Der Wonnemonat Mai hält wieder viele Bücher für uns bereit, insgesamt sind es zehn Bücher. Darunter sind auch Romane und Sachbücher, die wir wohl ohne den Blog nicht entdeckt hätten. So lag für Luise in diesem Monat zum Beispiel der Fokus auf Hörbüchern. Drei an der Zahl hat sie diesen Monat vorgestellt, vor ihrer Blogzeit hat sie eher gar nicht zum Hörbuch gegriffen. Nun macht sie es gerne, um Bücher von der Backlist anzugehen. Durch Hörbücher tauchen wir Leser:innen aber nicht nur inhaltlich in die Geschichten ein, sondern auch atmosphärisch, da die Geschichten durch die Stimmen der Sprecher eine ganz eigene Dynamik erfahren. Wie schön also, wenn man so auch „alten Bekannten“ wieder begegnet und sie so noch einmal auf eine ganz neue Art und Weise kennenlernen kann.
Unser Lesemonat Mai
„Das Rosies Projekt“ von Graeme Simsion (Luise)
Erstmals erschienen bei S. Fischer Verlage 2015, als Hörbuch beim Argon Verlag
Mein Vorhaben für dieses Jahr, wie bereits einige unter euch wissen: meinen SuB* abbauen und damit meine ich vor allem Bücher auf der Backlist. Denn meist haben Rezensionsexemplare Vorrang, da sie möglichst zeitnah vorgestellt werden sollten. Aber gerade letztes Jahr habe ich dadurch oft vor allem Druck beim Lesen verspürt. Dieses Buch zum Beispiel „Das Rosie Projekt“ hat mir mal eine Freundin empfohlen und stand seitdem auch schon länger unberührt in meinem Bücherregal. Nun wurde es Zeit und es hat mich unglaublich gut unterhalten
Don Tillman will heiraten. Allerdings findet er menschliche Beziehungen oft höchst verwirrend und irrational. Was tun? Don entwickelt das Ehefrau-Projekt: Mit einem 16-seitigen Fragebogen will er auf wissenschaftlich exakte Weise die ideale Frau finden. Und dann kommt Rosie. Unpünktlich, Barkeeperin, Raucherin. Offensichtlich ungeeignet. Aber Rosie verfolgt ihr eigenes Projekt: Sie sucht ihren biologischen Vater. Dafür braucht sie Dons Kenntnisse als Genetiker. Ohne recht zu verstehen, wie ihm geschieht, stellt Don fest: Gefühle haben ihre eigene Logik.
Menschen mit einer Inselbegabung, mit hohen intelligenten Fähigkeiten im Bereich Logik, dafür aber kaum sozialen Kompetenzen, daran denkt man schnell, wenn man von Autismus spricht. Dabei ist das Asperger-Syndrom nur eine Form. Vielleicht wegen des Film-Klassikers Rain Man. Auch dieses Buch spielt etwas mit den Klischees, aber auf eine sehr charmante Art. Man lacht herzhaft und genauso schließt man Don schnell ins Herz. Das Ende fand ich etwas vorhersehbar, aber insgesamt kann ich verstehen, warum dieser Roman schon seit paar Jahren auf vielen Lesestapeln zu finden ist. Wer Lust auf eine kurzweilige (Sommer)-Lektüre mit Humor und Liebe ohne großen Kitsch hat, dem kann ich diesen Roman empfehlen – auch als Hörbuch, denn es wird von meinem Lieblings-Hörbuchsprecher Robert Stadelober mit einer angenehmen Art des Vorlesens eingesprochen. Es gibt auch bereits eine Fortsetzung. Die werde ich sicher bald noch ausprobieren.
