Die Entwicklung der Stimme der Frauen: „Hexen“ von Marion Gibson

„Hexen waren die Verkörperung von allem Bösen, sie waren die perfekten Feindin.“ (S.19)

„Hexen. Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute“ von Marion Gibson, aus dem Englischen von Karin Schuler und Thomas Stauder.

Inhalt

Marion Gibson nimmt in ihrem Buch „Hexen. Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute“ die Perspektive der Beobachterin ein und erzählt die Geschichte von 13 als Hexen verfolgten und angeklagten Personen, zumeist Frauen. Sie teilt ihr Sachbuch in drei zeitliche Abschnitte, welche von den Anfängen der Hexenjagd berichten. Beginnend im ersten Abschnitt im frühen 16. Jahrhundert, im zweiten Abschnitt bis in die neuere Zeit – ab der französischen Revolution – reichen, und die Transformation in die heutige Zeit im dritten Abschnitt erzählen. So berichtet sie von König James VI. von Schottland, der stark an der Hexenjagd interessiert war, was Ende des 16. Jahrhunderts unter anderem zum Prozess gegen Anna Koldings führte. Oder den Prozess gegen die indigene Sámi Anfang des 17. Jahrhunderts auf der norwegischen Insel Vardo, wo 2011 ein Denkmal für die insgesamt etwa 90 Hexen errichtet wurde, die in verschiedenen Hexenprozessen hingerichtet wurden. Bedrückend ist auch das Vorgehen der britischen Kolonialbehörden gegen lokale Anführer im Lesotho von 1948 sowie die tragische Geschichte der sehr gläubigen Marie-Catherine Cadière Anfang des 18. Jahrhunderts, die in die Fänge eines zutiefst manipulativen Mannes gerät. Insbesondere diese beiden Prozesse zeigen gut die Transformation, die die Hexenjagden durchlaufen haben, die Marion Gibson in ihrem Buch beschreibt, auf: Von der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen bis hin zur Neuzeit mit Verfolgungen, fast schon Jagden, zum Beispiel noch jetzt in den Sozialen Medien.

Kritik

Für mich sind Sachbücher häufig anstrengend, doch Marion Gibson erzählt die 13 Prozesse mühelos und leicht, sodass für mich fast kein Unterschied besteht, ob ich hier einen Roman oder ein Sachbuch lese. Dies mag insbesondere daran liegen, dass sie jeden Prozess hinreichend einführt und Hintergründe sowie örtliche Begebenheiten wunderbar nacherzählt. So wandere ich unterbewusst beim Prozess von Marie-Catherine Cadière nicht nur durch die Gassen des kleinen französischen Dorfs, sondern habe auch den Lavendelgeruch der Provence in der Nase. Oder sehe die Berge, die Innsbruck umschließen, vor mir, wie im ersten Prozess gegen Helena Scheuberin. Sie beschreibt aber auch sehr gut die damaligen Zusammenhänge und Hintergründe, wie zum Beispiel die familiären Hintergründe von König James in Schottland was zunächst vielleicht als überflüssig wirken könnte, jedoch in der späteren Betrachtung des Prozesses im 16. Jahrhundert wichtig wird.

Dabei empfinde ich den Ton, mit dem Marion Gibson die Prozesse erzählt, als parteiisch und eher kritisch den Anklägern gegenüber, was zumeist daran liegen dürfte, dass die Prozesse weder gerecht geführt, noch die Anklagepunkte aus heutiger Sicht Substanz haben dürften. Dies ist jedoch nur Rückblickend betrachtet möglich, denn zur damaligen Zeit und dem damaligen Glauben, gab es schlicht eine andere Auffassung.

Besonders schön ist, dass das Buch durch die verschiedenen, in sich geschlossenen Kapitel nicht in einem Rutsch oder in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden muss. Sicherlich wird die Transformation deutlicher, wenn man es in der Reihenfolge von Anfang bis Ende liest. Dennoch können die Prozesse auch unabhängig von einander gelesen werden. Einleitung, Zwischenspiel und Epilog bilden dabei ein inhaltlich und sachlich einordnendes Element. Knapp 60 Seiten Anmerkungen und Quellenverzeichnis hängen dem Buch an, ein Verweis darauf, wie umfassend recherchiert das Erzählte ist.

Fazit

Schockierend ist für mich mit dem Buch die sich einmal mehr verdeutlichende Erkenntnis, dass es zumeist Frauen sind, die seit Jahrhunderten unter ihren Peinigern zu leiden haben. Verknüpfen wir das vorliegende Buch zum Beispiel mit der #metoo-Debatte, feministischen Kampftagen oder auch mit Büchern wie „Männer, die Frauen hassen: Von Incels bis Pick-Up Artists“ von Laura Bats, in denen es um extreme Misogynie in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen geht, ist es erschreckend, wie lange und mit welchen Ausprägungen es meistens Frauen sind, die Opfer sind. Frauen, die sich gegen bestehende Strukturen zur Wehr setzen, feministische Aktivistinnen, Heidinnen, von Armut betroffene oder auch alleinerziehende Mütter. „Frauen, die für naturnahe, nicht-patriarchale Überzeugungen eintreten, (…) wurden seit dem Mittelalter und quer durch die Geschichte dämonisiert, (…).“ (S. 459). Und dass es Hexenprozesse waren, die den Auftakt einer jahrhundertelangen Verfolgung bildeten und die dazu geführt haben, dass Frauen ihre Stimme gefunden haben.

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar

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