Unser erster Lesemonat im neuen Jahr
Der Januar 2022 stand für uns ganz unter dem Motto ‚Vorsätze umsetzen‘ zum Neujahresbeginn. Unser Vorhaben im Hinblick auf den Blog und unser Leseverhalten war es, unseren SuB-Stapel – also den Stapel mit ungelesenen Büchern – abzubauen. Unser Ziel als Vielleserinnen ist es entsprechend gewesen, auch mal wieder bewusster zu konsumieren: nicht einfach weitere neue Bücher zu kaufen, obwohl da schon ein Bücherstapel neben dem Lesesessel wartet. Sich nicht durch Buchempfehlungen auf Instagram verlocken zu lassen, da man doch erst einmal diejenigen Bücher lesen möchte, die man letztes Jahr hat ins Bücherregal einziehen lassen, beispielweise dank überzeugender Rezensionen von Bloggerkolleg:innen.
Unsere gelesenen Romane
„Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“ von Björn Stephan (Aline)
Erschienen im Galiani Verlag, Februar 2021
Das Buch hat Aline in den allerletzten Tagen des Jahres 2021 gelesen, das zählt knapp noch als Neujahrsbuch, finden wir ;-).
Der 13-Jährige Sascha Labude sammelt Wörter, ist verträumt und eher schüchtern. Gemeinsam mit seinem besten Freund Sony baut er ein Baumhaus und fährt mit dem Fahrrad durch die leeren Straßen und vorbei an tristen Plattenbauten. Die beiden wachsen in einer Siedlung auf, wie sie in vielen ostdeutschen Orten zu finden ist und wie auch ich in einer aufgewachsen bin. Vor der Wende gehypt als Vorzeigeneubauprojekt, verliert die Siedlung nach der Wende ihren Charme und alle wollen weg. Die, die wegkönnen, ziehen in schöne Reihenhaussiedlungen, die anderen bleiben da und neue Bewohner kommen hinzu. So wie Juri, die mit ihrer Mutter nach Klein Krebslow zieht und so ziemlich alles über das Universum weiß, was es zu wissen gibt. Bald freundet sie sich mit Sascha an und bringt sein bisher eher ereignisloses Leben durcheinander. Gemeinsam wollen sie die Schläger der Siedlung bekämpfen, müssen dabei einige Hürden überwinden, ihren Mut unter Beweis stellen und um ihre Freundschaft kämpfen. „Vom Weltraum aus ist die Erde blau“ ist thematisch ein klassischer Coming-of-Age Roman, wie ich ihn von Ewald Arenz und Benedict Wells schon gelesen habe. Der Autor Björn Stephan erfindet das Genre nicht neu, legt seinen Debütroman aber geographisch in einen Ort, der mir nicht unbekannt ist, die ostdeutsche Provinz. Daher ist mir der Roman inhaltlich etwas näher als andere Coming-Of-Age Romane ist. Sprachlich und inhaltlich erscheinen mir die Bücher von Arenz und Wells etwas runder, aber es ist und bleibt ein Debütroman, der sich meiner Meinung nach nicht hinter den großen Vertretern des Genres verstecken muss.
„Heimweh“ von Graham Norton (Luise)
Erschienen beim Rowohlt Verlag, Oktober 2021
Als ich Graham Nortons „The Keeper“ (deutscher Titel: „eine irische Familiengeschichte“) auf einem Trip nach Irland spontan gekauft und innerhalb kürzester Zeit verschlungen habe, wusste ich, dass ich unbedingt noch einen weiteren Roman des Autors und bekannten Late-Night-Moderators lesen möchte. Denn das letzte fand ich unglaublich spannend und mitreißend geschrieben. „Heimweh“ beweist, dass Norton ein Händchen für Spannungsromane hat, die gleichzeitig vielschichtige Familiengeschichten sind. Cliffhanger und Wendungen bewegen einen dazu, unentwegt zu lesen.
Der Roman spielt in einem kleinen irischen Ort in der Nähe von Cork. Die Geschichte beginnt in den 1980er Jahren mit einem verheerenden Autounfall, der der Kleinstadt den Atem nimmt. Der junge Connor verlässt daraufhin den Ort, denn er kann mit der Schuld als verurteilter Fahrer des Wagens nicht weiterleben, jedenfalls nicht in der Heimat. Für ihn ist es der einzige Ausweg in die Metropolen der Welt zu ziehen, auch um so zu leben, wie er gern möchte. Der Unfall wird ihn trotzdem immer verfolgen. Gleichzeitig schmerzt es ihn, dass er seine Heimat und seine Familie einfach zurückgelassen hat und er ihnen nicht alles sagen konnte. Doch wie genau würde dieses Wiedersehen mit seinen Eltern und seiner Schwester aussehen?
