2020 habe ich bereits ein Buch von Linus Giese auf unserem Blog vorgestellt: „Ich bin Linus – Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war“ (Rowohlt). Hier nimmt uns Linus mit in die Welt der trans* Menschen und schafft Sichtbarkeit für das Thema. Er erklärt zudem wichtige Begriffe der Queerszene, von trans*, cis bis hin zum Deadname. Er veranschaulicht, wie viel Macht Sprache haben kann die ausgrenzen und gleichzeitig positiv diskriminieren kann. Sprache kann verletzen. „Ich bin Linus“ bietet einen Einstieg, wenn man vertraut werden möchte, mit der Situation von trans* Personen und welche Hürden und Herausforderungen ihnen gestellt werden – wie etwa bei der Namensänderung oder dem Schritt zur Transition:
Als er das erste Mal den Namen ‚Linus‘ im Alter von 31 Jahren in einem Starbucks-Café nennt, kann er es selbst kaum glauben. Jahrelang wollte er sich das nicht eingestehen: dass er eigentlich Linus ist. Das bei seiner Geburt zugeschriebene Geschlecht war wie eine Hülle, die nicht zum Kern, seiner Persönlichkeit, passte. Später tritt er damit an die Öffentlichkeit. Er bekommt zum einen viel Zuspruch und motivierende Worte, zum anderen muss er aber auch viel Hass einstecken: mit digitalem Mobbing beginnt es. Doch weitet es sich auf seinen Alltag aus: er wird gestalkt. Sein Deadname wird ans Klingelschild geklebt oder durch den Buchladen geschrien, in dem er arbeitet. Und dennoch sieht Linus es nicht ein, trotz mancher Empfehlungen, sich zu verstecken oder gar mit dem Bloggen im Internet aufzuhören. Zum Glück!
Die ausführliche Rezension findet sich hier.
„Lieber Jonas oder Der Wunsch nach Selbstbestimmung“
Erschienen im Kjona-Verlag, im Februar 2023
In diesem Buch, welches ich nun für unser „Über den Tellerrand“-Projekt im November gelesen habe, führt Linus seine Gedanken weiter. Es ist ein Brief, der sich an Jonas richtet. Jonas ist ein junger Mann, der einmal gemeinsam mit seiner Mutter im Buchladen aufgetaucht ist, in dem Linus arbeitet. Er erzählt, wie ihm das erste Buch von Linus Mut gemacht hatte. Häufiger kommen andere Menschen auf Linus zu, um ihm von den eigenen Erfahrungen als trans* Person zu erzählen. Er kann – vor allem auf Arbeit – nicht immer intensiv darauf eingehen. Deshalb dieser Brief, der die emotionale Komponente von trans* Menschen vertieft, wenn es darum geht, sich zu outen und für eine Transition zu entscheiden; Wenn es darum geht, den Wunsch nach Selbstbestimmung zu folgen. Mit seinem neuen Buch möchte der Autor und Influencer anderen trans* Menschen, vor allem den Jüngeren, Mut machen für die Zukunft. Denn er spricht nicht nur Jonas an, diese persönliche Anrede ist sicher stellvertretend an alle gerichtet, die sich angesprochen fühlen. Trans* Personen erleben Diskriminierung im Alltag und auch strukturell auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen, durch das Transsexuellengesetz, das als verfassungswidrig eingestuft wurde.
Dagegen entwirft Linus ein Szenario, wie wir leben würden, wenn das Recht auf Selbstbestimmung gesetzlich verankert, zum Beispiel in Form vom Selbstbestimmungsgesetz, (welches aktuell im Bundestag besprochen wird und Stand jetzt 2024 in Kraft treten soll), aber auch die Akzeptanz von Diversität und queerem Leben gelebte Realität würde. Es ist ein Zukunftsszenario, das für eine freie Gesellschaft steht. Gleichzeitig versucht Linus gegenwertigen Bedenken zu entgegnen, wie trans* Leben als Trend. So entwertet diese Annahme die wesentliche Bedeutung von Selbstbestimmung für jene vulnerable Gruppe, die sich lebenslang mit den Problemen konfrontiert sieht, bei der Geburt das falsche Geschlecht zugewiesen bekommen zu haben. Zumal Transgeschlechtlichkeit für Linus nicht automatisch bedeutet, das sich Menschen für das ‚andere‘ Geschlecht zu entscheiden, als vielmehr das binäre Geschlechterdenken zu durchbrechen und das eigene, individuelle Geschlecht zu entdecken.
Fazit
Diese Streitschrift ist ein dünnes Buch, mit viel Gehalt und Gedanken zum Nach- und Weiterdenken. Ich habe es als Hörbuch gehört, mit Linus als Sprecher, welches sehr kurzweilig und gleichzeitig inspirierend ist. Linus sensibilisiert in seinen Büchern für die Belange von trans* Menschen, die diese für sich einfordern, ob still oder laut auf der öffentlichen Bühne. Auch kann ich seinen Instagram-Account empfehlen. Dort nimmt er einen mit in seinen Alltag, empfiehlt aber auch passende Lektüre, seien es Sachbücher oder Romane zum Thema LGBTQIA+ oder auch Kinderbücher, die für mehr Diversität stehen.