Auf der Couch mit den „Drei Kameradinnen“ und Shida Bazyar – Teil 2

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Aline und ich sitzen gemütlich auf der Couch und plaudern über unsere Leseerfahrung zu „Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar, also über unsere Gedanken, Emotionen und Urteile dazu. Wir versuchen beide den Roman einzuordnen, können es aber nicht gleich. Vor allem ich, da ich zu dem Zeitpunkt die letzten Seiten noch nicht gelesen habe, in denen noch einiges passiert. Wir machen uns Gedanken über unsere Gedanken. Aline hat ihre Leseerfahrung bereits aufgeschrieben, also ihre Gedanken im letzten Beitrag zu dem Buch schon geordnet. Dort könnt ihr auch noch einmal eine genauere Inhaltsbeschreibung finden sowie ein Portrait der Autorin, wenn ihr dazu mehr erfahren möchtet.

Nun habe ich es beendet und auch meine Gedanken wollen nun sortiert und geäußert werden:

„Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar, erschienen im April 2021 bei Kiepenheuer & Witsch, Link zu Buchseite.

„Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar, Rezension Teil 2

Drei Kameradinnen – Luises Meinung

Meine Meinung zu diesem Roman ist ein Prozess, der sich während des Lesens entwickelt und ändert, vielleicht sogar noch während des Aufschreibens dieser Rezension. Von Beginn an bin ich von Shida Bazyars Schreibstil angetan, vor allem von dem Stilmittel des Durchbrechens der vierten Wand. Die Leser:innen werden immer wieder direkt angesprochen, jedoch nicht von der Autorin, sondern von einer der Protagonist:innen, Kashi. Sie schreibt ihre Erlebnisse der letzten Tage auf, die sie mit ihren alten besten Freundinnen Saya und Hani verbringt. Es ist eine gute Zeit, eine Zeit, in der sie in Erinnerungen schwelgen, bis etwas Schlimmes passieren wird. Wir erfahren gleich zu Beginn des Buches, dass ein großer Brand ausgelöst wird. Saya, die eine Freundin wird verdächtigt, das entnehmen wir einem Zeitungsartikel. Kashi beginnt danach ihre Perspektive aufzuschreiben.

Saya ist es auch diejenige, die immer wieder eine Wut im Bauch trägt, die Wut darüber, dass es viele Geschichten gibt, denen man erst im zweiten Schritt ansieht, dass sie alltagsrassistisch waren. Sie möchte rebellieren, aber immer auch konstruktiv dabei sein. Sie diskutiert, überzeugt mit Argumenten, die aber letztendlich von „den anderen“, den „weißen Nicht-Migrant:innen“ in Deutschland nicht verstanden werden. Das entgegnet die Schreiberin auch den Leser:innen, sie wirft es ihnen vor – also auch mir. Ähnlich wie Aline möchte ich diese Perspektive nicht immer annehmen. Ich bin mir daher nicht immer sicher, was ich über dieses Buch denken soll. Gleichzeitig ertappe ich mich dabei, wie ich sehr wohl am liebsten wissen würde, wo die drei herkommen. Es wird bewusst nicht verraten, außer dass sie nicht aus Deutschland sind und alle ihre eigenen Flucht- und Migrationserfahrungen haben. Es tut ja auch wirklich nicht zur Sache. Trotzdem bin ich neugierig und will vor allem wissen, wie es ausgeht. Denn die Autorin hält einen lange hin.

