Über den Tellerrad: Die Miniaturen „So nah“ – Auftakt Teil I

Diejenigen, die unseren Jahresrückblick gelesen haben, wissen es bereits – unser diesjähriger Themenschwerpunkt wird „Über den Tellerrand“ heißen. Was das bedeutet?

Unser Themenschwerpunkt 2023

Einmal öfter ein Buch in die Hand zu nehmen, das wir sonst nicht lesen würden – sei es ein für uns unüblicheres Genre wie Krimi, Fantasy, Liebesroman oder der Historische Roman. Sei es ein Buch über ein Thema außerhalb unserer gesellschaftlichen Blase. Oder sei es unser beliebtes Genre zeitgenössische Literatur mal anders, durch einen Perspektivwechsel beispielsweise.

Zum Auftakt unseres neuen Schwerpunkts werden wir diesen Monat beide mit zwei Büchern beginnen, die wir über den Jahreswechsel gelesen haben und uns direkt an unseren neuen Schwerpunkt haben denken lassen. Bei mir war es bei der Lektüre „So nah – Sehnsucht in 26 Miniaturen“ der Fall. Miniaturen: das sind besonders kurze Kurzgeschichten, die zum Teil fragmenthaft bleiben, als wären es eher kleine unfertige Gedankenspiele. Diese Form von Prosa kann auch einen lyrischen Charakter annehmen, ein spannender Gattungsmix also.

Auftakt zum Themenschwerpunkt 2023 „Über den Tellerrand“ – „So nah“

Über den Tellerrand: Die Miniaturen

Als ich letztes Jahr im Sommer „Gelati! Gelati!“ von Lechner & Premper gelesen habe, habe ich mich das erste Mal mit dieser Gattung vertraut gemacht. Es klang aufregend, experimentell, erfrischend anders. Und auch wenn es mich zu dem einen oder anderen eigenen Gedankenspiel inspiriert hat, so wurde ich offen gestanden nicht ganz warm mit dieser Erzählform, zu kurz geraten waren mir dort manchmal die Gedankenspiele, die auch mal nur über ein paar Sätze hinweg gingen. Es schien bereits die fortgeschrittene Form der Miniatur, für die ich vermutlich noch nicht bereit gewesen bin.

Als mich der Autor Robert Seegel ansprach, ob ich nicht Lust hätte, auch sein Buch mit einer Sammlung von Miniaturen zu lesen und vorzustellen, habe ich erst gezögert. Dann jedoch schaute ich mir das Buch genauer an und bemerkte ich schnell: Ja, ich gebe den Miniaturen noch einmal eine Chance! Denn was mich hier unmittelbar ansprach und mir gefiel, war, dass jede Miniatur von einem Foto begleitet wird und so für mich direkt ein vorstellbares Setting erhält, welches sich als Gedankenspiel im Kopf weiterspinnen lässt.

Buchkritik zu „So nah“

Diese Miniaturen im Band „So nah“ sind meist 1- 1 1/2 Seiten lang und ermöglichen damit für mich einen deutlich stärkeren Zugang zu dem für mich doch sehr neuen Format. Sie erlauben mir, einen genaueren Einblick in die jeweiligen kleinen Gedankenwelten zu gewinnen. Die Miniaturen in „So nah“ scheinen dabei Alltägliches aufzugreifen und dabei sich tatsächlich ganz in der Nähe des eigenen Lebens zu tummeln.

Ein Auszug aus „So nah“

„Sie sieht aus dem Fenster, sieht die Landschaften, die neben den Gleisen vorbeihuschen. Austauschbar und oft gesehen.
Und mit ihnen erscheinen bald Stationen, deren Namen ihre Erinnerungen wecken wie schlafende Hunde. Wann kommst du wieder nach Hause? In die alte Heimat?“

Gleichzeitig schweift der Autor in die Ferne, in unbekannte Länder oder in für einen fremde Lebenskonzepte. So fühlte ich mich beim Lesen zum einen in meinen eigenen Gedanken des alltäglichen Lebens bestätigt, war aber auch mal „gezwungen“ in für mich andere Gedankenwelten zu blicken, über den Tellerrand eben!

Ein Auszug aus „So unausgesprochen“

Sie kann ihre Freundin lächeln hören.
Ich bin schwanger, stell dir vor!
Sie kann ihrer besten Freundin nichts vormachen,
Oh wie schön!
Dazu eine Pause, bis die Anrufende fragt: Was ist?
Nichts.
[…]
Sie hält die Luft an, doch den Kopf oben.
Letzte Woche, auf dem Geburtstag ihrer Mutter war das wieder kein Thema, zwischen selbstgebackenem Plunder und nachgebrühtem Kaffee.
Darüber hat man ja nie gesprochen.
So würde ihre Mutter diese Sache einleiten, wenn man sie zwänge.
Sie war es ja auch, die sie in die Klinik fuhr, damals um diese Sache einzuleiten.“

Miniaturen „So nah“ von Robert Segel

Robert Segel traut sich in den Miniaturen auch mutige Gedanken zu formulieren, vermeintliche Tabuthemen wie der Schwangerschaftsabbruch, Einsamkeit im Alter oder auch Beziehungsprobleme anzusprechen. Der Autor geht bei den Gedankenspielen immer nur soweit, dass man auch eigene Gedanken zulassen kann. Diese Gedanken werden durch ausdrucksstarke Fotos des Fotografen Benno Wagner untermalt und eigene Gedanken begleitet. So habe ich mir das Format Miniaturen vorgestellt und wurde diesmal überzeugt. Denn diesmal bin ich bereit gewesen.

Fazit

Wollt ihr auch einmal eine neue Erzählform beziehungsweise Gattung wagen? Dann kann ich euch die Miniaturen empfehlen und möchte euch das Büchlein von Robert Segel ans Herz legen, zumal ihr dabei auch Selfpublishing unterstützt. Bücher von Selfpublishern benötigen einmal mehr Aufmerksamkeit. Viele glauben, dass diese weniger qualitativ wären, dabei darf man nicht unterschätzen, wie schwer es als Autorin oder Autor sein kann, einen der beliebten, aber raren Plätze in Verlagen zu ergattern, was auch von Kontakten, Popularität der eigenen Person oder einfach vom Zufall abhängen kann. Viel Spaß beim Gedankenmachen!

Hier geht es zum Erzählband von Robert Seegel

Es folgt zeitnah Alines Auftakt zu unserem neuen Themenschwerpunkt „Über den Tellerrand“ Teil 2, seid gespannt!

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