Mona, Journalistin und Moderatorin der Büchersendung „Stories“ auf WDR 1Live, begegnete mir zum ersten Mal in der Bookstagram-Blase durch den damaligen Stories-Instagram-Kanal. Ich liebte die Beiträge und Buchtipps von Philipp, Gesa und Mona. Da der Kanal allerdings, trotz vielen Zuspruchs, leider bereits nach einem Jahr wieder eingestellt wurde, war ich umso erleichterter, als ich hörte, dass Mona auf ihrem privaten Kanal weitermachen würde. (Auch sehr empfehlenswert: der Stories-Podcast mit Lesungen). Denn ich schätze ihre Buchempfehlungen sehr, sie trifft häufig meinen Buchgeschmack. Umso gespannter war ich nun auf ihr erstes, eigenes Buch. Aber wie das so ist: Vorfreude weckt Erwartungen, die durch Lobgesänge auf Instagram natürlich noch einmal bestärkt werden. Ein arabisches Sprichwort als Zitat aus dem Buch: „Die größten Enttäuschungen haben ihren Ursprung in den größten Erwartungen“. Entsprechend zögerte ich dann doch erst etwas: „Was, wenn es mir nicht gefallen würde?“
Inhalt
Mona Ameziane ist im Ruhrgebiet aufgewachsen. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater kommt ursprünglich aus Marokko. Als Kind entgegnete sie einmal einem Animateur in einem Hotel, auf die Frage nach ihrer Herkunft, mit den Worten: „Ich komme aus halb Marokko und aus halb Deutschland.“ Damals erntete sie zwar Lacher vom Publikum, aber genau so hatte sie es empfunden, für sie waren ihre zwei Heimaten zum einen selbstverständlich. Zum anderen ist sie vor allem in Deutschland aufgewachsen. Ihre zweite Heimat, Marokko, hat sie insbesondere mit Urlaub verbunden, wenn es einmal im Jahr mal wieder Zeit sein sollte, die Familie väterlicherseits auf dem anderen Kontinent zu besuchen. Je älter sie wurde und damit auch die Suche nach der eigenen Identität und den Wurzeln begann, kamen immer mehr Fragen auf: Welcher Kultur fühlt sie sich am nächsten? Und warum sind Gott und Allah eigentlich genau das Gleiche und gleichzeitig überhaupt nicht? Warum scheint sie in Deutschland auf Partys mit einem Limobier eine Spießerin zu sein, aber in Marokko wiederum eine Draufgängerin? Warum sind deutsche Frauen emanzipierter, aber Marokkanerin und Marokkaner wiederum scheinbar entspannter? Oder sind das alles Klischees?
Diesen Fragen ist sie zwar spätestens ein Stück weit näher gekommen, als sie als Jugendliche entscheidet, ein Jahr in einer Gastfamilie in Marokko zu verbringen und in ihrer zweiten Heimat zur Schule zu gehen. Aber vor allem beschäftigen sie die Fragen nun als Erwachsene. Als sie kurz nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo 2015 in ein Flugzeug nach Marokko steigen soll, beginnt die Panik. Auch sie bekommt für kurze Zeit plötzlich die surreale Angst vor bärtigen, arabischen Männern. Und seit der Flüchtlingskrise und dem steigenden Rechtsruck in der Gesellschaft, scheint die Frage nach der eigenen Herkunft immer präsenter. Es wird also Zeit für eine ernsthafte Reise in ihre zweite Heimat und das gemeinsam mit ihrem Vater, auf der wir Mona in ihrem Buch begleiten dürfen.
Kritik
Ich bin leider bis jetzt noch nicht in Marokko gewesen, es ist für mich also ein fremdes Land. Zwar habe ich bereits einmal Tunesien besucht, aber dennoch ist die arabische Kultur und Lebensweise für mich als Deutsche eher fremd. Entsprechend war ich neugierig, dieses Land näher kennenzulernen und vor allem aus der Sicht einer Person, die einen engen Bezug dazu hat. So lassen sich Vorurteile am besten abbauen. Natürlich kann man in Marokko als Frau allein in einen Laden gehen. Aber in Tunesien habe ich erlebt, dass ich als deutsche Frau zum Beispiel häufig angeflirtet wurde. Da ich zudem ganz gut französisch sprechen kann, war ich scheinbar der Jackpot für einige tunesische Männer. Als baute ich vielleicht auch wieder Vorurteile auf, die nicht allgemeingültig sind.
