Couchgeflüster: Ein herbstlicher Buch- und Serientipp – „Unorthodox“ von Deborah Feldman

Wir haben beide zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Buch „Unorthodox“ von Deborah Feldmann gelesen und die Mini-Serie auf Netflix (sechs Folgen) gebingewatched. Und wir waren jeweils sehr bewegt von der Geschichte einer Frau, die aus einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde flieht, um in Freiheit und nach ihrem eigenen Ermessen leben zu können: Nachdem wir nun überlegt haben, wie wir euch darüber berichten wollen, schien uns ein Couchgeflüster die ideale Wahl. So können wir Serie und Buch umfassender besprechen und unsere Gedanken dazu austauschen. Hierbei nimmt diesmal Luise aber gänzlich die Rolle der Interviewten ein und wird von Aline über das Buch und die Serie ausgequetscht. Denn bei Luise ist noch alles etwas präsenter, da sie das Buch erst kürzlich gelesen hat. Bei Aline ist es schon eine Weile her. Mal sehen, was noch so hängen geblieben ist…

Und als hätten wir es gewusst: Diese Woche wurde die Hamburger Regisseurin der Netflix-Serie, Maria Schrader, mit einem der wichtigsten Preise der USA-Fernsehproduktionsbranche ausgezeichnet, dem Emmy-Award. Was für eine Ehre, herzlichen Glückwunsch!

Ein herbstlicher Buch- und Serientipp von uns!: „Unorthodox“ (Buchautorin: Deborah Feldman)

Buchinhalt

Es handelt sich bei „Unorthodox“ um eine autobiographische Erzählung. Deborah Feldmann ist in einer ultraorthodoxen jüdischen Glaubensgemeinschaft, der Satmarer, in Williamsburg in New York aufgewachsen. Nach den verheerenden Erlebnissen ihrer Vorfahren im Holocaust sehen sich die Anhänger als besondere Botschafter des jüdischen Glaubens. Sie wollen das Überleben ihrer Religion sichern. Dazu richten Sie mit Disziplin ihr gesamtes Leben nach jüdischen Glaubenssätzen aus und befolgen strengen Regeln.

Deborah Feldman kommt aus schwierigen Verhältnissen, lebt bei ihrer Großmutter und hat einen verwirrten Vater. Sie wird dahingehend stets von der Gemeinde beobachtet. Sie scheint nach den Prinzipien der ultraorthodoxen Juden keine ideale Gläubige oder Anhängerin. Sie tanzt aus der Reihe, flieht als Kind gerne in die Welt der Literatur, obwohl Lesen für Mädchen und Frauen unschicklich ist. Als Erwachsene behauptet sie sich weiterhin lange Zeit in einer restriktiven Welt. Mit 17 Jahren wird sie zwangsverheiratet. Leidenschaft ist ein Tabu und dass Deborah anfangs längere Zeit nicht schwanger zu werden scheint, wird streng beäugt. Doch sie beweist, dass man mit Mut und Ausdauer an seinen Träume festhalten kann. Sie flieht letztendlich mit ihrem Sohn in ein anderes Stadtviertel bzw. in das „freie“ New York. Jahre später geht die Bestsellerautorin nach Berlin.

Fragen zu Buch und Serie an Luise

Ob als Serie auf dem Laptop, als Buch oder E-Book: „Unorthodox“ kann man auf so viele verschiedene Arten konsumieren.

1. Aline: Womit hast du begonnen, Buch oder Serie? Würdest du es genau so anderen empfehlen?

Luise: Ich habe erst die Serie geschaut, obwohl das Buch schon eine Weile bei mir herumlag und gelesen werden wollte. Ich hatte mit der Serie vor, erst einmal zu schauen, ob mich die Thematik insgesamt anspricht – als Teaser sozusagen. Und Spoileralarm: Mich hat die Story durch die Serie unmittelbar in den Bann gezogen.

Ich fand ich es persönlich auch eine gute Reihenfolge so. Zum Thema „Buch versus Verfilmung“ überzeugen mich in aller Regel die Bücher ein Stück mehr, als die dazu entstandenen Verfilmungen. Deshalb schaue ich allgemein lieber erst die Filme. Das scheint widersprüchlich, aber so kann ich von ihnen weniger enttäuscht werden und mag letztendlich sowohl Buch als auch Film. Bücher geben mir im Anschluss dennoch eine neue Facette, da sie häufig noch mehr in die Tiefe gehen.

