Warum Krieg?: Eine Spurensuche anlässlich des 8. Mai und 80 Jahre Kriegsende

Vor genau 80 Jahren, in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai, wurde die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet, der Zweite Weltkrieg war damit offiziell zu Ende. In Berlin ist dieser wichtige Gedenktag, gerade in Zeiten des Erstarkens populistischer Kräfte, sogar ein (einmaliger) Feiertag. Im Bundestag wird es eine Gedenkstunde geben, in Hamburg sind Festwochen rund um den 8. Mai mit Lesungen und Demonstrationen geplant, in Köln gibt es am Tag der Befreiung eine Kundgebung – und sicherlich finden auch in deiner Stadt Veranstaltungen statt. Wir möchten den Tag mit Buchtipps begehen, die sich thematisch mit dem Zweiten Weltkrieg und Krieg im Allgemeinen beschäftigen. Hier folgt Alines Auswahl:

„Isidor“ von Shell Kupferberg*

Als Taschenbuch bei Diogenes im März 2024 erschienen.

Über „Isidor“ habe ich bereits in unserer letzten Podcastfolge kurz gesprochen, doch möchte ich diesem Buch noch einmal eine etwas ausführlichere Besprechung widmen. Dr. Isidor Geller ist Kommerzialrat, Multimillionär, Kunst- und Opernliebhaber und er ist Jude. Isidor hat den Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen in die obersten Kreise Wiens gemeistert und gilt als unverwundbar – bis die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Shelly Kupferberg begibt sich in diesem feinfühligen, aus der Perspektive von Isidors Urgroßneffe Walter erzählten Roman auf die Spur dieser schillernden Figur und versucht, seinen Lebensweg zu rekonstruieren. Erzählungen sind das Einzige, was der Familie auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus nach Israel und in die ganze Welt geblieben ist. Besonders die Geschichten über Isidor werden immer wieder am Tisch erzählt. Isidor, der alles hatte, und sich auf dem Sterbebett dann doch über seine eigene Naivität wunderte, Österreich nicht verlassen zu haben.

Damit erging es Isidor wie vielen anderen, auch jenen, die weniger betucht waren, wie etwa seinem Schneider. Besonders dieser Aspekt des Romans, die Hürden, die Juden bei der Ausreise durch die nationalsozialistische Regierung gemacht wurden, aber auch die Angst und Naivität, die Heimat nicht verlassen zu wollen, wird von Shelly Kupferberg eindrucksvoll herausgearbeitet. Als Leserin fällt es mir leicht, Isidor und die vielen anderen für naiv zu halten, nicht früher oder überhaupt geflohen zu sein. Mit dem Wissen von heute ist es ein nachvollziehbarer Gedanke. Doch wann ist es überhaupt zu spät? Und würden wir die Warnzeichen heute, nicht ebenso als das geht bald vorbei abtun? Nicht die einzigen Fragen und Denkanstöße, die ich aus diesem Roman mitgenommen habe. „Isidor“ von Shelly Kupferberg hat nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil.


„Wie Kriege enden“ von Benjamin Fredrich*

Als Taschenbuch bei Katapult im Frühjahr 2025 erschienen

Nicht nur nach der Lektüre von „Isidor“ oder an einem Gedenktag wie dem 8. Mai fragen wir uns: Wie enden Kriege eigentlich? Dieser Frage geht der Katapult-Gründer und Politikwissenschaftler in dem schmalen Taschenbuch „Wie Kriege enden“ nach. Weniger der Zweite Weltkrieg als vielmehr ein mögliches Ende des Kriegs in der Ukraine steht im Zentrum seiner Überlegungen. Eine endgültige Antwort kann das Sachbuch nicht liefern, vielmehr bietet Fredrich eine fundierte Analyse, zitiert umfassend Literatur und Studien und nähert sich dem „Enden“ von Kriegen aus unterschiedlichen Perspektiven. Neben möglichen Szenarien für ein Kriegsende in der Ukraine beleuchtet er Kapitel zur Philosophie und Mathematik des Krieges, diskutiert, ob Demokratien tatsächlich friedlicher sind und ob mehr Frauen in der Politik zu weniger Kriegen führen würde. Die Kapitel sind kurz, bieten Appetithäppchen und laden dazu ein, sich mithilfe weiterführender Literatur intensiver mit den Themen der Kapitel zu beschäftigen. Ergänzt wird der Text durch zahlreiche Daten und anschauliche Grafiken.

