Eine Rezension zu „Sonne und Beton“ von Felix Lobrecht, März 2017
(„Ullstein fünf“ – Ullstein-Buchverlage)
Ich bin nur zugezogen und wohne auch erst seit knapp 1 1/2 Jahren in Berlin. Obwohl ich in Neukölln arbeite und man die Ärmlichkeit und den hohen Ausländeranteil bemerkt, kann ich nicht behaupten, die Realität vor Ort zu kennen. Umso mehr interessierte es mich, mal einen näheren Einblick zur aktuelleren Lage des Brennpunktes zu bekommen und so auch ein Stück mehr zu erfahren, in was für einem Viertel ich eigentlich arbeite. In was für einer Stadt lebe ich eigentlich wirklich?
Inhalt
Lukas lebt in Neukölln Gropiusstadt, genauso wie seine Kumpels Gino, Julius und Sanchez. Sie sind 16 und gehen auf die Hauptschule. In Lukas‘ Klasse kommen fast alle aus einem sozial schwachen Umfeld. Der Unterricht scheint genauso gut zu funktionieren, wie man es aus dem Film „Fack ju Göthe“ kennt – so gut, dass Lehrer schreiend aus der Klasse rennen. Anstatt Schule, schwänzen Lukas und seine Freunde lieber und rauchen entspannt gemeinsam einen Joint. Doch ist das Leben in Gropiusstadt alles andere als Freizeit – nur ein falsches Wort oder ein missverstandener Blick kann zur Schlägerei führen. In genau solche eine geraten die Jungs, als sie Gras kaufen wollen. Im Viertel besteht ein hoher Ausländeranteil, was dazu führt, dass man als Deutscher auffällt und nicht immer willkommen scheint. Deshalb weiß auch Lukas, dass zum Überleben manchmal auch Wegrennen gehört –
Doch als die Jungs überlegen, wie sie schnell viel Geld verdienen könnten und auf eine Idee kommen, die sie ins Gefängnis bringen könnte, bleibt es fraglich, ob Lukas‘ Bruder Marco wieder helfen wird. Die Frage ist auch, ob Lukas diesmal doch mehr als ein blaues Auge riskieren muss….
Kritik
Der Titel schreit förmlich nach Sommer, Sonne und Großstadtgefühl – aber weniger auf einer romantischen Art, als vielmehr das, was es in Wirklichkeit bedeutet: Viele Hochhäuser, Kopftsteinpflaster und wenig Romantik. Es ist ein Sommer in Neukölln Gropiusstadt, in dem Armut, Kriminalität und Gewalt zur Tagesordnung gehören.
Sonne und Beton scheint einen gewissen Stereotyp aufzugreifen: Neukölln Gropiusstadt = Drogen, Kriminalität und Armut sowie ein hoher Ausländeranteil. Doch wie Felix Lobrecht selbst dazu sagt: „Ich wünschte, ich hätte mir mehr ausdenken müssen“. Man möchte es kaum glauben, dass tatsächlich einige Klischees Realität sind. Man bekommt einen sehr guten Einblick darin, was es bedeutet, in einem sozial prekären Umfeld aufzuwachsen, in der kaum einer privilegiert ist. Es bestehen wenig Chancen auf eine gute Bildung und Karriere.
Der Slang der Jungs ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, sodass man sich erst einmal einlesen muss: „Lak, halt mal dein Schnauze, du Opfer!, sagt der Araber, ohne den Blick von mir zu lassen. […] Du Hurensohn, ja. Was bist du so respektlos?“. Mit der Zeit verwickeln sich die Jungs immer mehr in ihre eigenen Stricke der Kriminalität und Illegalität, um zu überleben. Mit der Zeit konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Eigentlich entspricht die Clique genau solcher Art von Typen, die einen bei einer entspannten Fahrt in der U-Bahn mit nervtötender Musik und dreistem Verhalten stören. Obwohl man sich bewusst ist, dass die eine oder andere Handlung illegal und kriminell ist, hofft man gleichzeitig, dass Lukas und seine Freunde nicht erwischt werden – Man beginnt nämlich, mit den Jungs zu sympathisieren und fiebert mit. Das Buch zieht einen letztendlich in seinen Bann.
Fazit
Berlin ist heterogen und umfasst einen Querschnitt aller sozialen Bevölkerungsschichten. Wer jedoch in Berlin wohnt oder häufiger vor Ort ist, der sieht schnell, dass Armut, Elend und Obdachlosigkeit zum Berliner Alltag gehören. Wer mal einen genaueren Einblick in einen gesellschaftlichen Brennpunkt mit seinen sozialen Spannungen haben will, der sollte entweder in die U7 Richtung Neukölln Gropiusstadt steigen oder sollte zumindest „Sonne und Beton“ unbedingt lesen! Denn seien wir mal ehrlich: Wir können die Augen nicht davor verschließen: Neukölln steht hier nur vertretend für so einige Brennpunkte Deutschlands…
Nice to know
Deutschlandfunk Kultur – Interview mit Felix Lobrecht (2017)
Tagesspiegel: Eine Begegnung mit Christiane F. – 35 Jahre danach (2013) ( Über Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Die Protagonistin kam auch aus Gropiusstadt)
BZ Berlin – Harte Fakten aus Neukölln (2009)
Weitere Literatur über Neukölln
Ramon Schack: Neukölln ist Nirgendwo. Nachrichten aus Buschkowskys Bezirk ( Verlag 3.0, 2013)
Heinz Buschkowsky: Neukölln ist überall (Ullstein Buchverlage, 2012)
Murat Topat: Neukölln. Endlich die Wahrheit (be.bra Verlag, 2011)
Uli Hannemann: Neulich in Neukölln (Ullstein Buchverlage, 2008)
Vielleicht passt dazu ein anderer Berlin-Roman: „Sommer auf dem Balkon“. Der spielt eher im Nordosten der Stadt und wurde sogar verfilmt.
Das muss ich mir tatsächlich mal merken! Ich habe zwar schon von gehört, aber direkt auf dem Schirm hatte ich es noch nicht – Danke schön! 🙂
Leider ist es wirklich so, dass diese Klischees der Wahrheit entsprechen. Man hat nur zu wenig direkte Berührungspunkte damit. Das Buch kann sicher bei einem besseren Verständnis helfen. Wir verschließen leider zu oft die Augen.
Liebe Grüße
Das stimmt. Man glaubt manchmal, dass man die Welt kennen würde, weil man sich regelmäßig über Nachrichten informiert. Doch die tatsächlichem Umstände und Beweggründe der Betroffenen kennt man selten. Das Buch ist meiner Meinung auch empfehlenswert, um Vorurteile abzubauen. Nicht alle Kriminellen sind immer einfach nur gestört und böse (ohne sie in Schutz zunehmen und eine Rechtfertigung für ihre Taten suchen zu wollen), aber die Hintergründe zu kennen, ist oft hilfreich, um unsere Welt und unsere Mitmenschen besser zu verstehen.
Hey!
Auch eine tolle Rezension.
Das Buch befindet sich schon auf meiner WuLi und ich bin sehr gespannt drauf.
Liebe Grüße,
Nicci
Dann bin ich auch sehr auf deine Meinung gespannt! Lass sie mich gern wissen!