Vielleicht hätte ich mir selbst etwas mehr Zeit zwischen Buch und Serie lassen sollen. Ich würde es zumindest jedem empfehlen, da der Stoff nicht leicht zu verdauen ist.

2. Kann man die Serie und das Buch miteinander vergleichen? Worin bestehen Unterschiede?

Man sollte das Buch und die Serie in der Tat als eigenständige Werke betrachten, da es bewusst von den Regisseuren so gewählt war, sich vom Buch abzugrenzen. Deshalb lässt sich auch beides sehr gut konsumieren.

Die Serie basiert nur auf der Grundlage des Buches und ist insgesamt eine freie Interpretation. Es handelt sich hier um die junge Esty, die ohne Umwege (nicht wie Deborah) nach Berlin flieht, als sie schwanger ist. Ihre Fluchtwelt ist entgegen der literarischen von Deborah die Musik. In Berlin versucht sie in ein Studienprogramm für Begabte aus schwierigen Verhältnissen aufgenommen zu werden. Sie möchte ein neues Leben beginnen, doch ihr altes wird sie einholen.

3. Findest du auch Gemeinsamkeiten?

Beide jungen Frauen kommen aus schwierigen Verhältnissen, wachsen bei ihren Großmüttern auf und versuchen die Regeln der Gemeinde immer wieder auf subtile Art zu brechen. Auch sind sie beide taffe, selbstbewusste Frauen, die nicht aufgeben. Obwohl die Serie bewusst die fiktive Esty als Protagonistin wählt, werden einige Anekdoten, Erlebnisse und Verhaltensweisen von der Autorin und somit von Deborah in der Serie aufgegriffen, die einem immer mal wieder auffallen. Es bestehen mehr Parallelen als erwartet.

4. Was hat dir am Buch besonders gefallen?

Deborah Feldmann kann unglaublich mitreißend und anschaulich schreiben. Sie versetzt sich in ihr Ich als Kind sowie in ihr erwachsenes vor der Flucht. Sie schafft es, eine schier unbegreifliche Welt voller Regeln und Gesetze begreifbar zu machen und somit noch mehr in die Tiefe zu gehen, als es die Kurzserie kann.

5. Was hat dir an der Serie nicht so gut gefallen?

Da es nur wie gesagt nur Kurzserie ist, werden einige Zusammenhänge für mich zu vereinfacht dargestellt. Vor allem Estys neues Lebens in Berlin wirkt für mich zu unbeschwert, zu rasant, von Beginn an. Die Protagonistin scheint sich für meinen Geschmack etwas zu unrealistisch schnell einzufinden, obwohl diese neue Welt so anders ist. Vielleicht hätte man noch die eine oder andere Folge dranhängen sollen, um ein umfassenderes, realistisches Bild kreieren zu können.

6. Wie hat dir die Entwicklung der Charaktere in der Serie gefallen?

Die Charaktere bekommen mit der Zeit Tiefe, allen voran die der Hauptprotagonisten, Esty und ihr Mann. Man kann ihre Beweggründe und Entscheidungen sehr gut nachempfinden. Man leidet mit ihnen, freut sich mit ihnen und fiebert bis zur letzten Minute mit, wie sie ihren Weg gehen werden. Gleiches gilt für die Nebencharaktere wie der Cousin des Ehemanns, die in Berlin lebende Mutter oder die Oma der Protagonistin.

7. Gab es einen besonders spannenden Moment im Buch?

Einer der spannendsten Szenen war das Kennenlernen zwischen Deborah und ihrem zukünftigen Ehemann Eli. Die Ehe verbindet Deborah mit der Hoffnung, bald ein unabhängigeres Leben als bei ihren Großeltern führen zu können. Damit ist dieser Moment für sie unglaublich wichtig. Sie beschreibt, wie sie erst von seiner Familie in einem Supermarkt beäugt wird und ihn dann, Tage später, plötzlich unvermittelt kennen lernen soll. Dieses Kennenlernen ist aber mehr symbolisch. Ob sie verheiratet werden, entscheiden die Familien. Auch wenn Eli Deborah fremd ist, scheint er ihr sympathisch, vor allem, weil ihm ihre Andersheit nicht zu stören scheint. Zumindest zu Beginn.