*Stapel ungelesener Bücher
„Gestapelte Frauen“ von Patricia Melo (Aline)
Erschienen beim Unionsverlag, im Februar 2021
TW: Femizid
In „Gestapelte Frauen“ nimmt uns die Autorin Patrícia Melo auf eine beklemmende Reise in das brasilianische Cruzeiro do Sul. Dort wird die Protagonistin, eine junge Anwältin hingeschickt, um einer Gerichtsverhandlung an einem brutalen Frauenmord teilzunehmen. Kurz zuvor wurde sie selbst von ihrem Freund geschlagen und als sie klein war, wurde Ihre Mutter durch ihren Vater ermordet. Das, und die Eindrücken des Prozesses nehmen sie immer mehr mit in ihre eigene Vergangenheit, die der Opfer und die Traumwelten Amazoniens. In dieser werden die Opfer gerächt, doch die Realität sieht verstörend anders aus. „Erst erobern Sie uns. Dann verprügeln Sie uns. Dann töten Sie uns.“ (S. 94). Nicht nur in Brasilien, das weit weg auf einem anderen Kontinent liegt. Auch in Deutschland wird an jedem dritten Tag ein Femizid, also der Mord durch einen der Frau nahestehenden Mann, begangen. Das erschreckende an dieser Statistik ist, das Täter und Opfer sich kennen und oft eine Familie sind. Zufallstaten oder sexuelle Übergriffe sind da noch nicht eingerechnet. Also ein intensives Thema, das durch die Autorin in dem Roman aufgearbeitet wird. Dabei verwebt sie echte Fälle, die die Kapitel einleiten, in eine Kriminalhandlung. Gleichzeitig taucht die eher rational erscheinende Protagonistin tief in das mystische Brasilien der alten Völker ab. Es entsteht dadurch ein intensiver Roman, der mich an der ein oder anderen Stelle an seine Grenzen gebracht hat. Dennoch hat mich das Thema, mit dem ich mich zuvor kaum beschäftigt habe, nachhaltig gepackt.
„Das Leben ist ein Fest“ von Claire Berest (Luise)
Erschienen im Insel Verlag (Suhrkamp), im März 2022
Frida Kahlo ist für mich eine dieser schillernden Persönlichkeiten, die zeitlos als Stilikone gilt. Und trotzdem wusste ich – außer dass sie eine herausragende Malerin aus Mexiko und Feministin war und für ihre Zeit sehr modern – wenig von ihr. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich diesen biographischen Roman von einer Freundin geschenkt bekommen habe. Denn ich war neugierig darauf, endlich mehr über Frida zu erfahren. Und ich bin wirklich gebannt von Frida Kahlos Leben, Willensstärke, Energie und das trotz ihres Schicksals, bereits in jungen Jahren durch einen verheerenden Unfall körperlich für ihr Leben lang versehrt gewesen zu sein. Sie hat körperlich gelitten, aber ihre Lebensfreude nie verloren. Außerdem gelingt es der französischen Autorin mit einer poetisch leichten Sprache und durch die Einteilung der Kapitel in Farben, die künstlerische Atmosphäre einzufangen, die Frida wohl auch schon zu Lebzeiten umgab. Hier sollte man auch die Übersetzungsarnbeit von Christiane Landkreis hervorheben.
Ich habe zwar nachträglich in Medien-Rezension gelesen, dass der Roman wohl wenig Neues erzählt, vor allem für Fans von der Malerin. Aber wenn ihr wie ich einen ersten Einblick in das facettenreiche Leben von Frida Kahlo gewinnen wollt, kann ich den kurzweiligen Roman empfehlen! Seid ihr Frida Kahlo-Fans?
„Das Leben ist ein Fest“ „Ein Spiegel für mein Gegenüber“
„Ein Spiegel für mein Gegenüber“ von Nadire Biskin (Aline)
Erschienen bei dtv, im Februar 2022
In zwei Abschnitten erzählt die Autorin Nadire Biskin in „Ein Spiegel für mein Gegenüber“ die Geschichte von Huzur einer jungen Referendarin mit türkischen Wurzeln, die in Berlin Wedding geboren und aufgewachsen ist. Nach „Kopftuchgate“ lässt sie sich krankschreiben und flieht den Sommer über in die Türkei, wo sie bei einer Cousine unterkommt. Dort versucht sie Klarheit über ihren Job als Lehrerin zu erlangen und welche Position sie als Deutsche mit türkischen Wurzeln in der Gesellschaft einnimmt. Sie fühlt eine innere Zerrissenheit: Gleichzeitig ist sie in der Türkei die Fremde, die Deutsche, wird in Deutschland dahingegen als Türkin gelesen. Im zweiten Teil zurück in Berlin begegnet sie am Flughafen der zehnjährigen Hiba die scheinbar alleine und ohne Familie aus Syrien geflüchtet auf den Straßen der Stadt lebt. Kurzerhand nimmt sich Huzur ihr an und gibt ihr ein zu Hause. In diesem Teil werden insbesondere Alltagsrassismussituationen, Vorurteile gegenüber Hiba und Huzur und deren gesellschaftliche (Nicht-)Akzeptanz aufgearbeitet. Diesen Teil empfand ich als etwas stärker. Insbesondere mit welcher Selbstlosigkeit Huzur sich um Hiba kümmert und ihre Entscheidung gegenüber Skeptiker:innen verteidigt, bewegte mich nachhaltig. Aber auch der erste Teil mit seiner Darstellung über die Zerrissenheit zwischen den Heimaten und das Alltagsrassismus, in dem Fall gegenüber den in die Türkei geflüchteten Syrer:innen eine gesellschaftliche Herausforderung über alle Grenzen hinweg zu sein scheint, war gut ausgearbeitet. Insgesamt ein kurzes, aber deswegen nicht weniger beeindruckendes Leseerlebnis.
