Lass das Indie Book aus der Box: Rezension zu Schrödingers Grrrl von Marlen Hobrack

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Am 25. März 2023 ist wieder Indiebookday und zu diesem Anlass stelle ich eine Perle vor, die ganz frisch bei einem meiner liebsten Indieverlage erschienen ist. Aber Halt, Stop! Warum gibt es eigentlich einen Indiebookday? Kleinere, oft spezialisierte Verlage erhalten möglicherweise nicht so viel Aufmerksamkeit wie große Publikumsverlage. Der Indiebookday ist speziell ihnen und dem oft sehr besonderen und spezialisierten Programm gewidmet. 2020 beschlossen Luise und ich uns stärker mit unabhängigen Buchverlagen zu beschäftigen, seitdem lese ich vermehrt und gerne Bücher von Indieverlagen für die wir eigens eine eigene Kategorie eingeführt haben (Unabhängige Buchverlage). Besonders gerne und oft dabei sind Bücher aus dem Verbrecherverlag. So auch diesmal und jetzt lass ich die Katze mal aus der Box beziehungsweise aus Schrödingers Box. Aber Achtung, das ist mir möglicherweise nicht ganz Spoilerfrei gelungen. Alle die, die sich noch überraschen lassen wollen, sollten nach der Inhaltsangabe aufhören zu lesen…

„Schrödingers Grrrl“ von Marlen Hobrach

„Schrödingers Grrrl“ von Marlen Hobrack

Inhalt:

Als Mann bist du verloren, „denn du darfst nur über Männer schreiben, aber wer will Geschichten von alten weißen Männern hören? Niemand. Niemand!“ (S. 137). Und so kommen Hanno, Manfred und Richter, drei alte weiße Männer auf die geniale Idee, Mara anstatt Richter als Autorin seines neusten Werks auszugeben. Das Werk in dem es um eine junge Frau geht. Wie passend, dass Mara Wolf, zukünftige gefeierte Autorin, eine 25-jährige Dresdnerin, eine Schulabbrecherin, eine Harz-4lerin, shoppingsüchtig und handysüchtig ist. Hanno, der PR-Agent und Mara lernen sich zufällig in einer Bar kennen. Hanno erkennt sofort das Talent und die Gabe, die in der jungen Frau schlummert. Mara, die keinen Platz in der Gesellschaft findet, stimmt zu, den gesamten Literaturbetrieb Deutschlands an der Nase herumzuführen – ohne zu wissen, was da eigentlich auf sie zukommt. Ihren Alltag füllt sie vor allem mit Instagram, aber auch Online-Dating und -Shopping. Das Geld, was bei dem Coup herumkommt, kann sie also gut gebrauchen. Mara spielt ihre Rolle sehr gut, doch ist es ihr eigentlich egal, was da um sie herum passiert. Denn neben depressiven Phasen, in denen sie sich komplett in ihrer Wohnung verriegelt, ist da noch Paul, der bald all ihre Aufmerksamkeit beanspruchen wird. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Katze aus der Box gelassen wird.

Rezension:

