Die Stimme der Frauen: „Lady Churchill“ von Marie Benedict

„Ich bedauere sehr, die so wichtigen sozialen Themen ruhen zu lassen, um die sich Winstons Politik als Innenminister gedreht hatte, aber ich tat mein Bestes, um meine Rolle als perfekte Gattin des Ersten Lords der Admiralität so, wie ich sie mir vorstellte, auszufüllen.“ (S. 79)

Inhalt

Winston Churchill – Staatsmann, Premierminister, Lenker Großbritanniens durch den Zweiten Weltkrieg. Denkt man an ihn, hat man wohl direkt das Bild eines mächtigen Mannes vor Augen, der auf seinem Gehstock lehnt und eine Zigarre im Mundwinkel hat. Und er ist sicherlich einer der Männer, der die Weltgeschichte zu dieser Zeit maßgeblich mitgestaltet hat. Doch das die Frau an seiner Seite, Clementine Churchill, die Weltgeschichte auch ein Stück mitgeschrieben hat, wird erst durch den Roman „Lady Churchill“ von Marie Benedict, in der Übersetzung von Marieke Heimburger, aufgedeckt. Die Autorin verarbeitet das Leben von Clementine anhand von biografischen Meilensteinen und Aufzeichnungen als Roman und zeichnet das Bild einer „klugen, komplizierten, loyalen, kühnen und manchmal streitlustigen Frau“. Sie erzählt so ihre Version von Clementine Churchill, verwendet statt Kapitel Zeitstempel, beginnend am 12. September 1908, ihrem Hochzeitstag, und endet mit Kriegsende am 12. Mai 1945. Sie erzählt die Version einer Frau, die loyal zu ihrem Mann stand und ihn in allen Angelegenheiten unterstützte, die durchaus aber auch mit dieser Rolle haderte und sich, nach meinem Eindruck, nur einmal in ihrem Leben so etwas wie ein Freiheitsgefühl gönnte, als sie eine Kreuzfahrt nach Indonesien unternahm. Neben der persönlichen Ebene zeichnet der Roman aber auch ein großes Stück Zeitgeschichte nach, natürlich mit einem besonderen Blick auf die Politik Großbritanniens und seine Rolle im Zweiten Weltkrieg.

Kritik

Clementine und Winston fühlten sich schon vom ersten Kennenlernen an zueinander hingezogen. Dabei wollte sie so gar nicht in das Bild einer Frau passen, das man damals erwartete. Im Gegenteil, sie wusste durchaus ihre Meinung zu sagen und kannte sich ebenso in Politikangelegenheiten wie ihr zukünftiger Ehemann aus. Von diesem wurde Clementine von Anfang an in seine politische Arbeit einbezogen und für ihre Meinung geschätzt. So konnte sie durch ihren Einfluss maßgeblich Gesetze wie das Frauenwahlrecht auf den Weg bringen. Sie korrigierte Reden von Winston und übte mit ihm bis tief in die Nacht an diesen. Sie wusste mit dem enormen Selbstbewusstsein ihres Ehemannes umzugehen, lenkte ihn in den richtigen Angelegenheiten in ihrem Sinne, wie es niemand anders vermochte. Es ging soweit, dass sie auf Gruppenbildern, die bei Staatstreffen gemacht wurden, ebenfalls in die Reihe der Staatsmänner aufgenommen wurde.

Die Autorin erzählt jedoch auch eine Version von Clementine Churchill, die durch ihre Aufopferung in politischen Angelegenheiten mit ihrer Mutterrolle hadert. „Mein höchstes Ziel ist es, Familie und Ehe zusammenzuhalten, auch wenn nicht immer alles glänzend läuft.“ (S. 207) Sie stand im ständigen Zwiespalt der Erwartungen an sich als Ehefrau und Mutter einerseits und Politikerin andererseits. So berichtet die Autorin von psychischen Erschöpfungsphasen und wie sie über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder Kliniken aufsuchte. Der innere Zwiespalt der Vereinbarkeiten von Familie und Beruf(ung) – Anfang des 20. Jahrhunderts sicherlich ein noch größeres Thema als im 21. Jahrhundert – wird hierbei durch die Autorin wunderbar eingearbeitet und herausgestellt.

Fazit

Natürlich kann der Roman am Ende die Frage aufwerfen, was aus Winston geworden wäre, ohne Clementine an der Seite. Lassen wir die Politik beiseite, wird das Bild einer Ehe erzählt, die in keinem Maße gleichberechtigt erscheint. Doch unter dem zeitlichen Aspekt führte Clementine sicherlich eine aufgeklärtere Ehe als manche ihrer Zeitgenossinnen. Sie setzte sich für ihre Belange ein, erkämpfte sich ihren Weg und ertrug so manche Spitzen der Männer, nicht nur der anderen, sondern auch die ihres eigenen Mannes. Und so entsteht ein Bild einer Frau die ihrer Zeit voraus war, die Zeitgeschichte mitgeprägt hat und dafür etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte, als sie bisher erhalten hat.

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