Über den Tellerrand: Krimis und Thriller – Zwei Kurz-Rezensionen

Passend zum heutigen Welttag des Buches wollen wir die Vielfalt der Buchlandschaft entdecken und widmen uns wieder unserem Über-den-Tellerrand-Projekt, indem wir ein für uns selteneres Buchgenre lesen: Im April sollen es die Krimis und Thriller sein, ein Genre was die Deutschen scheinbar lieben. Schaltet man abends oder bereits im Vorabendprogramm den Fernseher ein, dann strahlt ein mindestens ein Ermittlerteam entgegen. Die FAZ schrieb 2019 in einem Artikel ganz treffend: „Von 20 Uhr bis kurz nach Mitternacht laufen von ARD bis Vox mehr als 15 Stunden Kriminalserien und -filme. Das ZDF zeigt „Die Toten von Salzburg“, der NDR schickt seine Ermittler im „Großstadtrevier“ ins gefährliche Konditormilieu, im SWR ermitteln die „Rentnercops“ und im Hessischen Rundfunk treibt – mehr Klischee geht nicht – bei „Morden im Norden“ die Leiche eines Lübecker Marzipanfabrikanten an den Timmendorfer Strand.“ (Link). Und auch in der Literatur ist der Krimi und Thriller ein beliebtes Genre. Ob Marc Elsberg, Sebastian Fitzek oder John Grisham, über einen der Namen stolpert man zwangsläufig auf einer der Bestsellerlisten. Aber auch Autorinnen müssen sich nicht verstecken, auch wenn sie in unserer Wahrnehmung bei Krimis weniger präsent sind als ihre männlichen Kollegen: Ein Dilemma über welches man in der Literatur häufiger stolpert, aber das ist ein anderes Thema.

Für unseren Ausflug in die Krimi- und Thriller-Welt waren daher zwei Kriterien sehr entscheidend, als es an die Auswahl des Buches ging: eine weibliche Autorin sollte es sein und bitte nicht so blutig! Aline hat sich ein klassisches Buch herausgesucht, Luise hat sich dem Genre mal anders, durch ein Hörspiel, genähert. Hier stellen wir euch beides etwas näher vor:

„Die Experten“ von Merle Kröger (Aline)

erschienen im Suhrkamp Verlag im Februar 2021

Die Hülle und Fülle des Krimi-Regals in der Codo Buchhandlung hat mich förmlich erschlagen. Und dabei ist das Regal im Vergleich zu anderen Buchläden noch klein. Wie magisch hat es meinen Blick aber immer wieder zu dem Buch von Merle Kröger gezogen, so das schnell fest stand, das wird es also sein: Das Buch für mein Krimi Abenteuer. Und dabei ist gar nicht so ganz klar, in welche Kategorie es nun eigentlich genau fällt. Auf dem Cover steht Thriller. Ausgezeichnet wurde es mit dem Deutschen Krimipreis und inhaltlich bewegt es sich nach meinem Eindruck stark in dem Zwischenfeld eines historischen Romans, der voller Spannung vom Schauplatz einer politisch eher angespannten Lage berichtet.

Nicht wertend, aber aufklärerisch erzählt Merle Kröger die Geschichte der Familie Hellberg, allen voran Rita, die als zentrale Figur die Erzählung zusammenhält. Ihr Vater zieht als Experte in den 60er-Jahren nach Ägypten. Dort träumt der Präsident davon, sein Land an die Spitze des afrikanischen Kontinents zu katapultieren und investiert dafür in die Rüstungsindustrie. Zahlreiche deutsche Ingenieure, die in der Nachkriegszeit ihrer eigentlichen Tätigkeit, dem Flugzeug und Raketenbau nicht nachgehen durften, werden angeheuert. Namen wie Willy Messerschmitt, Wolfgang Pilz und Paul Goercke, Koryphäen auf ihrem Gebiet, aber auch der ehemalige KZ-Arzt Hans Eisele werden genannt. Es ist komplex und vor allem moralisch fragwürdig, wer alles in Kairo ein neues zu Hause findet, während in Deutschland die Entnazifizierung stattfindet. In dem Viertel der Experten in Kairo wohnt der ehemalige hohe Nazi-Funktionär neben dem deutschen Ingenieur und seiner Familie. Zeitgleich werden die politischen Spannungen zwischen Ägypten und Israel immer größer, es geht um Atomwaffen und Massenvernichtungswaffen. Der Frieden auf der Welt ist nach zwei Weltkriegen kein stabiler Frieden. Mitten in diesem Spannungsfeld bewegt sich Merle Kröger und erzählt mittels Rita und ihrer Familie die Konflikte innerhalb der Familie und des Landes spürbar nach. Bomben explodieren, Menschen verlieren ihr zu Hause oder werden zu Spionen für die eine oder andere Seite. Rita, die als Sekretärin in einem der Werke arbeitet, weiß irgendwann nicht mehr, wem sie vertrauen kann und wem nicht. All das, was ein Krimi ausmacht, ist hier spürbar, nur dass es für einige schmerzhafte Realität war. So wie für die Familie von Stefanie Schulte Strathaus, die in ihrem Nachwort erzählt, wie ihre Familiengeschichte zur Inspirationsquelle und Grundlage für den Roman wurde. Knapp 650 Seiten braucht Merle Kröger, um die Komplexität der Geschichte abzubilden, doch sie schafft es sehr gut, ohne dabei zu langweilen. Zwischendurch dachte ich öfters, wann beginnt er denn jetzt der Krimi, bis ich gemerkt habe, das ich schon mitten drin bin.

