Meine neue Heldin: Eine Rezension zu „Annette, ein Heldinnenepos“ von Anne Weber

Sind wir nicht alle, ab und zu, auf der Suche nach einer Heldin oder einem Helden? Eine Person, zu der wir aufblicken und die uns begeistert. Mitreist und fasziniert. Helden haben die Geschichten der Vergangenheit geschrieben, aber auch in der Neuzeit gewirkt. Ob Odysseus oder Superman. Sei es die Widerstandskämpfer im zweiten Weltkrieg, oder die Menschen die zur Wendezeit auf die Straße gingen. Oder auch gerade erst im letzten Jahr, bei Protesten im Hambacher Forst. Heldentum definiert dabei jeder für sich anders. Die erste Rezension in diesem Jahr kommt aus einem unabhängigen Buchverlag, genau denen, welchen wir uns in diesem Jahr etwas genauer widmen wollen und porträtiert eine Heldin. Das Buchcover kommt rot und knallig daher und erkämpfte sich so in der Buchhandlung meine Aufmerksamkeit. Die Heldin in der Geschichte heißt Annette. Ein Blick auf die Beschreibung im Klappentext und es ist um mich gesehen, der Aufkleber „Preisträger deutscher Buchpreis 2020“ musste da nicht mehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Finde ich hier vielleicht meine persönliche Superwoman?

„Annette, ein Heldinnenepos“ von Anne Weber, erschienen bei Matthes & Seitz Berlin im Februar 2020

„Annette, ein Heldinnenepos“ von Anne Weber


Inhalt

Doch wer ist denn nun eigentlich Annette, deren Name eigentlich Anne Beaumanoir lautet und damit nicht zu verwechseln mit der Autorin, Anne Weber, ist? Anne oder Annette ist eine französische Ärztin, die als sehr junges Mädchen in der Résistance gegen die deutschen Besetzer des zweiten Weltkriegs kämpfte. In der Zeit vor 1945 versteckte sie also Kinder und deren Eltern, zumeist jüdischer Herkunft, vor Nazis. Sie überbrachte Pakete und Briefe an Empfänger im Untergrund und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs. In der Zeit nach 1945 setzte Annette ihr Studium der Medizin in Marseille fort. Sie verliebte sich, heiratete und bekam drei Kinder. Als Professorin der Neurologie war sie zudem auch beruflich sehr erfolgreich. Bis zu dem Zeitpunkt als der Algerienkrieg begann und die Spannungen zwischen der Kolonialmacht Frankreich und dem kolonialisierten Algerien so stark wurden, dass Annette erneut Partei für die Unterdrückten ergriff. Wieder schleuste sie Menschen durch das Land, wieder versteckte sie andere Menschen und wieder sympathisierte sie, diesmal nicht mit den Kommunisten, sondern mit der algerischen Befreiungsfront. Bis zu einem Zeitpunkt im Jahr 1959, wo sie verhaftet und mit ihrem dritten Kind schwanger zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Schnell noch gelang ihr die Flucht nach Algerien, wo sie sich fortan dem Aufbau des Gesundheitssystems widmete, nachdem Algerien befreit wurde. Dies ist also ein Biografie über keine gewöhnliche Frau und so ist auch der Schreibstil des Romans, alles andere als gewöhnlich.

Kritik

Und damit kommen wir direkt zu einem der herausragendsten Merkmale des Buches, neben der beeindruckenden Biografie von Annette. Das Epos (altgriechisch ἔπος „Wort, Vers“, dann auch „die Erzählung, das Gedicht“), ist in der Antike neben Drama und Lyrik eine Hauptform der Dichtung(*). Und ein wahres Epos eröffnet sich dem Leser bereits auf der ersten Seite. Manchmal reimend, meistens aber auch nicht, hat Anne Weber (die Autorin) das Leben der Annette in Verse gesetzt. Ohne dabei zu ermüden oder anstrengend zu werden, wie es bei Gedichten schnell auch mal der Fall sein kann, hat Anne Weber mit dem Epos eine Form gewählt, die der Geschichte und der Heldin gerecht werden. Anhand von Zitaten und einer persönlichen Note zum Schluss des Romans wird deutlich, dass die Autorin und ihre Figur eng zusammen gearbeitet haben müssen. Ein Umstand, durch den die Geschichte noch lebhafter und persönlicher erscheint.

Anne Weber verwendet die Form des Epos in ihrem Roman


Fazit

An dieser Stelle will ich die Jury des deutschen Buchpreisbindung sprechen lassen, die meiner Meinung nach hervorragend auf den Punkt bringt, was auch mich so sehr an dem Buch begeistert hat: „Die Kraft von Anne Webers Erzählung kann sich mit der Kraft ihrer Heldin messen: Es ist atemberaubend, wie frisch hier die alte Form des Epos klingt und mit welcher Leichtigkeit Weber die Lebensgeschichte der französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir zu einem Roman über Mut, Widerstandskraft und den Kampf um Freiheit verdichtet. „Annette, ein Heldinnenepos“ ist eine Geschichte voller Härten, die Weber aber mit souveräner Dezenz und feiner Ironie erzählt. Dabei geht es um nichts weniger als die deutsch-französische Geschichte als eine der Grundlagen unseres heutigen Europas. Wir sind dankbar, dass Anne Weber Annette für uns entdeckt hat und von ihr erzählt.“ (**)
Ich für meinen Teil, habe eine Heldin gefunden, die ich sicher mal wieder in dem Roman wieder besuchen werde.

Infos zum Verlag Matthes & Seitz

Der kleine Verlag mit Sitz im Herzen des Prenzlauer Bergs, Berlin, wurde 2004 gegründet. Seit dem ist er stetig gewachsen und mit vielen Preisen ausgezeichnet worden. Darunter, neben dem Deutschen Verlagspreis 2019 und 2020, mit dem Karl-Heinz-Zillmer-Verlagspreis 2012. Andreas Rötzer (seit 2004 Verleger von Matthes & Seitz) wurde als Verleger des Jahres 2017 ausgezeichnet. Klassiker in der Neuübersetzung, deutsche Gegenwartsautoren sowie französische Autoren bilden einen Schwerpunkt ebenso wie ein umfangreiches geisteswissenschaftliches Sachbuchprogramm, mit Fokusthema Natur und eine Essayreihe mit dem Titel „fröhliche Wissenschaft“. Besonders gefällt mir, dass der Verlag seit 2017 den Deutschen Preis für Nature Writing gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz, dem Bundesumweltamt und der Stiftung Nantesbuch, vergibt, um ein neues deutschsprachiges, literarisch-essayistisches Schreiben über Natur anzuregen.
Website zum unabhängigen Verlag: https://www.matthes-seitz-berlin.de/

(*) Danke an dieser Stelle an Wikipedia
(**) Zitat entnommen von der offiziellen Website

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