Ein Gefühl des Fliegens – Eine Rezension zu „Feenstaub“ von Cornelia Travnicek

Nachdem wir euch im April den unabhängigen Verlag Kein & Aber aus der Schweiz vorgestellt haben, bewegen wir uns mit der heutigen Buchvorstellung nach Österreich. Dort erschien letztes Jahr in dem unabhängigen Picus Verlag ein Buch, welches einem Märchen gleicht und an die Peter Pan Geschichte erinnert. Entdeckt habe ich es während des Indiebookday, quasi ein Feiertag für unabhängige Buchverlage, um diesen mehr Aufmerksamkeit zu ermöglichen. Und da es wie gemacht für unser Jahresthema auf dem Blog, wo wir jeden Monat ein Buch aus einem unabhängigen Buchverlag vorstellen wollen ist, musste ich es direkt kaufen.

„Feenstaub“ von Cornelia Travnicek im Picus Verlag, Wien, erschienen im März 2020

Buchcover von „Feenstaub“ von Cornelia Travnicek


Inhalt


Die jungen Petru, Cheta und Magare leben in einer Gemeinschaft auf einer kleinen Insel zwischen den Ufern einer gesichtslosen Stadt, dem Niemandsland. Wie alt die Jungen sind, erfährt der Leser nicht, jedoch geht aus der Erzählung hervor, dass diese zum ewigen Kindsein „verdonnert“ sind. Täglich ziehen sie als Taschendiebe in die Stadt und stehlen von denen, die es am ehesten verschmerzen können. Der „Chef“ der Band, ein Erwachsener mit dem Namen Krakadzil kontrolliert dabei die Einkünfte in der Schatztruhe und wird schnell ungehalten, wenn die Einnahmen zu gering sind. In vier Stapel teilt er das Geld auf, welches die Jungen gestohlen haben: Drei Stapel für Petru, Cheta und Magare sowie ein Geldstapel für den Kakadzil, den höchsten der vier Stapel versteht sich. Auf der Insel der verlorenen Jungs sind die drei gelandet, da sie entweder keine Familie mehr haben oder sie von ihren Familien fortgeschickt wurden, um Geld zu verdienen. Der vermeintliche Anführer der Bande, Petru zum Beispiel hat nur noch seine todkranke Oma, die durch die Einnahmen der Bande versorgt wird – so verspricht es der Kakadzil. Um die ständige Angst vor dem Kakadzil, die Sorgen um die Familie und die Einsamkeit und das Gefühl des Verlorenseins zu ertragen und auszuhalten, versorgen sich die drei mit Feenstaub – vermutlich eine Droge, die ein Gefühl des Fliegens verleiht. Bei einem seiner Raubzüge trifft Petru eines Tages auf Marja und beginnt sich mit ihr anzufreunden. Dabei ist es ein Bruch mit dem Kodex und streng verboten von dem Kakadzil, sich mit Bewohner:innen der Stadt anzufreunden. Für Petru hingegen bedeutet es eine Zeitwende. Er beginnt die Sprache der Bewohner:innen zu lernen und erfährt zum ersten Mal in seinem Leben, wie es ist, so etwas wie ein Familienleben zu haben. Als der Kakadzil eines Tages einen neuen Jungen auf die Insel bringt und Petru ihn in die Tricks eines Taschendiebes ausbilden soll, beginnt sich das Schicksal von Petru und seinen Freunden auf der Insel zu drehen.

Kritik


„Es heißt, alle Kinder würden eines Tages das Niemandsland verlassen. Dann, wenn sie erwachsen sind. Aber ein Kind nicht. Ich. Ich weigere mich, erwachsen zu werden.“ Es sind Sätze wie diese, die den Leser unweigerlich an Märchen wie Peter Pan erinnern lassen. Zusätzlich wird eine düstere Stimmung erzeugt, der Nebel wabert die Inselufer hinauf, wo Nixen liegen und mit Petru sprechen. Im Fluss schwimmen Wale und „wenn man etwas Schönes denkt, an eine gute Erinnerung, während man den Feenstaub einatmet, könnte man fliegen“. Von ihrem Leid davonzufliegen erscheint auch die einzige Option der drei Jungen, die zwischen Realität und Traum schweben und in ihrem Sein verloren scheinen. In sehr kurzweiligen Szenen beschreibt Cornelia Travnicek das Leben der drei Freunde, die ihr Dasein als Taschendiebe fristen, ohne Kindheit, zum Kind sein verpflichtet und ausgebeutet von herzlosen Erwachsenen. Der Kampf um ihre Zukunft und eine Perspektive wird zum Schluss ein Kampf auf Leben und Tod und zeigt, dass das Buch mehr als ein Abenteuer-, sondern viel mehr ein sozialkritischer Roman ist. Auf dem ersten Blick vermag er vielleicht aufgrund der Peter-Pan-Assoziation an einen Jugendroman erinnern, doch wird mir recht zügig klar, dass ich hier aus dem Leben eines Straßen- und Flüchtlingskind erfahre, welches von kleinkriminellen Taten geprägt ist. Dafür muss der Leser jedoch zunächst einen Blick hinter die poetische und zarte Sprache der Autorin werfen.

kurze Kapitel führen den Leser durch die Geschichte

Fazit

Ich hatte in der Tat eine Peter-Pan-Story erwartet, vielleicht so eine Art Fantasyroman wie Pans Labyrinth, als ich das erste Mal von dem Roman gehört habe. Als ich ihn dann zur Hand nahm, war ich fast enttäuscht von den manchmal wirklich sehr kurzen Kapiteln und Szenen bis zu einem Punkt, wo es mich dann doch nicht mehr losgelassen hat. Besonders die kurzweiligen Szenen und die poetische und zarte Sprache zeichnen am Ende die Kraft der Geschichte, die brutal erscheint. In der Realität meiner Welt wird es sicherlich irgendwo einen Petru, Cheta und Magare geben, die unsichtbar für alle anderen und ohne aufsehen zu erregen durch die Straßen flitzen. Ganz ohne Peter Pan Romantik.

Logo des Verlags, entnommen von der Website

Infos zum Picus Verlag

Der Picus Verlag wurde 1984 von Dorothea Löcker und Alexander Potyka in Wien gegründet. Mit drei Mitarbeiter:innen produzieren sie rund vierzig Titel jährlich welche in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertrieben werden. Das Verlagsprogramm kommt ohne Schwerpunkt oder Nische aus und so wechseln Architekturtitel und Kinderbücher, Belletristik und Reisereportagen ab. Laut dem Verlag: „Gemeinsam sind dem weit gefächerten Programm ein aufklärerischer Impetus, Weltoffenheit, die Idee des Grenzüberschreitenden und intellektuelles Engagement, aber auch Sinn für Ästhetik und Lebenslust.“ Und so erscheint mir „Feenstaub“ von Cornelia Travnicek ein gutes Beispiel für das Programm. Der Roman war im Übrigen für den Österreichischen Buchpreis nominiert.

Website zum unabhängigen Verlag: https://www.picus.at/

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