Ein Klassiker unter den Dystopien, erstmals erschienen 1985, Neuauflage April 2017 Piper Verlag
Magaret Atwood schrieb ihre Dystopie „Der Report der Magd“ bereits 1985 – doch bleibt das Buch zeitlos und ist gegenwärtig wieder brisanter Gegenstand von Diskussionen in der Literaturwelt. Die kanadische Autorin wurde dieses Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, welcher ihr mit internationaler Reputation auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wurde.
Atwood ist bekannt für ihre gesellschaftskritischen Romane, die stetig auf soziale Missstände und gefährliche Strömungen der Politik aufmerksam machen. Mehr als verdient wurde ihr dahingehend einer der wichtigsten Titel innerhalb der deutschen Buchbranche verliehen. „Der Report der Magd“ ist mit eines ihrer bekanntesten Werke und kletterte durch die aktuelle gleichnamig amerikanische Serie „The Handmaid’s Tale“ (die Serie wird seit dem 04. Oktober auch auf Deutsch bei EntertainTV ausgestrahlt) sowie mit einer Neuauflage des Buches wieder auf die Bestsellerlisten.
Inhalt
Gilead ist ein totalitär geführter frauenfeindlicher Gottesstaat. Nährboden für die Schreckensherrschaft waren Notstandsgesetze, die aufgrund einer Naturkatastrophe ausgerufen wurden. Erdbeben führten zu mehreren Explosionen von Atomkraftwerken, wodurch viele Frauen unfruchtbar wurden. Das war nach Ansicht der Fundamentalisten eine Strafe Gottes. Das System entwickelte sich langsam zu einem professionellen Machtsystem des Mannes. Aufgrund der Unfruchtbarkeit vieler Frauen wird der staatliche Eingriff umso dringlicher, weiterhin Nachkommen für das Land zu sichern. Fruchtbare Frauen werden staatlich indoktriniert und in den kinderlosen Familien der Elite eingestellt, um Kinder für die Hausherren zu gebären. Das Erkennungszeichen der Magd: Stets rot gekleidet und mit weißen Flügeln versehen.
Die Mägde stehen trotz ihrer wichtigen Aufgabe des Erhalts der Nachfahren ganz unten in der Familie und im System. Sie werden wie Sklavinnen gehalten. Sobald sie Kinder bekommen, gehören diese den Kommandantinnen. Stellt sich heraus, dass eine Magd kein Kinder bekommen kann, so werden sie sogar verbannt. Insofern gilt für die Protagonistin, deren richtigen Namen man nie erfährt, sondern nur ihren als Magd verliehenen Namen, Desfred, vor allem eines, um zu überleben: Ein Kind bekommen.
Desfred schreibt den Report für die Nachwelt, um so ihre Sicht von ganz unten auf das System aufzuzeigen und wachzurütteln. Sie ist einem einflussreichen Kommandanten unterstellt und berichtet aus dem Leben in der Familie und dem Staat Gilead. Sie fügt sich zwar dem System, steht ihm aber kritisch gegenüber. Nach außen spielt sie ihre Rolle, doch mit der Zeit kommt sie in Kontakt mit dem Widerstand und beginnt Risiken dafür einzugehen.
Kritik
Der Report ist ein Zeichen des Widerstands, es ist Desfreds Report für den Frieden. Durch die persönliche Sicht der Magd auf die Gesellschaft und das alltägliche Leben im totalitären System Gilead erhält man einen differenzierten Blick auf ihre Gefühlswelt und den Blickwinkel gerichtet auf die unterste Schicht der Gesellschaft. So bleibt die Sicht allerdings auch weitestgehend subjektiv. Man erfährt nur fragmentarisch etwas über das System, wodurch zwar am Anfang eine besondere Spannung aufgebaut wird, doch zwischenzeitlich auch wesentliche Informationen fehlen, um das totalitäre System als solches sowie die Handlungen der Protagonisten in diesem System gänzlich zu verstehen. Man wird meiner Meinung nach leider etwas zu lang im Dunkeln gelassen.
Die Dystopie in ihrem Grundgedanken ist von Atwood jedoch faszinierend bis ins Detail konzipiert und dargestellt. Es zeigt einen gesellschaftskritischen Blick auf unsere reale Welt.
Die Frau galt früher im Christentum lang als die Schuldige für den Sündenfall, was als Grundlage für ihre Unterdrückung und die Legitimität der Macht des Mannes genutzt wurde. Das totalitäre System Gilead zeigt anschaulich, wie schnell Religion fundamentalistisch als Machtmittel instrumentalisiert werden kann und dazu missbraucht wird, totalitäre Handlungen und Einstellungen zu legitimieren. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau vor dem Gesetz gilt auch bei uns in Deutschland erst als eine junge Errungenschaft in der Gesellschaft. In den 80er Jahren galt zum Beispiel auch in Deutschland noch Vergewaltigung in der Ehe lediglich als Bagatelldelikt. Bis in die 70er konnte der Mann in der BRD über das Geld und die berufliche Zukunft der Frau verfügen. In vielen Ländern werden Frauen noch heute massiv unterdrückt.
Fazit
Atwoods Dystopie entspricht folglich einer beeindruckenden Welt, in der zugespitzt sowohl fundamentalistische religiöse Strömungen und patriarchalische Tendenzen in der Gesellschaft gesellschaftskritisch aufgezeigt werden. Auch die Bedeutung von Umweltschutz und Ökologie wird deutlich wird, durch den Umstand, dass Frauen aufgrund einer nuklearen Katastrophe unfruchtbar wurden.
Die Autorin zeigt mit der Report der Magd Denk- und Verhaltensweisen unserer Realität auf, die kritisch zu hinterfragen sind. Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sind ihre wesentliche Themen, aber auch der Appell an unseren Umgang mit unserer Umwelt und Natur. Es ist Atwoods Report für den Frieden! Mit „Der Report der Magd“ wird sie nicht ohne Grund gleichermaßen mit George Orwell und seinem 1984 in einer Reihe genannt. Für mich hat sie den Friedenspreis in jedem Fall verdient.
Weiterführende Links
Mein Artikel zu Dystopien: Dystopien als Spiegel
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Magaret Atwood
Das blaue Sofa auf der Frankfurter Buchmesse: Magaret Atwood zu Gast
Spiegel Online: Plötzlich ist die Welt eine andere. Erfolgsserie „The Handmaid’s Tale“