„Die Wahrheit“ von Melanie Raabe (Luise)

Erschienen 2016 im btb-Verlag, als Hörspiel bei NDR Info 2017

Für mich war relativ schnell klar, dass es ein Krimi oder Thriller von Melanie Raabe werden soll. Ihre Sachbücher Kreativität und über Lady Gaga aus der Kiwi-Musikbibliothek hatten es mir bereits angetan und auch ihr Roman „Die Kunst des Verschwindens“ liegt bereits auf meinem Lesestapel. Da Melanie Raabe vor allem als Thriller-Autorin bekannt ist, dachte ich mir schon länger, dass ich mich auch an einen ihrer Thriller wagen möchte. Unser „Über den Tellerrand-Projekt“ hat mich nun endlich dazu bewogen, mein Vorhaben in die Realität umzusetzen. Hier hatte ich Lust, es als Hörbuch auszuprobieren und eher eine Verwechslung mit dem Hörbuch führte mich zu dem NDR-Info Hörspiel, zum Glück! Denn vor allem für Nicht-Krimi-Leser:innen eignet es sich als Zugang zu dem schaurig-schönen Buchgenre:

Philipp Petersen verschwindet während einer Geschäftsreise in Südamerika spurlos. Doch dann, sieben Jahre später, erhält seine Frau Sarah plötzlich die überwältigende Nachricht, dass Philipp am Leben sein soll. Die Rückkehr des Entführungsopfers löst ein gewaltiges Medieninteresse aus. Sarah ist auf alles vorbereitet, nur auf das eine nicht: Der Mann, der aus dem Flugzeug steigt, ist nicht ihr Ehemann. Es ist ein Fremder.

„Die Wahrheit“ sprach mich inhaltlich umgehend an, so ist es mehr ein Psychothriller und damit glücklicherweise nicht blutig, kann ich doch auch nicht besonders gut blutige Krimis oder Horrorfilme schauen. Außerdem erinnert mich der Fall an einen True-Crime-Fall, den ich bei ZEIT Verbrechen im Podcast gehört habe – bei dem ein Weltenbummler bei einer Reise mit dem Rad allein durch Mexiko plötzlich spurlos verschwindet, bis schließlich seine Leiche gefunden wurde. Dennoch bleibt die Geschichte rätselhaft. Was wäre aber, wenn ein Vermisster plötzlich nach Jahren auftaucht und damit die Hoffnung der Familie erfüllt, dass derjenige noch lebt? Und gleichzeitig trifft die Person womöglich zu einem Zeitpunkt ein, wenn die Familie nicht mehr damit rechnet und ein neues Leben begonnen hat…

Und dann stellt sich auch noch heraus, dass es sich wohl um einen Betrüger handelt? Das Hörspiel „Die Wahrheit“ von NDR Info wurde von professionellen Schauspielern eingesprochen und wird mit Spannungsmusik untermalt. Mir gefällt, dass bei Melanie Raabe, entgegen wie bei vielen anderen Geschichten aus dem Genre, auf einen starken weiblichen Charakter gesetzt wird. Sarah lässt sich nicht von ihren Vertrauten wie der Mutter von Philipp, ihrer besten Freundin oder eines langjährigen Verwandten davon abbringen – sie will dem Betrüger in ihrem Haus, der sich als ihr Mann ausgibt, überführen.

Die Geschichte ist stark gekürzt, auf das Wesentlichste, aber bekommt dadurch eine ganz besondere Intensität. Es ist ein wunderbarer Eskapismus für mich gewesen und eine sehr willkommene Möglichkeit, mich an das eher selten gelesene Genre heranzutrauen.

Fazit

Gerne verbindet man Krimis und Thriller mit blutigen und sehr gewaltvollen Szenen oder aber mit verschrobenen Ermittlern auf dem Land. Sei es zum Beispiel ein Polit-Thriller oder ein Psychothriller, uns ist wieder aufgefallen, dass das Genre deutlich vielfältiger ist, als wir denken. Und vor allem Autorinnen entfernen sich häufig vom klassischen blutrünstigen Krimi, in dem Frauen per se Opfer und Männer Täter sind. Insofern Memo an uns: Wir können auch kriminologisch!

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