Luises Rezenion zu Bazyars „Drei Kameradinnen“

Was der Autorin gelingt, ist eine authentische Zeichnung der Charaktere, sodass man sich mal mehr mal weniger mit allen drei Freundinnen identifizieren und sie verstehen kann in ihren Handlungen und Gedanken. Manchmal ist mir Saya jedoch zu wütend, Kashi manchmal zu sehr bemüht das Richtige zu tun, am liebsten möchte sie schlichten zwischen Saya und Hani, die wiederum versucht, den Alltagsrassismus, der ihr widerfährt, zu leugnen. Ich ertappe mich also auch dabei, wie ich urteile, ohne gar nicht das Recht dazu zu haben. Immerhin bin ich weiß, privilegiert und deutsch. Aber insgesamt glaube ich während des Leseprozesses überlegen zu sein: „Ja, vielleicht werde ich gerade beschimpft von der Erzählerin, ich bin damit aber nicht gemeint, ich denke ja gar nicht so!“ „Sie verurteilt doch genauso!“ Und dennoch werde ich zum Schluss entwaffnet. Mein Schutzwall, mich nicht angesprochen fühlen zu müssen, kippt. Und genau das finde ich letztendlich genial. Shida Bazyar gelingt es, meines Erachtens, nicht nur zu schockieren, indem das Ende eine Wendung annimmt, die erst weniger explosiv wirkte, als ich dachte und letztendlich dennoch voller Wucht einschlägt. Sondern es gelingt ihr auch, dass ich mich vorgeführt fühle, und das meine ich – wenn es auch seltsam klingen mag – als positive Empfindung. Zwischenzeitlich schweiften bei mir wie bei Aline die Gedanken ab, ich hatte das Gefühl, der Roman hat seine Längen. Vielleicht wollte ich aber nur nicht wahrhaben, was gerade passiert. Denn es beginnt in mir zu rumoren, die Gedanken rattern, ich lerne.

Shida Bazyars erschiene Bücher: „Nachts ist es leise in Teheran“ und „Drei Kameradinnen“

Ein Vergleich zu „Nachts ist leise in Teheran“

Shidas Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ hatte mich damals umgehend überzeugt und war einer meiner liebsten Romane des Jahres 2017. Worte aus der Beurteilung, die ihr unter dem obigen Link bei Interesse in vollständiger Länge lesen könnt: „Wie erlebte die damalige junge Generation die Revolution im Iran 1979 und was bewegte sie zur Flucht? Wie beeinflusste es das Leben der nachfolgenden Generationen? „Nachts ist es leise in Teheran“ ist im Stil eines Essays geschrieben, wobei die Kapitel so aufgebaut sind, dass in einem Abstand von zehn Jahren, jeweils ein Familienmitglied seine Perspektive und Eindrücke zum Leben im Iran und Deutschland schildert. So entsteht eine facettenreiche Darstellung der politischen Entwicklung Irans in den letzten Jahrzehnten.“ Was die Romane der Autorin also vereint, ist, dass es um Identitätssuche und Herkunft geht. Inhaltlich scheint es das dann aber auch schon gewesen zu sein. Was die beiden Bücher jeweils jedoch so auszeichnet und worin sie sich sehr ähneln, ist der für mich beeindruckende Schreibstil der Autorin. In „Nachts ist es leise in Teheran“ wendet Shida Bazyar den Essaystil an und pro Kapitel wird eine andere Perspektive eingenommen. In „Drei Kameradinnen“ durchbricht sie die vierte Wand, ist allwissender, aber auch aggressiver. So als würde sie im ersten Roman noch darüber nachgedacht haben, was Herkunft und Identität für sie bedeuten könnte. Nun weiß sie es und kann nicht mehr leugnen, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch Ausgrenzung und Rassismus widerfahren. Shida ist mutiger geworden und dennoch finde ich beide Romane anspruchsvoll, gelungen, und so verschieden, dass sie sich letztendlich kaum mit einander vergleichen lassen. Das zu schaffen, zwei Bücher unterschiedlichster Art, aber auf ähnliche Weise effektvoll, zu erschaffen, finde ich beeindruckend!

Fazit

Aline ist nach dem Lesen der Lektüre noch etwas irritiert gewesen. Insbesondere das Ende hat sie verwirrt, sodass bei ihr ein Gefühl der Verlorenheit entstanden ist. Und so ist sie sich abschließend auch nicht sicher, ob ihr das Buch nun außerordentlich gut gefällt oder eher nicht. Bei mir hat sich meine Meinung im Laufe des Lesens immer mehr zum Positiven gewendet und vor allem das überraschend Ende hat mich letztendlich wieder von dem Können der Autorin überzeugt. Der Roman zählt zu meinen bisher besten Büchern 2021. Und letztendlich zeigt es zum Glück wieder, dass Bücher bei jedem Leser oder Leserin unterschiedlichste Emotionen auslösen können. Insofern würden wir euch empfehlen, euch unbedingt selbst einen Eindruck von „Die drei Kameradinnen“ zu bilden.

Vielen Dank an den Verlag, die uns ein Exemplar zu Rezensionszwecken zur Verfügung gestellt haben. Dies hat meine Beurteilung zu dem Buch nicht beeinflusst.

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