Langersehnte Fortsetzung: Rezension zu „Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood

Die Fortsetzung von „Der Report der Magd“ erschienen im Berlin Verlag, September 2019

Zum Buch auf der Verlagsseite

Für mich war es DIE langersehnte Neuerscheinung 2019 schlechthin, auf die ich hinfieberte. Es war eine DER Fortsetzungen, auf die ich gespannt wartete: „Die Zeuginnen“, die Fortsetzung von dem Klassiker „Der Report der Magd“.

Eigentlich war solch eine Fortsetzung nicht eingeplant, als Margaret Atwood in den 80er Jahren „Der Report der Magd“ schrieb, eine Dystopie über einen frauenfeindlichen Gottesstaat: „Gilead“. Das Buch handelt von einem Staat, der nach einer Atomkatastrophe aufgrund des Notstands ausgerufen wird. Frauen dürfen kein Geld mehr besitzen und auch Lesen und Schreiben ist ihnen verboten. Nur noch wenige Frauen können Kinder gebären und werden dazu als Sklavinnen gehalten. Das Buch wurde aus der Sicht einer solchen Sklavin, einer sogenannten Magd, geschrieben.

Nachdem letztes Jahr in Amerika die gleichnamige Serie ein großer Erfolg und auch das Buch erneut zum Bestseller wurde, fühlte sich die Autorin vermutlich animiert, eine Fortsetzung zu Ihrem Klassiker zu schreiben. Ob diese meinen hohen Erwartungen gerecht werden konnte? Erfahrt es in meiner Rezension:

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„Die Zeuginnen“: Die Fortsetzung von „Der Report der Magd“

Inhalt

In der Fortsetzung laufen drei Stränge nebeneinander her, die in Form von Zeugenberichten verfasst sind und damit dem Tonus des ersten Buches folgen, da auch in der Ursprungsgeschichte der Report als wissenschaftliches Dokument verwendet und für die Nachwelt überliefert schien.

Diesmal, im zweiten Roman, handelt es sich um andere Frauenrollen innerhalb dieses Gottesstaates: Zum einen eine sogenannte Tante. Tanten sind in Gilead Lehrerinnen und Missionarinnen sowie diejenigen, die anderen Mädchen und Frauen im Staat ihre konkrete Rolle aufzeigen. Denn jede Frau hat ihrer Bestimmung zu folgen. Als einzige Gruppierung von Frauen dürfen Tanten des Lesens und Schreibens mächtig sein. Tante Lydia als oberste Tante gehört zu denjenigen, die den Staat Gilead aufgebaut haben und gehört zu den einflussreichsten, wenn sie nicht sogar die bedeutendste Tante ist.

Zudem gibt es die Perspektiven zweier Mädchen: Beide verlieren ihre Mutter in jungen Jahren und müssen feststellen, dass es ein Geheimnis in der jeweiligen Familie gibt, was ihr Leben umkrempeln wird. „Die kleine Nicole“, ein wichtiges Heldinnensymbol des Staates Gilead, wird sie miteinander verbinden.

Agnes, eine der beiden, lebt in Gilead in einem angesehenen Kommandantenhaus und ist kurz davor, zu heiraten und zwar einen angesehenen Mann der Führungsebene. Ihre Rolle ist es, ihrem Mann eine gute Ehefrau zu sein und in Unterdrückung zu leben.

Daisy lebt in Kanada in der Nähe der Grenze von Gilead. Sie erfährt, dass ihre Eltern Aktivisten waren, die unterdrückten Frauen aus Gilead zur Flucht verhalfen, bis sie bei einem Autounfall um’s Leben kamen. Nun soll sie die Rolle einnehmen und dafür sogar nach Gilead gehen…

Kritik

Da der Report der Magd allein aus der Sicht der Magd geschrieben wurde, in Form von Tagebucheinträgen, war die Sicht auf den Staat eingeschränkt. Man erfuhr mehr über die Gedanken der Magd und wie sie die neue Welt beurteilte, die sich zu dem Zeitpunkt gründete. Bevor sie eine Sklavin in Gilead wurde, war sie eine selbstbewusste, eigenständige Frau. Doch wie der Staat genau funktionierte und wie er sich in den ersten Jahren entwickelte, blieb im ersten Teil weitestgehend verborgen. Es kommt am Ende durch vermeintliche wissenschaftliche Schriften über den Staat erst stärker zum Tragen. Das wiederum kommt in der Fortsetzung deutlich stärker heraus. Die Welt wird durch die einzelnen Zeugen vielschichtiger und klarer. Atwood zeigt diesmal konkreter die Komplexität des Gottesstaates auf.