„Die Molche“ von Volker Widmann (Aline)
Erschienen bei Dumont, im April 2022
Der 11-jährige Max lebt mit seiner Familie in einem kleinen bayrischen Dorf. Die Weltkriege sind gerade vorbei, die Erwachsenen finden so langsam in ihr Nachkriegsleben zurück und die Kinder genießen tobend durch die Dorfstraßen ihre Freiheit und Kindheit. Es liegt Hoffnung in der Luft, wäre da nicht Tschernik und seine Bande, die die anderen Kinder im Dorf terrorisieren. Bei einer Prügelei kommt der jüngere Bruder von Max ums Leben, was von den Erwachsenen als Unfall abgetan wird, obwohl alle wissen, dass es nicht so war. Max fühlt sich schuldig, seinen Bruder nicht beschützt zu haben und die Wut auf Tschernik steigt in ihm hoch, gegen den er sich als Außenseiter im Dorf aber machtlos fühlt. Langsam beginnt Max aber Bande mit den anderen Dorfkindern zu knüpfen und sich gegen Tschernik zur Wehr zu setzen. Der Debütroman von Volker Widmann besticht durch wunderschöne Naturerzählungen und verträumte Beschreibungen. Man spürt zwischen den Zeilen die Stimmung zwischen Nachkriegstristesse und ersten hoffnungsvollen Frühlingsstrahlen. Doch was den Hauptplot, die eigentliche Geschichte von Max, der sich gegen die Tschernik-Bande zur Wehr setzt, angeht, so kommt diese nach meiner Ansicht nach nicht so recht in Gang. Viel mehr werden Bilder eines Frühreifen Max gezeichnet, der seine ersten sexuellen Erlebnisse erfährt, die mich irritieren, da er mir für die beschriebenen Erlebnisse zu jung erscheint. Ob Kinder Ende der 1940er-/Anfang der 1950er-Jahre früher erwachsen werden mussten, weiß ich nicht zu beurteilen. Unterm Strich ist mir die eigentliche Geschichte leider etwas zu kurz gekommen, auch wenn ich die Erzählsprache und Naturbeschreibungen sehr mochte.
„Die Molche“ „In den Wäldern der Bieber“
„In den Wäldern der Bieber“ von Franziska Fischer (Aline)
Erschienen bei Dumont, Mai 2022
„Innehalten, ankommen, weitermachen“ so wird das Buch von Franziska Fischer, das ich euch heute vorstellen möchte, auf der Rückseite beschrieben. Schon der Titel „In den Wäldern der Biber“ lässt mich direkt an Waldbaden und Natur denken. Wie passend das es gestern erschienen ist, wo nun auch die letzten Bäume ihre Blätter ausgerollt und die Kirschblüten die Landschaft verschönert haben. Erzählt wird die Geschichte von Alina, die nach einer schmerzhaften Trennung von Frankfurt in das kleine Dorf Spechthausen flüchtet. Dort kommt sie bei Ihrem Großvater unter, zu dem sie schon viele Jahre kein Kontakt mehr hatte. Er nimmt sie, ohne Fragen zu stellen, auf und gibt ihr einen Ort, nach dem sich Alina gesehnt hat, ohne das sie es wusste, einen Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit. Alina beginnt langsam zu reflektieren, wer sie ist, wer sie sein will und wo sie sich ein neues Leben aufbauen will. Und natürlich steckt eine Liebesgeschichte zwischen den Buchdeckeln des knapp 320 Seiten starken Buches. Die schleicht sich auf leisen Sohlen heran und ist mit Sicherheit nicht schwarz-weiß, sondern eher kompliziert, so wie sich das für einen Millennial-Roman gehört. Auch ansonsten ist die Erzählung sehr ruhig und weniger hektisch und passt sehr gut zur gesamten Stimmung des Romans. Keine mahnenden Hinweise, was in der Gesellschaft alles gerade falsch läuft. Einfach gute Unterhaltung für ein Abtauchen vom hektischen Alltag. Die vollständige Rezension findet ihr hier.