Mehr Details? Das würde zu viel verraten. Aber soviel: Einige Wendungen sind überraschend, ein paar für mich allerdings auch vorhersehbar und zum Teil etwas konstruiert. Da wurde ich von „The Keeper“ mehr überrascht. Anderseits zeigt „Heimweh“, wie traditionelle Konventionen dazu führen können, dass Familien auseinanderbrechen, aber auch wie sich eine Gesellschaft verändern kann. Auch wenn ich an der einen oder anderen Stelle weniger überrascht wurde, so wurde ich doch wieder sehr unterhalten und konnte zum Start ins neue Jahr wunderbar ins schöne Irland abtauchen und in eine Geschichte, die viel erzählt über Verlust, Verrat, Scham, aber auch über Heimatgefühl und selbstimmtes Leben und Lieben.
„Every“ von Dave Eggers (Aline)
Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, Oktober 2021
Schöne neue digitale Welt: Smartwatches zählen jeden Schritt, messen den Pulsschlag und informieren den Nutzer, wenn er schlecht geschlafen hat. Ist das schon Überwachung oder noch Gesundheitsvorsorge? Wie sehr wird der Nutzer Sklave seiner Uhr am Handgelenk, wenn er gleichzeitig über die Breaking News aus der Welt und Textnachrichten von Tante Irmi informiert wird? Mit „1984“ hat Georg Orwell einen dystopischen Roman vorgelegt, der die totalitäre Überwachung eines Staats beschreibt. Hat Dave Eggers mit „Every“ einen dystopischen Roman rausgebracht, der die totalitäre Überwachung des Individuums selbst beschreibt? Möglicherweise ja. Every ist die größte Suchmaschine gepaart mit dem größten Social-Media-Anbieter und Versandhandel der Welt, quasi ein Google meets Amazon meets Meta. Every bildet damit ein Monopol und analysiert neben Einkaufsverhalten auch soziale Interaktionen und beobachtet das Leben seiner Nutzer ganzheitlich. Die Bevölkerung benutzt die Produkte von Every gerne freiwillig und selbst Regierungen geben Aufgaben an den Konzern ab, die zum Beispiel der Einhaltung von Recht und Ordnung dienen. Mit der Überzeugung, die Menschheit von allumfassender Überwachung und emojigesteuerter Kommunikation zu befreien, beginnt Delany Wells ihren Job in dem Konzern und will gemeinsam mit ihrem Freund Wes den Konzern von innen heraus zerschlagen. Ob das klappt oder nicht, erfährt man als Leser:in auf den letzten 50 Seiten des knapp 600 starken Werks. Aber jeder dieser Seiten zuvor habe ich bis dahin atemlos umgeblättert. Und zum Schluss bleit das Gefühl zurück, dass die von Dave Eggers konstruierte Welt vielleicht schon viel realer ist als man glauben mag.
Die ausführliche Rezension von Aline findet sich hier.
Und dann noch die Sachbücher….
„Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an?“ von Brit Bennett (Luise)
Erschienen bei m Rowohlt Verlag, September 2021
Die Würfel sind gefallen. Brit Bennett ist Schwarz, du und ich sind weiß. Du und ich glauben vielleicht, Zeitreisen in die Vergangenheit seien etwas Erstrebenswertes, Britt Bennett und andere People of Color wohl eher nicht. Zeitreisen sind ein Privileg.
Die Geschichte der Schwarzen Bevölkerung ist von Leid, willkürlicher Gewalt und Diskriminierung geprägt, zum Teil bis heute (und wenn ich genau darüber nachdenke: hätte ich als Frau gerne in der Vergangenheit gelebt?) In „Was fange ich bloß mit guten, weißen Menschen an? legt Britt Bennett mit ihren klugen Thesen und Fragen den Finger in die Wunde. Warum glauben so viele weiße Menschen, dass sie gelobt werden müssten, wenn sie gegen die Ungleichbehandlung von Schwarzen agieren, z.B. mit einer Teilnahme an Demos? Sollte es immer wieder Filme über die Sklavenaufstände in Amerika geben, darf solch ein Thema zu Unterhaltungszwecken dienen? Und wie konnte ein frauenfeindlicher Rassist wie Donald Trump gewählt werden?
Dieses kleine Büchlein zwingt einen dazu, sich mit dem für einen selbst scheinbar fernen Thema Rassismus zu beschäftigen und das eine oder andere Denkmuster zu hinterfragen. Denn meist denken wir nur nicht darüber nach. Wieso sprechen wir zum Beispiel immer über Schwarze Opfer, aber meist nie über weiße Täter?
