Hättet ihr gedacht, dass ein Hashtag mal für so Furore sorgen wird und gar dazu betragen kann, dass Gesellschaftsverhältnisse in ihren Fundamenten erschüttert werden?
Vor fünf Jahren, Mitte Oktober 2017, ging der Hastag #metoo viral. Auslöser war ein Artikel in der New York Times über den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, der jahrelang Frauen sexuell missbraucht und belästigt hatte und sie dafür bezahlte, damit sie mundtot bleiben. Die Schauspielerin Alyssa Milano machte letztendlich den durch die Aktivistin Tarana Burke 2006 ins Leben gerufenen Hashtag berühmt. „Ich auch“ – mit dieser Botschaft haben sich viele Frauen angesprochen gefühlt und den Mut aufgebracht, genauso über ihre Erlebnisse mit sexuellen Anfeindungen und Gewalt zu sprechen. Der Hashtag wurde millionenfach geteilt und löste gesellschaftliche Debatten aus.
Eine persönliche Perspektive auf die #metoo-Bewegung
Auch meine Perspektive gegenüber den Themen Feminismus und Gleichberechtigung der Geschlechter hat sich in den letzten fünf Jahren verändert. Es gab schon eine Zeit, in der ich der Meinung war, Frauen und Männer seien in der heutigen Zeit weitegehend gleichberechtigt. Und wahrlich kann man nicht abstreiten, dass in den letzten Jahrhunderten Vorkämpferinnen dafür gesorgt haben, dass ich mich als Frau frei entfalten und meinen Wünschen und Zielen nachgehen kann, zumindest in Deutschland. Und dennoch, je mehr ich mich damit auseinandersetzte, wurde mir bewusst, dass es weiterhin wesentliche Chancenungleichheiten zwischen Frauen und Männern gibt, auch in Deutschland. Noch immer gibt es zu wenig Frauen in Führungspositionen, wobei dies meiner Meinung nach nicht allein daran liegen kann, dass Frauen entweder nicht wollen oder eben die Männer jeweils qualitativ mehr überzeugt haben. Immerhin sind 51,7 % der Hochschulabsolventen Frauen (Statista, Stand 2020). Noch immer gibt es Unterschiede im Einkommen, der sogenannte Gender Pay Gap. So liegt laut einer Studie von 2021 der unbereinigte Verdienstunterschied bei 18 % (da Frauen z.B. häufig in niedriger bezahlten Berufssektoren wie der Pflege oder Erziehung arbeiten). Aber auch beim bereinigten Verdienstunterschied, also bei gleichem Sektor und Position, liegt die Differenz bei immerhin 6 % (Stand 2020).
Frauen erfahren vor allem deutlich häufiger häusliche Gewalt, hier steigt der Anteil laut Statistik sogar weiterhin. Und auch bei sexuellen Übergriffen ist der Anteil von 78 % der Frauen, die angaben, bereits einmal in der Öffentlichkeit sexuell belästigt bzw. einen sexuellen Übergriff erlebt zu haben, deutlich höher als bei Männern mit 26 % (Stand jeweils 2020). Ein zum Teil noch immer gerne benanntes Argument ist, dass die Frauen sich eben nicht so anzüglich hätten anziehen oder sich nicht so an den Hals des Mannes hätten werfen sollen. Dabei ist diese Ansicht bereits unserem durch patriarchale Strukturen geprägtes Weltbild geschuldet. Mal zugespitzt formuliert: Frauen können sich doch immerhin auch ganz gut beherrschen, wenn der Mann oberkörperfrei an einem vorbeiläuft, oder? Und wenn Männer sich nicht einmal in Griff haben, wieso dominieren Sie dann die Führungsebenen in Politik und Wirtschaft?