Schnell und aufgeregt arbeite ich mich durch die Seiten, komme kaum hinterher, die Seiten mit Eselsohren (ja, Eselsohren) und die schönsten Sätze mit Bleistift zu kennzeichnen*. Schrödingers Katze, das Experiment, in dem eine Katze in eine Box gesperrt und wahrscheinlich Giftgas ausgesetzt werden soll. In dem Moment, bevor das Giftgas freigesetzt wird, gilt die Kate zu 50 % als tot, zu 50 % als lebendig. In „Schrödingers Grrrl“ ist es nicht die Katze, die in eine Box gesperrt wird und es gibt auch kein Giftgas. Viel mehr ist es Mara, die im übertragenen Sinn in die Box der jungen, weiblichen und vor allem aufstrebenden Autorin gesteckt wird. Eine Box, die allen gefällt. Alle wollen es glauben, dass die junge Frau ohne Perspektive und Schulabschluss etwas aus sich gemacht hat und allen in der Literaturwelt zeigt, dass es die jungen Frauen sind, die in die erste Reihe gehören. Und nicht wie sonst die alten weißen Männer. Dann ist da noch die andere Box, in die sich Mara selbst „hineinsteckt“: Die, mit der sie jedem gefallen will und die ihr Selbstwertgefühl durch das Außen (Instagram) steigert. Die Box, mit der sie Paul unbedingt gefallen will. Sie tut Dinge und kleidet sich entsprechend, obwohl es ihr selbst nicht gefällt. Es ist Mara, die in ihren depressiven Phasen antriebslos und ohne Motivation ist und in ihren Hochphasen total motiviert eine überzeugende Rolle spielt. Der Roman von Marlen Hobrack ist ein Hochstaplerin-wider-Willen-Roman über eine Frau, die vermutlich gar nicht umreißen kann, in was sie hineingerät. So verdrängt sie lange, was mit ihr passiert und lenkt ihren Fokus auf Paul. Sie verliebt sich in Paul oder denkt zumindest, dass es so etwas wie Liebe ist. Und so verschwimmt allmählich die Realität. Bis zu dem Zeitpunkt, als der gefeierte Autor Richter, dem alte weiße Mann, der vermeintlich alles besser weiß, die Nerven verliert. Sein Buch gewinnt zu viele Preise, zu viel Aufmerksamkeit, das Licht scheint zu hell für Mara und nicht für ihn. Die Box – oder auch die Büchse der Pandorra – wird geöffnet, Mara kann wieder ihr Leben leben. Stilistisch schreibt Marlen Hobrack über die Protagonistin, wir schauen als Lesende eher immer auf das Geschehen, als mitten drin in ihrer Gedankenwelt zu stecken. Ein paar Kapitel werden jedoch aufgebrochen, Mara spricht dort aus der Ich-Perspektive. Das empfinde ich als gelungen. Der selten aber doch stattfindende Wechsel der Perspektiven erinnert daran, dass man mehrheitlich über Mara spricht, aber nur selten Mara selbst zu Wort kommen lässt. Möglicherweise eine Bezugnahme dazu, dass oft weiße alte Männer über Frauen sprechen und nicht mit ihnen.

Fazit:

In einer Rezension auf Instagram habe ich gelesen, dass der Gedanke witzig wäre, dass Marlen Hobrack nicht die eigentliche Autorin ist, sondern ein berühmter männlicher Autor. Auch mir würde der Gedanke für diesen Twist gefallen. Gleichzeitig muss ich an einen Satz am Ende des Romans denken, in dem man zu Mara sagt, das man froh wäre, dass nicht eine Frau, dass nicht Mara, diesen „Stuss“ geschrieben hat. Den Stuss für den sie zuvor hochgelobt und als einzigartig im Literaturbetrieb gefeiert wurde. Und so stelle ich mir die Frage, ob dieses Buch auch ein Mann hätte schreiben können und wenn ja, was würde die Literaturwelt wohl davon halten? Mich erinnert es aber auch daran, dass früher Frauen sich als männliche Autoren ausgegeben haben, wenn es rauskam, war deren geschriebenes auch plötzlich „Stuss“, wie zum Beispiel bei den Bronte-Schwestern.

*Meine Auswahl an den schönsten Sätzen:


„Wer ich sein wollte, das wusste nur das Netz.“
„Die Zeit war verflogen in einem Nebel aus Gefühllosigkeit.“
„(…) umringt von Senioren, die man vorsorglich an Sauerstoffgeräte angeschlossen hatte. Keine Sekunde länger hätte sie das Röcheln und Räuspern der Cyborg-Rentner ertragen können.“
„Sie trug ein kleines Schwarzes; er einen kleinen Hut.“
„Und faltige alte Männer verkaufen sich nicht auf Facebook oder Instagram. Die moderne Heldengeschichte ist weiblich.“
„Ich hasste die Unausweichlichkeit der Gerüche, die Aufdringlichkeit, mit der sie auf die eigene Existenz aufmerksam machten.“
„Vielleicht könnten Tränen Berliner Steine erweichen.“
„Eigentlich hatte Mara gehofft, die irrsinnige Idee würde verschwinden wie ein Zeichen im Sand am Meeresufer, überpühlt von Wellen.“
„Sogar ihr Schatten humpelte über den gebohnerten Linoleumboden.“
„Vielleicht konnte der Kuss die Pause füllen, in dem sie beide, als Paar, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden drohten.“
„Ich kauerte mich auf mein Sofa und starrte in den Spiegel schräg gegenüber. Ich mochte es, mir beim Traurigsein zuzuschauen. So fühlte ich mich weniger allein.“
„Warum brauchte eine Sonne wie er den Mond? Weil er sich so seiner Größe versichern konnte.“
„Ein schwacher Moment, und ihr ganzes Leben hatte sich in einen irrationalen Fake verwandelt.“
„Die Wahrheit war in ihr Leben eingebrochen.“

*Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.


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