Mona gelingt es durch eine mitreißende und lebhafte Sprache einen auf ihrer realen Reise nach Marokko und auf die gedankliche zu ihren Wurzeln mitzunehmen. Als sie mich als Leserin zum Beispiel mit nach Fès, dem Wohnort ihrer Großeltern mitnimmt (Basidi heißt übrigens Opa und Lalla Oma), fühlte ich mich umgehend, als wäre ich dabei: wenn Mona beschreibt, wie man spätestens nachdem man durch die Stadtmauer hindurch- und am „Platz der verlorenen Touristen“ vorbeigeht, sich in dem Labyrinth an Straßen verlieren wird, aber in eine ganz eigene Welt eintaucht. Wenn ich mit ihr und ihrem Vater nach einer Teekanne für Mona suche und mitfühle, als ihr Vater missmutig vor sich hinbrummt, da sie versehentlich auf Deutsch mit ihm spricht und damit eine wichtige Grundlage zum Handeln und Feilschen zu Nichte macht – immerhin outet sie sich so als Europäerin, der Preis wird automatisch steigen.
Und so zieht es sich durch das gesamte Buch, ich begleitete Mona wie eine Schwester. Obwohl ihre Identitätssuche scheinbar mit mir nichts zu tun hat, begann auch ich während des Lesens Vergleiche herzustellen – so habe ich beispielweise auch mal ein Auslandsjahr in einem anderen Land, Frankreich, verbracht. Auch ich mache mir häufiger Gedanken über meiner ‚Herkunft‘. Es ist zwar kein anderes Land, aber ich werde öfter mit meiner Identität als Ostdeutsche konfrontiert, wenn es z.B. um die hohe AfD-Wählerschaft oder Ausländerfeindlichkeit geht. Dann möchte ich genauso meine Heimat verteidigen: „Es sind doch nicht alles rechts!“ – wie Mona Marokko verteidigen möchte: „Nicht alle sind Attentäter!“. Gleichzeitig ärgere ich mich wie Mona, da diese Probleme ja nun einmal jeweils wirklich existieren.
Wie Mona es schafft, dass man einer scheinbar fremden Welt gegenübersteht und sich gleichzeitig gänzlich mit ihr identifizieren kann, fand ich beeindruckend. Sie teilt ihre Emotionen, aber auch ihre Gedanken mit den Leser:innen. Sie zeigt Ängste und Zweifel. Es ist ein persönliches, aber auch lehrreiches Buch. „Auf Basidis Dach“ ist also zum Glück alles andere als eine Enttäuschung für mich! Es hat vielmehr meine Erwartungen übertroffen. Denn es ist nicht nur eine Reise nach Marokko und mit Mona, sondern auch eine Reise zu mir selbst gewesen.
Fazit
Um die Autorin Melanie Raabe zu zitieren, die es wunderbar auf den Punkt bringt: „Mit Klugheit, Wärme und jeder Menge Humor erzählt Mona Ameziane von Marokko – und dabei auch ganz viel über Deutschland. „Auf Basidis Dach“ geht der Frage nach, wie wir werden, was wir sind und was die Schauplätze unseres Lebens damit zu tun haben.“
Ein weiterer Buchtipp mit einer ähnlichen Thematik
„Etsikietsi“ von Linda Zervakis
Als Linda Zervakis nach einer Frühschicht von der Tagesschau übermüdet bei ihrer Mutter zum Essen auftaucht, begrüßt diese sie direkt mit den Worten „Ich habe eine Überraschung“ und drückt ihrer Tochter wortlos ein Notizbuch in die Hand. „Bitteschön mein Leben“. Dabei stellt Linda fest: viel zu wenig haben sie bisher über die Geschichte von Chrissi, Lindas Mutter, gesprochen. Wie es dazu kam, dass sie und Lindas Vater nach Deutschland kamen oder wie es sich für sie anfühlt, als Migrantin in Deutschland. Dafür war nie Zeit. Linda wurde auch oft als erste Tagesschausprecherin mit Migrationshintergrund bezeichnet, dabei hat sie sich lange so nicht gefühlt. In ihrer Schule in Hamburg war das kein Thema. Das Tagebuch ihrer Mutter gibt ihr den Anlass, eine längst überfällige Reise anzutreten, nämlich die nach Griechenland, gemeinsam mit ihrer Mutter. Immerhin, wenn Linda gefragt wird, ob sie sich mehr als Deutsche oder Griechin fühlt, sagt sie am liebsten „Etsikietsi“ was so viel heißt wie ’so la la‘ oder ’sowohl als auch‘. Zum Buch auf der Verlagsseite