„Das Känguru-Manifest“ von Marc-Uwe Kling (Luise)
Erstmals erschienen bei Ullstein, 2011, als Hörbuch bei Hörbuch Hamburg
*Evergreen-Tipp*
Meine absoluten Bücher-Evergreens bleiben wohl die Känguru-Chroniken. Vor allem höre ich die Kurzgeschichten dann gerne immer mal wieder als Hörbuch, eingesprochen von Marc-Uwe-Kling persönlich. Man muss sie nicht an einem Stück hören und auch nicht zwangsläufig zusammenhängend. Erst vor Kurzem habe ich den zweiten Teil auf dem Weg zur Arbeit gehört. So startet man beschwingt in den Tag.
Welches Buch/Reihe gehört zu euren absoluten Evergreens und könntet ihr immer wieder lesen oder hören?
„Die Känguru-Chroniken“ „Panikherz“
„Panikherz“ Benjamin von Stuckrad-Barre (Luise)
Erstmals erschienen bei Kiwi 2016, als Hörbuch bei Orell Füssli
„Panikherz“ ist eines dieser Bücher, die fast schon das Fundament meines SuBs bildedeten – obwohl es mir immer wieder begegnet und auch Benjamin von Stuckrad-Barre als Gast bei Late Night Shows und Podcasts. Aber jetzt, als Hörbuch!
Am Anfang war ich etwas verwirrt, da ich direkt eine Geschichte über Drogenexesse erwartete. Doch es beginnt mit einer Lobeshymne auf Udo Lindenberg, über die Kindheit in einer Öko-Familie und Jugend von Benjamin, die vor allem davon geprägt war, von Udo. Ich wusste zwar, dass sie befreundet sind, aber dass ein Musikjournalist so ein Faible für Deutschrock haben würde, dass er so von einem Sänger schwärmte, überraschte mich, macht ihn irgendwie sympathisch. Es folgt ein Einblick in die Welt der Musikindustrie in den 90 er/00er Jahren, in die Benjamin als einer von wenigen schnell Fuß fässt. Die Musikwelt ist schillernd, aber auch ein hartes Geschäft. Sie fasziniert mich.
Und dennoch fiel es mir anfangs schwer, dranzubleiben. Ähnlich wie in Interviews wird Benjamin ausschweifend, verliert sich in Details. Die Drogenexesse lassen auf sich warten. Doch auch hier werde ich dann überrascht. Denn wider meiner Erwartungen des vermeintlich coolen Party-Drogensüchtigen kommt sein stetiges Verlangen nach Drogen aus einer Magersucht bzw. Bulimie heraus, also wegen Selbstzweifeln. Das Koks lässt gar nicht erst Hunger zu. Die stetige Aufmerksamkeit, die Benjamin immer mehr geschenkt wird, scheint am Perfektionismus zu kratzen: Scheinwerferlicht, Autorenfotos, da muss man gut aussehen. Und das ausschweifende Leben ist eben leicht zugänglich in den Kreisen. Doch mehrere Klinikaufenthalte, Verwahrlosung und Kreativitätsflauten folgen. Die Einsicht bleibt aus, immer wieder hungert Benjamin, immer wieder nimmt er Drogen. Man möchte ihn schütteln.
Die Beschreibungen wiederholen sich. Klar, ein Leben auf Drogen ist oft monoton. Vor allem wenn man laut Benjamin immer wieder im Kreis laufen muss, während eines Rausches. Trotzdem bin ich froh, dass in den letzten Hörbuch-Stunden (insgesamt 16) er endlich die Kurve bekommen hat. Denn so hat auch das Buch die Kurve bekommen. Wenn es auch manchmal mehr Namedropping gleichkam, so ist es popkulturell insgesamt eine Wucht.
Money, Money, Money
Hier geht’s zu guter Letzt noch zu Luises Karriere- & Gehalts-Themenbeitrag, vor allem mit den Büchern „Kenne deinen Wert!“ von Susan J. Moldenhauer und „Geteilt Arbeit, doppelt Durchstarten“ von Lydia Leipert und Rebecca Zöller.
Fazit
Im Mai ist uns vor allem durch den Karriere-Themenbeitrag noch einmal bewusst geworden: Aufgeblättert ist ein Jobsharing-Projekt. Es ermöglicht uns mehr und vielfältiger zu lesen, aber auch Rezensionen und Instagram-Beiträge aufzuteilen. Klar, wir müssen uns stärker organisieren. Aber gerade in stressigen Momenten, zum Beispiel als Aline diesen Monat umgezogen ist oder wenn eine von uns im Urlaub ist, diesmal Luise, kann es hilfreich sein, sich die Arbeit aufzuteilen. Es entstehen weniger Leerläufe. Und ihr werdet immer mit Buchtipps versorgt. Wir finden das wunderbar! Ihr auch?