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Sebastian Conrad ist Professor für moderne Geschichte an der Freien Universität Berlin und zu seinen Forschungsschwerpunkte zählen unter anderem die Geschichte von Kolonialismus und Postkolonialismus und die Geschichte des historischen Denkens. Im Februar 2024 veröffentlichte er sein Buch „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“, welches für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert ist. Unter all den nominierten blickt „Die Königin“ erhaben vom Cover auf den Leser und die Leserin herunter und die farbige Zeichnung der ägyptischen Künstlerin Aiah Abdulwahhab springt direkt ins Auge. Wir begleiten den Preis dieses Jahr offiziell als Sachbuchpreisbloggerinnen und stellen unser Patenbuch daher nun etwas genauer vor.
Vor 110 Jahren wurde die Büste der Nofretete durch den Ägypter Muhammad Ahmad al-Sanusi entdeckt, jedoch als Name längst vergessen, da er als Vorarbeiter bei der Grabung in Tell el-Amarna (alt-ägyptische Stadt Achet-Aton) arbeitete. Die Leitung hatte der deutsche Archäologe Ludwig Borchard inne, dem die Entdeckung damals zugeschrieben wurde. Die Grabung wurde durch den Berliner Unternehmer und Mäzen James Simon finanziert, in dessen Besitz die Büste zunächst kam. 1924 wurde die Büste dann erstmalig ausgestellt und sorgte direkt für Furore. Heute, 100 Jahre später, hat Nofretete eine globale Karriere hingelegt und dabei viele Zuschreibungen erhalten. Sie gilt mit ihrem Mann als Wegbereiter des Monotheismus, soll die erste Feministin gewesen sein, wird zum Symbol der modernen Black-Power-Bewegung, und von der Kosmetikindustrie als Schönheitssymbol verwertet. Aber auch die Aneignung der Nazis Nofretetes als Arierin sollte nicht unerwähnt bleiben.
Sebastian Conrad nimmt uns mit auf eine spannende und kurzweilige Reise in das alte Ägypten. In seinem, durch eine angenehme und klare Sprache, sehr lesbaren Sachbuch führt er uns zunächst in das Jahr 1912 zur Entdeckung der Büste der Nofretete. Davon ausgehend greift er zurück auf das alte Ägypten und das spärliche Wissen, das über das Leben der Königin und Ehefrau des Pharao Echnaton vorliegt. Conrad spannt einen Bogen in die Kolonialzeit, in das Berlin der 1920er Jahre. Er erzählt wie es zum Fund kam und die Hintergründe wie die Büste eigentlich nach Berlin kam und weshalb sie weiterhin dort bleibt. Dabei ist er zu keiner Zeit wertend, sondern lässt ausreichend Raum, vom geschriebenen ausgehend sich seine eigene Meinung bilden zu können. Die Kapitel sind kurz und auf den Punkt gebracht, wenig überfrachtet von theoretischen Fragen und dennoch nehmen Quellen und Nachweiskapitel fast 100 Seiten ein, sodass der Text insgesamt gut recherchiert wirkt.
Es mag überraschend sein, warum ein Buch über eine längst bekannte historische Figur, Nofretete, für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert wurde, doch der besondere Blickwinkel den Sebastian Conrad einnimmt, nämlich auf Restitution und Kolonialismus, machen es zu einem modernen und hochaktuellen Buch. Nicht zuletzt heißt es in der Jurybegründung „Sebastian Conrad nutzt die Büste der Nofretete, um die aktuellen globalen Diskurse zum Umgang mit kolonialem Unrecht darzustellen.“ So führt er als eine mögliche Lösung für den Streit um die Eigentumsfrage der Büste das „shared heritage“ auf, also geteiltes Eigentum und Zirkulation zwischen den verschiedenen Standorten. Das Unrecht und insbesondere der Raubbau an kulturellen Schätzen zur Kolonialzeit wird damit nicht wieder gut zu machen sein, aber bietet eine zusätzliche Perspektive im Umgang des nationalen Erbes. Die Hochkultur in Ägypten, und so auch Nofrete, wurde lange durch den westlichen Blick, beispielsweise in Filmen, weiß dargestellt. Doch indem die hegemoniale Macht vom kolonialen Europa in den letzten Jahrzehnten immer mehr aufgebrochen wird und die moderne Black-Power-Bewegung ihre Wege schreitet, wird auch Nofretete Schwarz.
Nofretetes globale Karriere war lange Zeit durch universelle Schönheitsideale geprägt, wie ein schlanker Hals und markante Gesichtszüge. Aber vor allem ist es auch eine mediengeschichtliche. Erfolge feiert sie bis heute durch die Vervielfältigung des Bildes in Sozialen Medien und popkulturelle Bezüge, wie etwa Beyoncé auf dem Coachella Festival. Doch wer die Frau hinter der Büste eigentlich war, ihre Herkunft, wie sie gelebt und ihre Zeit geprägt hat, davon ist wenig überliefert. So scheint sie aber einen politischen Einfluss gehabt zu haben und könnte sogar wenige Jahre regiert haben. Und gerade dieser Interpretationsspielraum scheint der Erfolg der Figur Nofretete zu sein, der schon längst losgelöst von der Büste ist. „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“ von Sebastian Conrad offenbart einen erfrischenden, allumfassenden Blick auf eine globale Geschichte. Außerdem bietet Conrad Raum zum kritischen Reflektieren.
Nun drücken wir Sebastian Conrad die Daumen für den Deutschen Sachbuchpreis, der am 11. Juni in Hamburg vergeben wird. Uns haben Nofretete und das alte Ägypten mit ihrem besonderen Mythos in jedem Fall in den Bann gezogen und das umfassende Sachbuch sehr überzeugt!
Hintergrund: Nofretete war eine Königin im alten Ägypten, die im 14. Jahrhundert v. Chr. als Frau von Pharao Echnaton lebte. Der Fundort, Amarna, liegt am Ostufer des Nils und war zu Nofretetes Zeit ein kulturelles und religiöses Zentrum, insbesondere für den Kult des Sonnengottes Aton. Die Büste gilt als eines der Meisterwerke altägyptischer Kunst und befindet sich heute im Ägyptischen Museum Berlin.