Freier Fall in Perspektiven – Rezension zu „Der Sprung“ von Simone Lappert

*Presseexemplar*

Ein Roman. Viele Perspektiven. Zwei Rezensionen

„Der Sprung“ erschienen im Diogenes-Verlag, 01. September 2019

Zum Buch auf der Verlagsseite

Viele glauben, dass Bücher nichts Geselliges an sich hätten, weil man sie für sich lese und so mit dem Vergnügen allein sei. Wir sagen: der Schein trügt! Bücher kann man natürlich auch parallel und somit im übertragenen Sinne gemeinsam lesen. Und vor allem macht es Freude, danach gemeinsam zu diskutieren. Wir beide haben es direkt einmal mit dem Roman „Der Sprung“ von Simone Lappert ausprobiert und uns entschieden, innerhalb dieser Rezension gleich zwei Kritiken abzugeben.

"Der Sprung" von Simone Lappert aus dem Diogenes Verlag (2019)
„Der Sprung“: Klare Leseeempfehlung aus der aufgeblättert-Redaktion

Inhalt

Manu steht auf einer Dachkante eines Mietshauses, in Gärtnerkleidung, wirft mit Dachziegeln um sich, brüllt, ist ängstlich. Auf der Straße zahlreiche Schaulustige, die Feuerwehr, die Polizei, die Presse. Es werden Handykameras gezückt, Bilder geschossen. Felix, der Polizist, steht am Dachfenster, er soll die Frau vom Dach holen, bevor sie springt. Er kämpft dabei mit Herausforderungen seiner Vergangenheit. Astrid, Schwester und Bürgermeisterkandidatin hat Sorge erkannt zu werden, wenn sie da neben Felix an dem Dachfenster steht. Edna, die alte, kauzige Frau, die den Notruf gewählt hat. Winnie, der Teenager, der auf der Straße steht und Bilder aufnimmt um „dazuzugehören“. Henry der Obdachlose, dessen Fragen die Welt verändern könnten. Egon der heimlich in Roswitha verliebt ist und Maren, die nicht mehr in ihre Wohnung zurückkommt. Dann ist da noch Finn, der in Manu verliebt ist, es zumindest für Liebe hält und Theres der das Spektakel ein unerwarteter Reichtum beschert. Zahlreichen Menschen begegnet man in diesem Roman von Simone Lappert, die die Lebenslinie von Manu direkt oder indirekt kreuzen und alle beschäftigt die Frage, ob sie springen wird.

Eins vorne Weg, ob sie springt oder nicht, wird bereits auf der ersten Seite des Romans beantwortet. „Bevor sie springt, spürt sie das kühle Metall der Dachkante unter den Füßen.“ Eigentlich springt sie nicht, sie fällt. Der eigentliche Sprung ist dabei auch nicht das primäre Thema des Buches. Vielmehr geht es um die Menschen, denen man in diesen knapp 24 Stunden dauernden Schauspiel begegnet und was es mit ihnen macht.

Kritik Aline

Geschickt verwebt die Autorin die Schicksale der einzelnen Menschen miteinander und führt uns mit Energie, Stärke und viel Sinnlichkeit durch deren Leben und immer weiter in die Vergänglichkeit des Alltags. Den kurzen Momenten, in denen wir vor Sensationslust auf einer Straße stehen und einen Menschen dabei beobachten, wie er vermeintlich davor ist, sein Leben zu beenden. Und wie am nächsten Morgen die Straßenfeger und Kehrmaschinen den Dreck wegräumen, wie an Silvester, wenn der Große Knall uns in ein neues Jahr befördert und am nächsten Morgen der Alltag dann doch wieder an die Tür geklopft hat. Besonders angetan hat mich die Erzählweise aus den Blickwinkeln der jeweiligen Personen und das bis zum Schluss Manu kaum zu Wort kommt, wir also nur darüber Vermutungen anstellen können, warum sie fällt – Ein, meiner Meinung nach, gesellschaftskritischer Roman, der in einer wunderbar unterhaltsamen und zum Nachdenken anregenden Verpackung daherkommt und nicht nur deswegen zu meinen Lieblingsbüchern 2019 gehört sowie eine klare Leseempfehlung von mir ausgesprochen bekommt.

"Der Sprung" von Simone Lappert aus dem Diogenes Verlag (2019)
„Der Sprung“ von Simone Lappert aus dem Diogenes Verlag (2019)

 

Kritik Luise

Der Erzählstil hat etwas Erfrischendes: Die vielen Perspektiven von vermeintlichen Nebendarstellern, die jeweils ihren Auftritt bekommen und so doch irgendwie auch als Hauptdarsteller wirken. „Wie ist das, wenn jemand den Anschein macht, Suizid begehen zu wollen?“ Naheliegend scheint es, die Gedanken der Gefährdeten näher zu beleuchten, was kurz vor dem möglichen Sprung in ihnen vorgeht und welche Beweggründe sie haben könnten. Aber nein! In diesem Roman liegt der Schwerpunkt auf die Umgebung und zeigt, was diese in solch einer Ausnahmesituation bewegt. Denn diese Menschen trifft es überraschend, sie können sich auf den anstehenden Suizid nicht vorbereiten und müssen die Entscheidung des Betroffenen letztendlich akzeptieren und verkraften. Sie werden mehr zu Hauptdarstellern in der Situation, als man vermeintlich glauben könnte.

Allerdings, als kleiner Kritikpunkt, waren es mir persönlich dennoch ein paar zu viele Perspektiven. Obwohl sie letztendlich jeweils ein Puzzlestück der Geschichte zu schließen scheinen, haben sie, wie z.B. ein italienischer Modedesigner, nicht alle unbedingt eine Verbindung zur Protagonistin und wirkten für mich auch entbehrlich. Gerade im Hinblick auf den Beginn der Geschichte hätte ich es mir von den Perspektiven her komprimierter gewünscht, da die Verbindungen noch nicht ganz einleuchteten und es ab und an durch die Komplexität verwirrte. Es fiel mir dementsprechend anfangs nicht ganz so leicht, in der Geschichte anzukommen. Jedoch fand ich es insgesamt einen gelungenen Roman, vor allem auch aufgrund der sprachlichen Ausdifferenziertheit und Leichtigkeit, was dem ernsthaften Inhalt die Schwere nimmt.

Fazit

Das Buch vereint viele Perspektiven innerhalb der Geschichte. Entsprechend sind wir der Meinung, kann auch der Eindruck über den Roman unterschiedliche Perspektiven einschließen. Selbst wenn uns „Der Sprung“ letztendlich beiden gefiel und wir eine Empfehlung dafür aussprechen können, so sieht man, dass wir den Roman unterschiedlich gelesen und verschiedene Gefühle beim Lesen dazu empfanden. Geschmäcker sind zum Glück vielfältig. Insofern: Lest es gern selbst und bildet eure eigene Perspektive!

Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom Verlag als Rezensionsexemplar zugesendet. Dies hat weder unsere Meinung, noch Urteil beeinflusst. Vielen Dank an den Diogenes-Verlag!

 

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