Bildung ist sexy: Zwei Buchempfehlungen zum Thema Wissenschaft und Forschung

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Wissenschaft klingt für den einen oder anderen wohl immer noch etwas angestaubt und öde. Dabei gibt es aktuell kluge Autor:innen, die zwar einen Doktortitel haben, aber trotzdem nicht dem Klischee des alten, eigenbrötlerischen Wissenschaftlichers mit grauen Haaren und Nickelbrille entsprechen. Nein. Im Gegenteil: Sie sind jung, modern und offen. Zudem gelingt es ihnen komplexe Sachverhalte verständlich herunterzubrechen, sodass man es auch als interessierte Laien verstehen und Wissenschaft spannend und sexy finden kann – auch wenn es vielleicht Bereiche sind, für die man in der Schule noch nicht so recht den Sinn hatte.

Luises Buchempfehlungen zum Thema Wissenschaft:
Mai Thi Nguyen-Kim und Leon Windscheid

Dr. Leon Windscheid – „Besser fühlen. Eine Reise zur Gelassenheit“

Erschienen bei Rowohlt, April 2021

Leon, Psychologe, Entertainer und Bestsellerautor ist mir bereits vor ein paar Jahren begegnet, da er ein gern gesehener Gast in Podcasts ist wie bei ARD Funk Deutschland 3000 oder ganz neu zum Buch bei Deutschlandfunk: „Dein Sonntag“. Von Beginn an mochte ich seine lockere Art und wie er es schafft, Psychologie und Psyche spannend und verständlich darzustellen und dabei auch wissenschaftliche Studien mit einzubeziehen. Er beschreibt damit nicht einfach nur küchenpsychologisch Empfindungen und Gefühle, sondern erklärt sie in einem fundierten wissenschaftlichen Zusammenhang. Und so ist es auch in Leon Windscheids neuem Buch, in dem er diverse Emotionen darstellt wie Angst, Trauer, Wut – Gefühle, die vielen auch in der Corona-Krise begegnen. Er nimmt auch abstrakte, psychische Phänomene wie Verliebtsein, Selbstmitgefühl oder Langeweile und Geduld ins Blickfeld, bezieht insgesamt neuste wissenschaftliche Studien mit ein, wendet sie wiederum in Alltagssituationen an und erklärt sie anhand dessen verständlich (siehe Beispiel unten) – Leon ist überzeugend und dennoch nicht in seiner Wissenschaftsblase gefangen. Ich kann auch seinen Instagram-Kanal empfehlen, dort ist er witzig, aber spricht auch mal über eigene Gefühle und Empfindungen, die ihm im Alltag so begegnen, aber seine Follower auch mal hinter die Kulissen seiner Podcasts wie „In extremen Köpfen“ oder „Betreutes Fühlen“ mit Atze Schroeder mitnimmt. Was ich nur nicht ganz nachvollziehen kann: Warum das Multitalent noch keinen Kanal bei ARD Funk bekommen hat. Da würde er meiner Erachtens wunderbar hinpassen.

Dr. Leon Windscheid: „Besser fühlen“

Eine Beispielstudie: Leon Windscheid beschreibt beispielweise, wie man es schaffen kann, eine Beziehung aufrechtzuerhalten und vielleicht sogar dauerhaft verliebt zu sein, indem man sich in scheinbar mehr oder weniger große Extremsituationen begibt. Eine wissenschaftliche Studie aus British Colombia veranschaulichte es mit folgendem Experiment: Die Forschungsgruppe führte ein Experiment durch, einmal auf einer kurzen stabilen Brücke, ein andermal auf einer unsicheren Hängebrücke. Dort sollte jeweils eine junge, attraktive Frau Männer ansprechen und sie bitten, an einer Umfrage teilzunehmen. Anschließend schrieb sie ihnen ihren Namen und eine Telefonnummer für „etwaige Rückfragen“ auf einen Zettel. Bei der kurzen, stabilen Brücke nannte sie sich Donna, auf der anderen Gloria. So sollte anschließend bei der wissenschaftlichen Auswertung sofort erkannt werden, um welche Brücke es sich handelt. Denn anschließend wurde geschaut, wie viele Männer sich zurückmelden. Für Donna meldete sich ungefähr jeder zehnte Mann zurück, für Gloria erstaunlicherweise fast jeder zweite Mann.

Also sich in der Luft und vor allem ohne wirklichen Halt unter den Füßen, in einer „Ausnahmesituation“ zu befinden, lassen einen Gefühle und Emotionen intensiver spüren. „Unser Hirn interpretiert die Erregung [z.B. auf der Hängebrücke] als die Rückkehr der Schmetterlinge.]“ Diese Erkenntniss kann einem nach Leon Windscheid helfen, wenn das Gefühl entsteht, der Alltag würde zu sehr in der eigenen Beziehung einkehren. Es muss sicher nicht gleich die Hängebrücke sein, sondern ein kleines gemeinsames Abenteuer oder eine neue gemeinsame Erfahrung kann schon Wirkung zeigen. Man muss dem eigenen Gehirn also manchmal einfach nur Schmetterlinge im Bauch vorgaukeln.

Dr. Mai Thi Nguyen-Kim – „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit. Wahr, falsch, plausibel? Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft“

Erschienen bei DroemerKnaur, März 2021

Von Mai Thi, vor allem bekannt geworden durch WDR Quarks und ihrem YouTube Kanal von ARD Funk MaiLab, habe ich euch bereits letztes Jahr in unserem Herbst-Couchgeflüster ihr Vorgängerbuch „Komisch, alles chemisch“ vorgestellt. Als promovierte Chemikerin erklärt sie dort sehr bildhaft und gut verständlich chemische Prozesse und Phänomene. Auch beschreibt sie, wie allgemein wissenschaftliche Experimente und Forschung funktioniert und wie viel Zeit, Genauigkeit und Ausdauer sie benötigen. Daran knüpft nun auch ihr neues Buch an. Es geht allgemein um Wissenschaft und die Autorin tritt vor allem auch als Wissenschaftsjournalistin (ihr heutiger Beruf) auf. Diese Woche erhielt sie auch für ihre besondere journalistische Arbeit in der Corona-Wissenschaftsvermittlung den Grimme-Preis sowie letztes Jahr das Bundesverdienstkreuz. Herzlichen Glückwunsch!

