Lachen als Heimat – Firas Alshaters „Ich komm auf Deutschland zu“

Rezension und Lesung zu „Ich komm auf Deutschland zu“ von Firas Alshater, erschienen im Oktober 2016 bei Ullstein Buchverlage


„Alle Menschen lachen in derselben Sprache“

Lachen versteht jeder und reißt jeden mit. Vielleicht sollten wir häufiger ‚Lachen‘ als Kommunikationsmittel nutzen, so wie Firas Alshater.

Bekannt wurde er mit seinem You-Tube Video “ Wer sind diese Deutschen? “ Seine You-Tube Reihe nennt er „Zukar“ (arabisch für Zucker). Auf den Namen kam er, da dieses Wort in allen Sprachen ähnlich klingt und so ziemlich jeder Zucker mag, weil er süß ist.
Lachen ist für mich auch süß und es ist Heimat. Sobald jemand lacht, fühlt man sich wohl.

Als der Postbote am 14. Oktober klingelt, freue ich mich schon. Es ist der Tag, an dem das Buch „Ich komm auf Deutschland zu – Ein Syrer über seine neue Heimat“ von Firas Alshater erscheinen soll. Gespannt öffne ich das Paket und werde nicht enttäuscht. Ungefähr ein Wochenende verbringe ich mit Lachen, aber auch mit traurigen und Gänsehautmomenten. Ich verschlinge die Lektüre innerhalb kürzester Zeit. Es ist ein Wochenende mit vielen Terminen, wohl gemerkt. Ich bin in einer anderen Welt, in der Welt von Firas:

 

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Firas Alhsaters „Ich komm auf Deutschland zu“

 

Firas‘ Geschichte

 

Das Buch ist emotional. Firas gelingt es dabei, ein sehr gutes Maß an Berichten über Leid, Krieg und Willkür mit Humor abzumildern. Er vergleicht Erlebnisse, Erfahrungen, Kultur und Realität aus Syrien mit der aus Deutschland. Mit seiner optimistischen Art bildet er die Realität ab. Er verklärt nicht. Das Buch zeigt, dass Firas ernst sein kann und vor allem viel Ernstes erlebt hat. Dennoch ist beeindruckend an Firas, dass er in der Sprache schreiben möchte, die jeder versteht. Er schreibt nicht nur auf Deutsch, sondern erzählt auch mit Humor: “ […] eigentlich wollte ich ein Buch über Bartpflege schreiben. Aber dann habe ich mir gesagt, dass nicht jeder einen Bart hat – oder überhaupt Bärte mag. Wir Menschen sind doch alle ganz verschieden. Das ist ja auch viel lustiger.“

Gleichzeitig zeigt Firas vor allem SEINE Geschichte. Mit dem Buch lernte ich nicht „den Syrer“ oder „den Flüchtling in Deutschland“ kennen, sondern Firas. Ich hatte den Eindruck, bei vielen Situationen seines Lebens hautnah dabei zu sein. Ich habe mit ihm bei den Demonstrationen mitgekämpft, im Gefängnis der verschiedenen Geheimdienste und bei den Folterungen mitgelitten. Die süße Luft von Freiheit hat ihn bewogen weiterzukämpfen in Syrien, auch nach Gefängnis Aufenthalten und  Folter.  Ich habe mit ihm gefühlt, als er mit der Kamera in Syrien filmte mit der stetigen Angst, wieder gefangen genommen zu werden. Ich war wütend über die Willkür der Diktatur und habe mich mit ihm über die prekären Umstände in den Flüchtlingsheimen in Deutschland geärgert: „In die syrische Revolution bin ich hineingetanzt. Nach Deutschland bin ich geflogen. Aber in das Asylbewerberheim, da schleppe ich mich hinein.“ 

Es ist irrsinnig, dass er trotz Unterkunft nach dem Asylantrag ins Flüchtlingsheim umziehen musste. Es scheint genauso irrsinnig, dass er weder arbeiten noch Deutsch lernen durfte, aber pro Tag einen Liter Milch erhielt, den er nicht aufbewahren durfte.

Es hängt vermutlich mit unseren Vorurteilen  zusammen und diese sind oft irrational, unabhängig davon an welche soziale Gruppe sie sich richten. Wie unsinnig viele Vorurteile sind, beschreibt er in seinem Buch. Er wird mit Vorurteilen unter anderem gegenüber Geflüchteten oder Arabern konfrontiert, aber auch von anderen Syrern, weil sie andere religiöse Werte vertreten oder Anhänger des syrischen Regimes unter Assad sind.  Sehr anschaulich zeigt Firas auch in dem Video, wie konfus Vorurteile und Ängste sein können: „Ich habe nichts gegen Katzen, aber…“.