Besonders spannend ist das letzte Kapitel, welches sich mit der Analyse von 293 Kriegen zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert befasst. Untersucht wird, wie und nach welcher Kategorie diese beendet wurden. Spoiler: Knapp 45 % der Kriege enden durch Kompromisslösungen oder Einfrieren und könnten somit jederzeit wieder aufflammen. Kriege zu führen scheint leicht, sie zu beenden ist hochkomplex. Dauerhafte Friedenslösungen sind deutlich schwieriger zu erzielen, als man vielleicht glaubt. Das zeigen auch die neun Thesen von Fredrich. Nach der Lektüre von „Wie Kriege enden“ fragt man sich unweigerlich, warum es überhaupt Krieg gibt – und bleibt mit einem ähnlich ratlosen Blick auf die Menschheit zurück wie die vermeintliche Friedenstaube auf dem Cover, das von vier Einschusslöchern durchlöchert ist.

Schon Albert Einstein und Sigmund Freud haben sich mit der Frage „Warum Krieg?“ beschäftigt und sich in einem berühmten Briefwechsel darüber ausgetauscht. Das schmale Bändchen, das erstmals 1972 veröffentlicht wurde, lädt dazu ein, den Plädoyers zweier der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts zu folgen. Auch die Frage nach „Eintracht unter den Menschen und Frieden auf Erden“ ist für die beiden nicht leicht zu beantworten. Der Briefwechsel ist aber dennoch lesenswert. „Warum Krieg. Ein Briefwechsel“ von Albert Einstein, Sigmund Freud und mit einem Essay von Isaac Asimov, erschienen bei Diogenes.

Florian Illies widmet sich in seinem gleichnamigen Sachbuch der „Liebe in Zeiten des Hasses“ und entwirft eine Chronik eines Gefühls (1929–1939). Er begleitet viele namhafte Dichter, Autorinnen, Maler und Schauspielerinnen und verwebt deren Liebesgeschichten zu einem großen Panorama: Einem Bild von Deutschland und Europa am Vorabend des Nationalsozialismus. In unserem Podcast habe ich das Buch in der Folge „Was Geschichte und die Liebe über Freiheit verraten“ noch etwas ausführlicher besprochen. Erschienen, u. a. als Taschenbuch, bei S.Fischer.

In „Das siebte Kreuz“ erzählt Anna Seghers die Flucht von Georg und sechs weiteren Mitgefangenen aus einem Konzentrationslager. Das siebte Kreuz steht symbolisch für Georg, der als Einziger noch auf der Flucht ist, es ist ihm und seiner möglichen Gefangennahme vorbehalten. Auch nach der Lektüre im vergangenen Jahr und meiner Besprechung im Beitrag „Autorinnen aus Ostdeutschland und deren Geschichten“ bleibt der Roman eindrücklich in Erinnerung und darf in diesem Themenbeitrag keinesfalls fehlen. Erschienen, u. a. als Taschenbuch, Aufbau.

Ausgehend vom Gedenktag am 8. Mai habe ich mich thematisch auf den Zweiten Weltkrieg konzentriert, mit Ausnahme von „Wie Kriege enden“, das den Rahmen bewusst weiter steckt. Warum Kriege sein müssen, kann ich auch nach der Lektüre all dieser Bücher nicht beantworten. Die Sinnlosigkeit all dessen wird einem jedoch wieder und besonders an diesem 8. Mai gnadenlos vor Augen geführt.

Welche Bücher fehlen in diesem Themenbeitrag?

*Rezensionsexemplare

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