Mai Thi Nguyen Kim: „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ und „Komisch, alles chemisch“

In der Neuerscheinung „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ geht es um diverse gesellschaftliche Debatten, die in der Öffentlichkeit gerne emotional aufgeladen sind, wie: Sollten Drogen wie z.B. Haschisch oder MDMA oder gar alle Drogen legalisiert werden, denn ist Alkohol wirklich die harmloseste Droge, nur weil sie legal ist? Machen Computerspiele aggressiv und führen automatisch zu mehr Gewalt, sind sie sogar Auslöser für Amokläufe? Sind Tierversuche ethisch vertretbar und gibt es ausreichend Alternativen? Denken Frauen und Männer unterschiedlich und kann man diesbezüglich Indizien in den Gehirnen ausfindig machen? Ist Intelligenz vererbbar und sollte man Angst vor IQ-Tests haben? Wie sicher sind Impfungen und was ist besser, Medizin von Big Pharma oder Alternativmedizin? In den Kapiteln zur Gesundheit und Arzneimittelforschung beschreibt die Autorin beispielsweise auch sehr anschaulich und gut verständlich, wie Medizin und Medikamente oder Impfungen entwickelt werden, welche Voraussetzungen sie mitbringen müssen, um zugelassen zu werden. Insgesamt erklärt sie in den einzelnen Kapiteln erforderliche Forschungsbegriffe. Mai Thi legt Wert darauf, die Streitfragen wissenschaftlich, also anhand von Forschungsmethoden zu erklären. Wenn sie eine Position durchblicken lässt, dann nur, wenn diese sich ausreichend auf wissenschaftlichen Belegen beziehungsweise auf methodisch starken Studien stützt: „Dabei ist ein wissenschaftlicher Konsens deshalb so bedeutend, da nicht Meinungen oder Studien gezählt werden, sondern die Konsistenz methodisch starker Studien zu einem Konsens führt“. Anfangs habe ich mir gewünscht, mehr eine Haltung von ihr in den jeweiligen Streitfragen zu erkennen. Aber im Laufe des Buches habe ich ihre Beweggründe erkannt und es als sehr positiv angesehen, dass sie sich nur zu einer Position bekennt, wenn sie es plausibel belegen kann.

Eine Beispielstudie: Die folgende Studie stammt aus dem Kapitel zum Thema Gender Pay Gap, der Differenz des Bruttostundenlohns zwischen Männern und Frauen und wie dieser Unterschied entstehen könnte: In einer amerikanischen Studie entwickelten die wissenschaftlichen Mitarbeiter zwei identische Lebensläufe, einer jedoch wurde mit dem Namen einer Frau „Jennifer“ gelabelt und einmal mit einem männlichen Namen „John“. Dabei handelt es sich jeweils um Namen mit ähnlichen Assoziationen, also kein Jonas oder Felix auf der einen Seite und auf der anderen Seite Chantalle, die mit mehr Vorurteilen zu kämpfen hätte. Sie schickten die Lebenslaufe an diverse Unternehmen. Hier zeigte sich, ohne dass die Unternehmer die Bewerber persönlich einluden, dass der Mann, also John, von den Unternehmen als kompetenter und passender auf die Stelle eingestuft wurde. John hätte auch im Schnitt ca. 4.000$ mehr Gehalt im Jahr als Jennifer erhalten. Vor allem haben in den Unternehmen nicht nur die männlichen, sondern auch die weiblichen Führungskräfte so reagiert. Es zeigt, wie tief Vorurteile und Differenzen zwischen den Geschlechtern in den Köpfen und in der Gesellschaft verhaftet sind und sich dies auch auf die Diffenrenz des Bruttostundenlohns, des Gender Pay Gabs, auswirken könnte.

Fazit

Nicht ohne Grund sind beide Bücher auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestellerliste gelandet. Sowohl Dr. Leon Windscheid als auch Dr. Mai Thi Nguyen-Kim schaffen es, Forschungsergebnisse und Erkenntnisse populärwissenschaftlich und sehr gut verständlich zu erklären und darzustellen, so, dass man wieder Lust bekommt, etwas Neues zu lernen und sich mit wissenschaftlichen Studien auseinanderzusetzen. Aber gleichzeitig muss einem auch bewusst sein, dass Wissenschaft selten mit einem Schwarz-Weiß-Denken einhergeht, sondern häufig komplexe Antworten erfordert. Deshalb empfehle ich tatsächlich eher die Bücher zu lesen. Zumindest habe ich bei Mai Thi anfangs das Hörbuch genutzt und konnte nicht immer alles nachvollziehen. Es ist zwar möglich, Anschauungsmaterial wie Statistiken herunterzuladen, aber dann solle man die Möglichkeit haben, das Hörbuch sehr konzentriert zu hören und das Material am besten daneben legen.

Und hey, wenn wir irgendwann mal wieder auf Partys gehen können, dienen die Themen der beiden Bücher wunderbar, um im nächsten Smalltalk oder auf einem Date mit Wissen glänzen zu können.

Diesem Beitrag liegen sowohl gekaufte, als auch Rezensionsexemplare zur Verfügung. Letztere haben mich nicht in meiner Beurteilung beeinflusst.

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