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Die Bücher von Margaret Atwood, Bestseller Autorin

Allerdings hat mich das zweite Buch sonst leider nicht so wie das erste überzeugen können. Sprachlich hatte man den Eindruck, dass das Buch unter Zeitdruck veröffentlicht werden sollte und so die bekannte Ausgefeiltheit und sprachliche Dichte der Autorin fehlte. Zudem sollte die deutsche Übersetzung zeitgleich mit dem Original erscheinen, was man ihr anmerkte und Grund für sprachliche Einbußen sein kann. (Hier empfiehlt sich wohl ein Vergleich mit dem Original, was ich mal noch anvisiere).

Insgesamt entwickelte sich für mich der Handlungsverlauf der drei Stränge von Tante Lydia, Agnes und Daisy, die mit der Zeit zusammenlaufen werden, als zu vorhersehbar. Den Protagonistinnen fehlt es an Tiefe, was Atwood bei der Magd im ersten Teil deutlich mehr gelang. Darüber hinaus nimmt die Geschichte Jugendbuch-Charakter an, spätestens als sich eine vermeintliche Heldin herauskristallisiert, die den aristokratischen Staat von innen heraus zerstören soll. Man hatte den Eindruck, dass die Autorin zu viel wollte: eine herausragende Fortsetzung schreiben, die Welt Gilead stärker abbilden, aber gleichzeitig auch eine hohe Bandbreite an Leserschaft sowie voraussichtlich vor allem damit auch die jungen Serienjunkies ansprechen. Es war sichtlich zuviel.

Und dennoch, trotz der benannten Einbußen, hatte das Buch Spannung und hielt unvorhersehbare Ereignisse bereit, sodass man weiterlesen und wissen wollte, ob der Staat gestürzt werden kann. Die Fortsetzung bewies Tempo und hat mir Fragen über das System und die Strukturen in Gilead beantwortet, mit dem mich „Der Report der Magd“ unbefriedigt zurückließ. Auch zeigt Atwood wieder erschütternde Parallelen zur realen Welt auf, indem sie Strukturen, Meinungen und Glaubenssätze aufnimmt, die in der Realität existieren und so irgendwo, irgendwann bereits bestanden oder bestehen. Der Staat steht diesmal nicht ganz allein, sondern es werden auch die Beziehungen zu anderen Ländern wie Kanada aufgegriffen, Beziehungen zur „realen Welt“, was es erfahrbarer macht.

Fazit

Es fehlte mir insgesamt an literarischer Kunst und Feinfühligkeit von Sprache und Charakterentwicklung der Protagonisten, für welche die Bestsellerautorin eigentlich bekannt ist. Das Potential, was die fiktive Welt „Gilead“ bereithielt, schien viel zu wenig ausgeschöpft. Die politische Brisanz und literarische Bedeutung des ersten Bandes bleiben aus und so war ich zum Ende hin etwas ernüchterter als gewünscht.

Aber vielleicht waren auch meine Erwartungen insgesamt zu hoch angesetzt, da ich die Fortsetzung sehnlichst erwarte. Alles in allem ist es nichtsdestotrotz eine solide Fortsetzung mit gekonnten Spannungselementen, die „Report der Magd“ Fans noch einmal in die Welt Gilead eintauchen lässt..

 

3 Gedanken zu “Langersehnte Fortsetzung: Rezension zu „Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood”

  1. Super interessante Rezension. Ich habe das Buch auch gerade gelesen und sehe vieles davon ähnlich und einiges auch ganz unterschiedlich als du ? das macht das Lesen für mich immer besonders toll. Zu sehen wie unterschiedlich wir die Bücher wahrnehmen und das Bloggen bietet da die perfekte Plattform, um auch mal andere Sichtweisen aufs Buch zu erhalten! Danke für diese Rezension.
    Hab einen tollen Tag ❤

    1. Oh, dann bin ich auch sehr auf deine Meinung und Rezension gespannt! Wirst du sie bald schreiben? Denn ich gebe dir recht, wären alle der gleichen Meinung, würde die Buchbloggerlandschaft gar nicht so leben können. ?

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