Wir haben nicht die Wahl weiß zu sein, vielmehr ist es ein Privileg. Dabei ist es so banal, jede Hautfarbe sollte ein Privileg sein. Aber die Realität ist meist noch eine andere, wie die Black Lifes-Matter-Bewegung demonstriert und jüngste Ereignisse der Zeitgeschichte wie der Tod von George Floyd beweisen.
Ein erster (wenn wohl auch nicht genügender Schritt) ist es, sich deshalb mit dem Thema auseinanderzusetzen, wie mit den Essays von Britt Bennett und sobald Ungleichbehandlungen von diskriminierten Gruppen wie People of Color, Frauen oder der LBTQI*-Szene sichtbar werden, sollten wir dies nicht hinnehmen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Farbe bekennen, ohne Lob dafür bekommen zu müssen.
„Allein“ von Daniel Schreiber (Aline)
Erschienen bei Hanser Berlin, September 2021
#unpopularopinion
Es gibt in der Bookstagram-Communtiy Bücher, die einen gewissen Hype erfahren. In der Vorweihnachtszeit war es nach meinem Eindruck „Allein“ von Daniel Schreiber. Und manchmal ist es auch schön, sich von diesem Hype anstecken zu lassen und Teil eines großen Ganzen zu sein. Aber was, wenn ich als Bloggerin, entgegen der gefühlt 99,9 % positiven Rezensionen, das Buch einfach nicht mögen kann? Soll ich trotzdem darüber sprechen und das Buch rezensieren? Diese Frage habe ich mir bei „Allein“ gestellt und hier folgt nach einigen Gesprächen mit Luise und anderen Blogger:innen, die mich in meiner Meinung bestärkt haben, meine *unpopular opinion*: Mein vermutetes Neujahreshighlight ist wohl eher ein Flop geworden. Und dabei habe ich mich sehr auf das Essay gefreut. Gefreut auf das Alleinsein in den ersten Tagen des neuen Jahres, ohne viele Verabredungen und mit einem Buch, dass mich auch literarisch in das Alleinsein entführt. Zugegebenermaßen war meine Erwartungshaltung aufgrund der vielen positiven Meinungen und des Spiegelbestseller-Stickers hoch. Davon abgesehen ist da natürlich auch noch die Vorstellung, dass mir das Alleinsein erklärt wird. Bekommen habe ich ein Buch voll mit Namen von Philosoph:innen, Psycholog:innen, Wissenschaftler:innen und zum Teil nur die Vornamen, von mit dem Autor bekannten Autor:innen die sich alle in einer bestimmten Art und Weise schon mal Gedanken zum Alleinsein gemacht haben. Das Ganze verschachtelt in Sätze, die mir zum Teil mit Fremdwörtern und vom allgemein sprachlichen Ausdruck her zu kompliziert erschienen, sodass ich viele Sätze mehrmals gelesen oder übersprungen habe. Inhaltlich bildet es wohl eine Blase von privilegierten, in Großstädten lebenden Ende 20 bis Mitte 40-jährigen-Intellektuelle ab, zu der ich mich zwar gezählt hätte, aber aus der ich mich auf einmal ausgeschlossen fühlte. Inhaltlich habe ich, obwohl es mit Sicherheit voll von Fakten war, nichts mitgenommen über das wirkliche Leben des Alleinseins. Das hat mich insgesamt eher frustriert zurückgelassen.
Das Motto des bewussten Bücherkonsums heißt für uns auch, sich regelmäßig von Buchschätzen zu trennen. Aline macht das regelmäßig, aber Luise hängt da doch schneller mal an dem einen oder anderen Buch. Nun hat sie sich jedoch ein Herz gefasst und mal wieder einen Bücherschrank aufgesucht, um dem einen oder anderen Schmöker ein neues zu Hause zu geben.
Fazit
Jeder Anfang ist zwar ein Fortschritt, aber wenn wir unsere Bücherregale so anschauen, müssen wir auch zugeben: da geht noch was! Auch der Februar wird noch unter dem Zeichen des SuB-Abbaus stehen, damit wir pünktlich zur Lit Cologne in Köln und zur Leipziger Buchmesser im März wieder voll gewappnet sein können und genug Platz für die tollen Neuerscheinungen haben, die der Buchmarkt bieten wird.
Für die Vielleser:innen unter euch: Was haltet ihr von bewusstem Bücherkonsum? Habt ihr auch den Neujahresbeginn mit seinen guten Vorsätzen genutzt, um euren SuB abzubauen? Und an die anderen: Habt ihr euch mal wieder vorgenommen, ein gutes Buch zu lesen? Wir freuen uns in jedem Fall, von euren Vorsätzen rund ums Lesen zu hören, gerne hier oder bei Instagram unter dem entsprechenden Kommentar!