Unsere aktuellen Buchtipps zum Thema
„Das Licht ist hier viel heller“ von Mareike Fallwickl
Erschienen 2019 bei der Frankfurter Verlagsanstalt, als Taschenbuch im Penguin Verlag
Mareike Fallwickl verwebt den Beginn der #Metoo-Bewegung in einen Roman, in dem sie genau dieses oft tabuisierte Thema der sexuellen Gewalt aufgreift. Indem die Kapitel der weiblichen Hauptfigur, die einen sexuellen Übergriff erlebt, aus der Ich-Perspektive beschrieben werden, wird dem Opfer eine Stimme gegeben. Und durch die Darstellung diverser, vermeintlicher Strohfeuer von sexueller Gewalt entsteht ein Sprachrohr für diese erstickten Stimmen. Dem entgegen setzt Fallwickl aber auch die Perspektive des alten weißen Mannes, der den Wandel der Zeit nicht akzeptieren kann. Mareike Fallwickl legt wie immer mutig den Finger in die tiefe Wunde der patriarchalen Gesellschaft. Mehr dazu findet ihr hier.
In „Die Wut, die bleibt“ wird auf die Rolle der Frau in der Corona-Krise hingewiesen, in der es in vielen Familien wieder zu einer traditionellen Aufteilung kam, indem die Frauen zu Hause blieben, um sich um die Kindererziehung während des Lockdowns zu kümmern.
„I can’t believe, I still have to potest this shit“ von Jesica Hallbäck
Erschienen bei Bonnier Rights Schweden im März 2022
Heute ist es ein Hashtag. Aber früher waren Plakate im Kampf um die Gleichberechtigung oft das beste Kommunikationsmittel, wenn andere verweigert wurden. Der schwedische Bildband vereint eine Sammlung von Plakaten der letzten 100 Jahre Feminismusgeschichte aus verschiedensten Ländern. Zu entdecken gibt es zum Beispiel ein Plakat zum Aufruf des Frauenwahlrechts 1914 in Deutschland, ein Plakat der Suffragetten-Bewegung in Frankreich (auch 1914). Dabei ist auch ein Plakat der anonym operierenden Aktivismusgruppe Guerilla Girls, mit dem die Menstruation enttabuisiert werden soll, aber auch ein Plakat aus Schweden, das aufzeigt, dass der Kampf für Frauenrechte für alle Kulturen und Hautfarben gilt. Plakatsprüche wie „We should all be feminists“ von 2017 und „We all can do it“ das letzte Plakat (2022) des Bildbands bedeuten für mich, dass wir bei uns anfangen sollten und unseren Beitrag dazu leisten können, um Frauenrechte und weibliche Selbstbestimmung zu stärken. Wir Frauen haben heutzutage das Glück, auf feministische Vorreiterinnen aus hunderten von Jahren Geschichte zurückblicken zu können, die hart kämpften und gar um ihr Leben fürchten mussten. Und dennoch dürfen wir uns nicht ausruhen und sollten selbst aktiv werden.
„Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ von Kristina Lunz
Erschienen bei Ullstein Buchverlage, im Februar 2022. Von mir als Hörbuch gehört, aus dem Saga Egmont Verlag
Kristina Lunz ist eine deutsche Feministin und Aktivistin. Sie arbeitete für die UN und nahm in ihren jungen Jahren bereits an diversen wichtigen internationalen Konferenzen wie der Münchner Sicherheitskonferenz als Rednerin teil. Als Mitbegründerin des „Centre for Feminist Foreign Policy”, eine gemeinnützige Forschungs- und Beratungsorganisation, denkt sie mit ihrem Engagement Frieden, Menschenrechte und Gerechtigkeit mit Außenpolitik zusammen und will so einen Paradigmenwechsel einleiten. Das Buch schlägt einen komplexen Bogen von der Geschichte feministischen Engagements in der internationalen Politik bis heute. Länder wie Schweden, Kanada, Mexiko oder Frankreich haben eine feministische Außenpolitik bereits in ihren politischen Grundsätzen verankert. Auch Annalena Baerbock als erste Außenministerin Deutschlands, hat sich die Leitlinien auf die Fahnen geschrieben bzw. hat die Ampel-Koalition die Prinzipien der feministischen Außenpolitik im Koalitionsvertrag verankert. Der Ukraine-Krieg und der Iran-Konflikt stellen diese Grundsätze bereits heftig auf die Probe. Ideal- versus Realpolitik.