Vor allem habe ich natürlich viel mit ihm gelacht, wenn er sich unter anderem über das kalte deutsche Wetter aufregt, er lernt, dass man den Euro im Einkaufswagen wiederbekommt, sobald man ihn in die Wagenreihe schiebt oder wenn er Deutsch lernt: „Und Altphilologe Richard Parson stellte vor mehr als zweihundert Jahren fest: ‚Life is too hard to learn German‘ […] Natürlich weiß ich, welch großes Glück ich habe. Denn bei der Frage Folter in Syrien oder Deutsch lernen fällt die Antwort nicht schwer – zumal das Unglück, das ich bereits verbuchen kann, locker für ein ganzes Leben reicht. Aber wird der Rest meines Lebens auch zum Deutschlernen reichen? Richard Parson und ich sind da eher skeptisch.“

Hassen, das kann ja jeder

Firas wird oft die Frage gestellt, warum er in Deutschland sei und nicht sein Land verteidige. Diese Frage finde ich persönlich unqualifiziert, da es für mich nicht feige ist zu fliehen. Dazu gehört im Gegenteil sehr viel Mut. Ein Filmprojekt ermöglichte ihm einen Aufenthalt in Deutschland. Er beendete das Projekt eines syrischen Kollegen, der leider bei Aufnahmen im Krisengebiet in Aleppo starb.
Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass wir Deutschen genauso nichts dafür können, in Deutschland geboren zu sein. Die „Flüchtlings“-Debatte spaltet digital Deutschland. Ich stimme zu bei dem, was Firas anbringt: Es duellieren sich nur die vermeintlichen Gutmenschen mit den Flüchtlingspolitikgegnern. Wir reden nur untereinander anstatt eher mit „den Geflüchteten“ in Kontakt zu treten. Clausnitzer&Flüchtlinge
Dann verstehen wir uns auch und finden Gemeinsamkeiten neben all den kulturellen Unterschieden und  Barrieren und sei es auch nur der kleinste gemeinsame Nenner: Der Humor. Lachen können die Syrer nämlich auch. „Man kann alles hassen, wenn man nur will, muss man aber nicht.“ Firas zeigt, dass man selbst über Hass lachen kann. . Firas hat das seinen Humor nicht verloren, sondern meint selbst, dass er gerade wegen all des Leids und seiner Erlebnisse in Syrien gerne lacht. Er scheint also nicht mal den Hass wirklich hassen zu können und versucht ihn wegzulachen.

 

Bei der Lesung zu seinem Buch lag zumindest sehr viel Humor in der Luft. Firas hat ein kräftiges, mitreißendes Lachen. Und trotz meiner deutschen Distanz habe ich ein Selfie mit ihm machen dürfen. Danke Firas! Lachen macht Spaß, Zucker ist ein süßer Genuss. Es ist eine schöne Vorstellung, so Integration möglich zu machen, mit süßem Lachen.

Und was ist nun mit der Integration?


2015 sind rund 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Es ist einleuchtend, dass es in der Größenordnung eine Herausforderung war. Wir sind meiner Meinung nach aber nach nicht überrollt worden. Bei einer Einwohnerzahl von 80 Millionen Einwohnern sollten wir die Flüchtlinge „stemmen“ können. Integration kann dauern und erfordert gesellschafts- und bildungspolitische Veränderungen. Wir sollten in Deutschland Asylverfahren beschleunigen, konkrete Maßnahmen zur Integration entwickeln und offener für Einwanderung durch politische Bestimmungen werden.  Firas Alshater glaubt, dass Integration funktionieren kann – irgendwann. Das glaube ich auch.

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Ich habe Firas auch umarmt.

Fazit

Das Buch empfehle ich sowohl dem Skeptiker, der meint, aus diesem Buch nichts lernen zu können, als auch dem „Gutmenschen“. Ich empfehle es jedem, der genaueres über Syrien, die Flucht und über Firas erfahren möchte und bei Büchern gern weint und lacht. Ich bennene in aller Regel immer noch einen Kritikpunkt an den Büchern, die ich rezensiere. Bei diesem finde ich nur keinen so wirklich. Ich war bei manchen Standpunkten zwar nicht unbedingt Firas‘ Meinung, doch das finde ich in Ordnung. Immerhin leben wir in einem Land mit Meinungsfreiheit.

Home is where your smile is.
Lachen ist Heimat, Firas‘ alte und neue Heimat.
Sein Zukar-Projekt konnte er dank einer Crowdfunding-Kampagne fortführen, für die auch ich gern gespendet habe.

Würdet ihr Firas auch umarmen, falls er noch einmal am Alexanderplatz stünde? Wie könnte die Integration aussehen? Habt ihr Vorurteile? Schreibt sie gern auf oder lest das Buch. Vielleicht sind sie dann gar nicht mehr da…


Verwendete Quellen und Literaturtipps:


Firas Alshater: Ich komm auf Deutschland zu – Ein Syrer über seine neue Heimat, Berlin 2016.
Nina Pauer: Umarme mich!, in: Die Zeit, (43/2016), S. 46.
Firas Alshater auf Facebook
Startnext: Crowdfunding für „Zukar“
Luise blättert auf: Ein Experiment. Kann Integration funktionieren?
Tagesschau Nachtmagazin: Bericht über Firas Alshater
Markus Lanz: Firas Alshater als Talkgast (21. Min. – 41. Min.)
WDR: Humor statt Hass, Interview mit Firas Alshater
Welt-Online: Zahl der Geflüchtete 2015
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Infothek

2 Gedanken zu “Lachen als Heimat – Firas Alshaters „Ich komm auf Deutschland zu“”

  1. Jetzt hast du wirklich meinen Nerv getroffen, dieses Buch steht nämlich seit der Erscheinung auf meiner Liste, aber irgendwie, es hat der Ruck gefehlt, vielleicht hast du ihn mir jetzt gegeben – deine Rezension springt mich schon sehr an…..

    1. Oh ja, das musst du unbedingt lesen. Es zählt noch immer zu meinen Lesehighlights der letzten Monate. Es ist sehr lebendig geschrieben und bringt einem das aktuelle Thema „Flucht und Migration“ ein Stückchen näher und das aus einer ganz persönlichen Perspektive! Liebe Grüße Luise

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