Zurück in die 70er: Eine Rezension zu „Schön ist die Nacht“ von Christian Baron

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Bücher über den Zweiten Weltkrieg und die Wendezeit habe ich schon viele gelesen. Die Zeit ab 1945 bis hin zur Wiedervereinigung 1990 fehlte mir jedoch bisher. Umso neugieriger hat mich daher der Ullstein Verlag gemacht, als er uns ein Rezensionsexemplar vorgeschlagen hat, wo es genau darum geht. Der SPIEGEL Bestseller-Autor Christian Baron hat in seinem neuen Roman zwei Freunde porträtiert, die vieles verbindet, aber auch vieles trennt und gleichzeitig werden beide von einem unerschütterlichen Glauben an ein besseres Leben angetrieben.

„Schön ist die Nacht“ von Christian Baron, erschienen im Ullstein Verlag 07/22

Christian Baron „Schön ist die Nacht“

Inhalt

Es ist kurz vor Kriegsende, 1944, als Willy, fast 12 Jahre alt, und Horst sich auf den Straßen Kaiserslautern kennenlernen. Seine Kindheit hat Willy bisher zum großen Teil im Heim verbracht, da seine Mutter im Widerstand gegen die Nazis kämpft. Horst ist etwas älter als Willy, er schlägt sich so durch, über seine Familie erfährt man nichts.
Dann ist es 1973, als wir den beiden wieder begegnen. Zu der Zeit sehnt sich Willy vor allem nach einem normalen Leben. Er will seine Arbeit als Zimmerer gut machen, er will für seine Familie sorgen, er träumt vom eigenen Häuschen. Jedoch stößt er mit seiner ehrlichen Art immer wieder an Grenzen, was nichts an seinem Entschluss ändert, anständig zu bleiben. Horst, ein ungelernter Hilfsarbeiter, glaubt schon lange nicht mehr daran, auf ehrliche Weise nach oben zu kommen. Er greift zu halbseidenen Mitteln und seine Existenz entgleitet ihm in dem Maße, in dem er seine Aggressionen nicht im Griff hat. In die Spirale des Abstiegs zieht er seinen Freund Willy hinein – mit katastrophalen Folgen für beide. Denn Willy versucht seinen Freund immer wieder den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, vermittelt ihm einen Job und hilft ihm mit Geld aus, obwohl es selber knapp bei Kasse ist.

Rezension

Drei Teile, „Wunderland – 1973“, „Meisterhand – 1976“ und „Heldenzeit – 1979“ teilen das Buch ein und von Kapitel zu Kapitel verfolgt der Leser immer mehr, wie toxisch sich die Freundschaft zwischen Willy und Horst entwickelt. Beide geraten in einen Strudel aus Alkohol und Gewalt, befeuert von Existenzängsten und Geldsorgen, die in den 70er-Jahren der BRD das Leben der beiden bestimmen. Von dem Wirtschaftswunder ist in der einfachen Arbeiterklasse, die Horst und Willy zu repräsentieren scheinen, wenig zu spüren. Stattdessen bestimmt bei Horst die Suche nach einem Schuldigen für seine eigene missliche Lage, den er schnell in den Gastarbeitenden findet, die ihm angeblich die Jobs wegnehmen. Mit Diebstählen und Gelegenheitsjobs hält er sich und seine Familie über Wasser und zieht Willy immer wieder mit hinein. Der kann sich, möglicherweise weil Alkohol und Eheprobleme sowie Jobsorgen auch Willy nicht loslassen, der einnehmenden Persönlichkeit von Horst nicht entziehen. Manchmal möchte ich Willy gerne schütteln ob der Dummheiten, die er vollbringt und ihm zurufen, dass er sich doch endlich von Horst distanzieren soll. Ihm kein Geld leihen soll, denn er bekommt es eh nicht zurück. Über die Jahre hinweg kommen die beiden mehr schlecht als recht über die Runden. Ihre Ehen scheitern, die Kinder gehen ihren eigenen Weg und wollen nichts mehr von den Eltern wissen. Sie sind Stammgäste in der Kneipe nebenan, die sie nach einem anstrengenden Tag auf der Baustelle regelmäßig besuchen.

Ob Willy und Horst ein „erfülltes Leben“ gelebt haben? Diese Frage kann sich wohl nur ein Millennial stellen, wie ich es eine bin. Die Generation von Willy und Horst war mit anderen Dingen beschäftigt, als Selbstliebe und -Verwirklichung, da ging es um Wiederaufbau, Ölpreiskrisen, Arbeitslosigkeit und rebellierende Kinder. Christian Baron lässt die „einfachen Leute“, die nach mehr Streben, aber in ihrem System an ihre Grenzen stoßen, selber sprechen. Dadurch erhalten insbesondere jüngere Leser:innen wie ich einen Einblick in ein Leben, das mir fremd, weil längst vergangen erscheinen mag. Es ist, als würde man ein Geschichtsbuch aufblättern, aber statt dröger Zahlen auswendig lernen zu müssen, einen realistisch erscheinenden Blick in die Fenster der Familien erhalten.

Fazit

„Dieses Buch ist ein Roman. Obwohl ich darin die Lebensgeschichten meiner Großväter und weiterer Familienmitglieder verarbeitet habe (…).“ Schon mit diesem Satz, bevor der erste Satz im Roman überhaupt gesetzt ist, wird klar, dass es sich hierbei nicht nur um reine Fiktion handeln kann. Nach kurzer Recherche stelle ich fest, dass Christian Baron die Lebensgeschichte seiner Großeltern hat einfließen lassen. Umso eindringlicher entsteht für mich das Bild eines Deutschlands, der BRD, die mir unbekannt war. Der Roman entspringt einer deutschen Gegenwartsliteratur, die mir so bisher wenig begegnet ist. Vielleicht weil das Thema unbequem und tragisch ist. Vielleicht weil zweiter Weltkrieg und Wendezeit sich besser verkaufen lassen. Vielleicht weil das Bild der westdeutschen Nachkriegszeit von sozialem Aufstieg und Reichtum statt Armut und Verwahrlosung geprägt sein soll. Doch ob ost- oder westdeutsche Vergangenheit: Literatur ist dafür da, auch die unbequemen Wahrheiten zu zeigen und die nachfolgenden Generationen auf etwas hinzuweisen, was ihnen bisher nicht erzählt wurde.

Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

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