Kristina Lunz und ihre gemeinnützige Organisation CFFP wollen mit ihrem Engagement für den Ansatz der feministischen Außenpolitik der vorherrschenden Real-Politik entgegentreten, wobei sie durchaus Pragmatismus walten lassen. So waren sie am Prozess des 2016 etablierten Grundsatzes im Sexualstrafrecht: „Nein heißt Nein“ beteiligt. Kritisiert wurden sie von Feminst:innen, nicht genug für ein „Ja heißt Ja“ gekämpft zu haben. Doch Lunz sieht es als ersten Schritt und meint, dass es wichtig ist, in der Politik zu erwägen, was realistisch ist. Dabei stellt sie auch fest, dass die #metoo-Bewegung dazu beigetragen habe, dass mehr möglich sei, dass der feministische Ansatz der Außenpolitik mehr Akzeptanz weltweit findet.
Laut Lunz dominieren noch immer patriarchale Strukturen die Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen. Geschlechterhierarchien beeinflussen internationale Konflikte und führen dazu, dass das männliche Machtgefüge über Krieg und Frieden entscheidet. Friedensprozesse, bei denen Frauen mitbeteiligt sind, bleiben laut Untersuchungen dauerhafter bestehen. Länder in denen eine emanzipative Zivilgesellschaft unterstützt wird, werden die Bedürfnisse von Frauen und von anderen marginalisierten Gruppen stärker berücksichtigt. Feministische Außenpolitik macht sich nicht nur für die Abwesenheit von Krieg stark, sondern sieht Frieden als einen allumfassenden Zustand, in dem der Schutz von Menschenrechten gelebt wird und das Individuum im Vordergrund steht. Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe werden als wesentliche Voraussetzungen erachtet. Und nicht nur sicherheitspolitische, sondern auch interkulturelle, gesundheitspolitische oder klimaschutzpolitische Aspekte werden in den Blick genommen. So sollten zum Beispiel in der Gesundheitspolitik für fundamentale Frauenrechte wie das Abtreibungsrecht oder das Verbot von Genitalverstümmelung gekämpft werden.
Da „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ für mich als Einstieg in die Theorie dienen sollte, hätte ich mir insgesamt etwas mehr Kompaktheit gewünscht und dafür weniger Wiederholungen der wesentlichen Thesen und Argumente. Doch präsentiert Kristina Lunz mit ihrem Sachbuch eine allumfassende wissenschaftliche Analyse und gibt damit einen differenzierten Überblick in die Theorie und Praxis der feministischen Außenpolitik. Die Autorin bringt einen dazu, den bestehenden Status Quo der internationalen Beziehungen zu hinterfragen und Sicherheits- und Außenpolitik neu zu denken.
Weitere passende Buchtipps auf unserem Blog:
Margarete Stokowski „Das Ende des Patriarchats“ und „Untenrum frei“
Svenja Flaßpöhler „Die potente Frau“
Meg Wolitzer: „Das weibliche Prinzip“ und weitere im Themenbeitrag Frauenpower
Nicole Seifert: „Frauenliteratur“
Anonyma: „Der Sex meines Lebens“ und weitere im
Frauengeblätter – Lesemonat November 2021, u.a. mit Büchern von Nicole Seifert
Jovana Resininger: „Spitzenreiterinnen“
Meg Mason „Was wir wollen“ (Roman) und weitere im Themenbeitrag: Erwartungen an Frauen ab 30 Jahren
Lydia Leipert & Rebecca Zöller: „Geteilte Arbeit, doppelt durchstarten“
Susan J. Moldenhauer: „Kenne deinen Wert! – Der Gehaltsratgeber für Frauen“ und weitere im Themenbeitrag Gehalt & Karriere
„Mehr Feminismus!“ von Chimamanda Ngozi Adichie
„Alte weiße Männer – Ein Schlichtungsversuch“ von Sophie Passmann
Cho Nam-Joo: „Kim Jiyoung, geboren in 1982″ (Roman)
Bolu Babalola: „In all deinen Farben“
Brit Bennett: „Die Mütter“ (Roman)
Welche wir noch lesen wollen:
Rebekka Endler: „Das Patriarchat der Dinge“ & Caroline Criado Perez „Unsichtbare Frauen“ – Eine schöne Gegenüberstellung der beiden Bücher findet ihr bei Readback.de