8. Wie wurde dieser in der Serie umgesetzt?

Hier war ich überrascht, wie nah die Serie am Buch bleibt. Sowohl die Szene im Supermarkt als auch diejenige, wenn Esty mit ihrem Zukünftigen allein ist, nehmen die Stimmung und Dialoge aus dem Buch auf. Mit diesem besonderen Moment des Kennenlernenes wird insgesamt das Wesen der Gemeinde anschaulich aufgezeigt, indem er für die beiden Protagonistinnen im speziellen und wohl für Frauen der Gemeinde im allgemeinen entscheidend ist, weil sie im Anschluss auf ein besseres Leben hoffen.

9. Hand auf’s Herz: Buch oder Serie?

Mir gefiel in der Tat beides. Aber das Buch ist einfach viel umfassender und letztendlich auch überzeugender, vor allem durch die beschriebenen Gedankengänge und Beweggründe der Betroffenen. Insofern entscheide ich mich zwar für das Buch, kann aber auch, z.B. für diejenigen, die wie ich erst mal einen Einblick haben wollen, die Serie empfehlen.

10. Was hast du Neues über Religionen im Allgemeinen und das Judentum im Besonderen gelernt?

Ich habe vor allem wieder gelernt, dass Religion und Glaube nicht gleichzusetzen sind. Der Glaube eines Menschen ist unbegrenzt und frei in seiner Ausübung. Religiöse Gemeinschaften geben gerne vor, eine Orientierung zum Glauben zu geben, aber eigentlich geben sie einen ganz bestimmten Weg vor. Sie können mit willkürlichen Regeln und Restriktionen Macht ausüben. Und dies scheint alle streng gläubigen Glaubensgemeinschaften zu vereinen, unabhängig von der Religion.

11. Nimmst du daraus etwas für dich und deinen Alltag mit?

Ich nehme für mich persönlich mit, dass die Ausübung des Glaube immer eine Frage des eigenen Ermessens ist. Jeder sollte entscheiden dürfen, welcher Religion er angehören möchte und wie streng er seinen Glauben ausübt. Und am Ende sollte man vor allem an sich glauben. Alles andere ist in Bewegung, kann sich ändern und sollte alles andere als in Stein gemeißelt sein. Man kann, muss aber keinen strengen Regeln folgen müssen.

12. Was beeindruckt dich an der Geschichte von Deborah Feldmann besonders. Was kann man von ihr lernen?

Vor allem hat mich Deborah Feldmanns Zuversicht und Zielstrebigkeit beeindruckt. Schon als Kind hat sie daran geglaubt, dass ihr Schicksal nicht vorgegeben sein muss, auch wenn es so scheint. Sondern sie hat stets daran festgehalten, dass sie an dem Verlauf des Lebens mitwirken und etwas ändern kann, auch wenn manches Geduld und Mut braucht. Jahrelang.

Wie man sieht, ist Luises Buch viel herumgekommen!

Fazit von Aline

Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich das Buch „Unorthodox“ zum ersten Mal in der Hand hielt und innerhalb von kürzester Zeit ausgelesen habe. Dieser Moment ist viele Jahre her, da das Buch bereits 2012 veröffentlicht wurde. Durch die Veröffentlichung der Mini-Netflix-Serie dieses Jahr, habe ich mich aber wieder mit Freude an das Buch und die Lesemomente zurückerinnert. Auch die Serie hat mir sehr gut gefallen und überraschenderweise erging es mir in vielen Punkten wie Luise. So finde ich die Nähe zwischen Serie und Buch gelungen, obwohl die Serie eher als Adaption geschrieben wurde. In einigen Punkten weicht man ab, erfindet neu, erzählt anders. Das macht das Serienerlebnis für mich zu einem anderen, als das Bucherlebnis. Ein Vergleich Buch und Serie ist meiner Meinung daher nicht umfassend möglich. Dennoch würde ich mir wünschen, mehr von Esty zu erfahren, vielleicht lassen sich die ProduzentInnen noch zu einer Fortsetzung verleiten?

Podcast-Empfehlung:

Der Unangepasst-Podcast zur Serie mit Matze Hielscher von „Hotel Matze“ unter anderem mit einem Interview mit der Autorin

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