offensiv Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts. Noch immer wünschen sich viele Südkoreaner:innen Jungs. Jiyoung nimmt es lange Zeit als selbstverständlich hin, dass sie und ihre Schwester im Haushalt helfen, ihr Bruder aber spielen kann. Dass erst die männlichen Mitschüler in der Pause essen dürfen, die Mädchen dann weniger Zeit haben. Die Mädchen dafür sorgen, die Eltern finanziell zu unterstützen, damit unter anderem die Brüder studieren können. Männliche Mitstreiter eher einen Arbeitsplatz oder eine Beförderung bekommen, weil die Frauen mit der Familiengründung sowieso in aller Regel kündigen werden. Die Frau irgendwann wieder finanziell die Familie mit unterstützen muss, aber mit einem Job, der mit den KITA-Zeiten vereinbar ist. Belästigungen von Männern werden häufig nicht geahndet, immerhin könnte ein zu kurzer Rock als Einladung interpretiert werden. Und genau durch diese ungerechten Strukturen beginnt Jiyoung mit der Zeit zu realisieren, traut sich aber selten, laut zu protestieren.
Und so scheint es symptomatisch als Jiyoung als über Dreißigjähre plötzlich beginnt, andere Stimmen und Charakterzüge anzunehmen, in denen sie die Rollen von Frauen aus ihrem Vertrautenkreis annimmt: sei es die Rolle ihrer Mutter, Schwester, von einer Freundin oder gar die Exfreundin ihres Mannes. Es ist noch einmal mehr eine Metapher dafür, dass die Protagonistin als Sinnbild für alle Frauen in Südkorea, aber auch auf der Welt stehen kann. Dank Tina von Monatslese weiß ich, dass Kim Jiyoung mit der häufigste Name in den 80ern in Südkorea war. Quasi die Mia Müller in Deutschland, im Jahre 2020. Und dennoch fand ich es etwas schade, dass dieses Wandern von Jiyoung durch die verschiedenen Rollen nur zu Beginn des Buches aufgegriffen wird, ohne dass noch einmal am Schluss Bezug darauf genommen wird.
Vielleicht kann es sein, dass der eine oder die andere erst einmal ernüchtert ist, nach dem Lesen dieses Romans, der wie ein Sachbuch geschrieben und auch sogar mit den Quellenangaben versehen ist. Aber mich hat der internationale Bestseller fasziniert. Ich wollte mehr über die gesellschaftlichen Gepflogenheiten dieser für mich so scheinbar fernen Welt wissen. Denn obwohl es auch in Südkorea natürlich schon Fortschritte gibt, die auch in der Entwicklung des Lebens von Jiyoung, vor allem auch im Vergleich zu ihrer Mutter, sichtbar werden, so sind viele Ungleichheiten vor allem noch in den Denkmustern der Bürger:innen verhaftet. Das Ausmaß wirkt noch deutlich stärker als im heutigen Deutschland und dennoch – zumindest zum Teil – lernt man, dass diese Welt unserer näher scheint, als wir erwarten.
Das Buch hat nur knapp 200 Seiten. Es kommt unscheinbar daher, mit einem vermeintlich nichtssagenden Titel und einem Cover, auf dem eine gesichtslose Frau zu sehen ist. Jedoch sind es noch einmal mehr Indizien für folgende Botschaft, die das Buch vermittelt: Es kann jede Frau betreffen. Jede Frau hat wohl schon einmal diskriminierende Sprüche oder Handlungen, bewusst oder unbewusst spüren müssen, einfach aufgrund des Geschlechts. Das kleine Buch schmerzt nicht, liest sich schnell und dabei steckt so viel in diesen Seiten, was man gar nicht zu denken vermag. Daher große Leseempfehlung zum Thema sükoreanische Gesellschaft, aber auch allgemein zu Feminismus und Frauenrechte, eine Leseempfehlung für alle Frauen und Männer!
„Kim Jong-un“ von Jung H. Pak
Erschienen im Dumont-Verlag, am 21.07.2020. Zum Buch auf der Verlagsseite
Da es nur selten überhaupt Zugänge zu diesem Land gibt, werde ich umgehend aufmerksam, sobald es neue Dokus oder Bücher zum Thema gibt. „Stern des Nordens“ von D.B. John war für mich auch ein absolutes Lesehighlight. Es handelt sich zwar um einen fiktiven Politthriller, ist aber durch umfangreiche Quellennachweise und durch den Autoren, der als Tourist nach Nordkorea reisen durfte, authentisch beschrieben. Als ich dann von dem Sachbuch der CIA-Analystin und Nordkorea-Expertin Jung H. Pak über das Leben und der Politik von dem Diktator Kim Jong-un erfuhr, wusste ich, dass ich dieses Buch zum Thema Nordkorea unbedingt lesen möchte, nein muss.
Als der Vater des aktuellen Diktators, Kim Jong-il, starb schaute die ganze Welt auf Nordkorea. Würde es endlich zu einem Bröckeln der Fassade oder gar zu einem Sturz der sozialistischen Diktatur führen? Vorsicht Spoiler: nein. Im Gegenteil Kim Jong-un trat in die Fußstapfen seines Vater und Großvaters und baute den Personenkult um sich und die diktatorischen Strukturen sogar aus. Eine schillernde Persönlichkeit, die gleichzeitig angsteinflößend und unberechenbar ist.
Von außen scheint es zwar leicht, Kim Yong-un in Form eines erwachsenen Kindes als Karikatur zu zeichnen, wobei unter anderem Atomwaffen sein Spielzeug sind. Aber es ist auch gefährlich, denn dieses „Riesenbaby“, wie die Autorin den Diktatur mitunter charakterisiert, hat Macht. Jung H. Park gibt einen sowohl geschichtlichen als auch politischen Abriss über Nordkorea und wie das Land zu der sozialistischen, abgeschotteten Diktatur werden konnte, das es heute ist. Auch gibt die Autorin exklusive Einblicke in das Leben, die Entwicklung und Ziele des Diktators. Zudem analysiert sie das Netzwerk um ihn, das ihn wesentlich unterstützt, einschließlich seiner Schwester und seiner Frau.
Dieses Buch hat zwar ungefähr doppelt so viele Seiten wie das erste und liest sich auch weniger so dahin, ich möchte es aber mindestens genauso empfehlen. Es ermöglicht einem einen Lichtschein in das dunkle Schattenleben einer machtvollen Diktatur im Norden Chinas. Es schafft die Komplexität einer uns scheinbar schier unmöglichen Welt verständlich abzubilden.
Fazit
Ähnlich wie damals die Bürger:innen der DDR und BRD sind die Sükoreaner:innen und Nordkoraner:innen zum einen Landsleute, zum anderen trennen diese beiden Staaten Welten (und das seit über 70 Jahren und viel schärfer durchgesetzt als bei der damaligen innerdeutschen Grenze). Südkorea – demokratisch, fortschrittlich, modern, aber scheinbar dennoch traditionell gebunden, wenn es um Gleichberechtigung und Unabhängigkeit von Frauen geht. Nordkorea – abgeschottet, düster, eine vermeintlich wahrgewordene Dystopie. Gleichzeitig umgeben beide Länder für mich etwas Mystisches, im Sinne von: Die fernen Länder im Südosten der Welt. Es umgibt sie meiner Meinung nach genau diese (Morgen)-Stille, wie die Bezeichnung des Landes Korea treffend schildert. Und genau deshalb bin ich immer wieder angetan, wenn es Literatur oder mediales Material gibt, welches die beiden Länder Koreas darstellt.