Ausflug ins Dicke-Bücher-Camp 2022

Die Bloggerin Marina Nordbreze hat im Sommer 2018 erstmalig zum Dicke-Bücher-Camp eingeladen. Seit dem stehen jährlich im Juli und August Bücher im Fokus, die aufgrund der Seitenanzahl oft eher liegen gelassen werden. Wo man sich vielleicht denkt „nähh die 800 Seiten, das ist mir gerade zu viel“ und dann wieder zu dem dünneren im Regal greift. Das Dicke-Bücher-Camp ist also dafür gedacht, den scheinbar Dicken im Regal die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen, die Geschichten zu entdecken und insbesondere darüber zu reden. Das machen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Camps nach meinem Eindruck hauptsächlich auf Instagram, wo unter dem #dickebüchercamp2022 die Leseeindrücke geteilt werden, oder aber auch wie Nordbreze auf ihrem Blog und ich heute hier.

Die „Bedingungen“ zur Teilnahme am Camp sind übrigens Bücher mit einer Seitenzahl ab 500 Seiten im Gepäck (oder einfach mehrere Bücher lesen) und natürlich Spaß, Freude und vollem kein Lesestress. In diesem Jahr packe auch ich meinen Camp-Rucksack und nehme das erste Mal bewusst am Camp teil, erhoffe mir neben viel Lagerfeuerromantik natürlich tollem Lesestoff, der den nötigen Raum (aka Seitenanzahl) hat erzählt zu werden.

Meine Auswahl für das Dicke-Bücher-Camp

Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

erschienen bei C.H.Beck 10/2021, aus dem englischen von Werner Löcher-Lawrence, 532 Seiten

„Wolkenkuckucksland“ hat es aufgrund der Empfehlung von der Bloggerin @leseninvollenzuegen, die das Buch gelobt und als perfekte Schmökerware für den Winter angepriesen hatte, auf meinen Lesestapel gespült. Ich kann nun hinzufügen: Auch für den Sommer eignet es sich perfekt und sollte trotz oder gerade wegen etwas über 500 Seiten auf der Leseliste für zum Bsp. den nächsten (Winter-/Sommer-) Urlaub landen.

Anthony Doerr erzählt in diesem feinen Roman auf drei Zeitebenen von dem Leben seiner Protagonisten. Wir tauchen ab in das belagerte Konstantinopel des 15. Jahrhunderts. Wir erfahren mehr aus dem Leben eines Veteranen des Koreakriegs und eines radikalen Umweltaktivisten im Jahre 2020. Und wir begleiten ein junges Mädchen, das in einer fernen Zukunft in einem Raumschiff fern der Erde lebt. Alle Protagonisten verbindet ein Buch von Antonius Diogenes mit dem Titel „Wolkenkuckucksland“, das über die Jahrhunderte hinweg überdauert und den Protagonisten in schwierigen Situationen Hoffnung bringt und ein Anker in ihrem Leben darstellt. Trotz vieler Zeitachsen und fünf Protagonisten verliert Doerr nie den Faden und erzählt die Geschichten gleichzeitig so spannen und lebendig, dass man nahezu durch die Seiten fliegt. Die Kapitel werden durch den Roman von Diogenes eingeleitet ein Buch im Buch sozusagen, und auch das ist sehr ausgewogen und wenig überfrachtend. Wie ihr seht, es passiert viel und wenn ich jetzt noch erzähle, dass man sogar etwas Altgriechisch lernen kann, schreckt es vielleicht den ein oder die andere davon ab, den Roman zu lesen. Sollte es aber in jedem Fall nicht.

Blackout von Marc Elsberg

erschienen bei Penguin 06/2013, 832 Seiten

Blackout, ein plötzlicher und kompletter Stromausfall an einem kalten Februartag in ganz Europa. Das ist das Motiv von Marc Elsbergs Roman, der bereits 2013 erschienen ist. In rund 800 Seiten arbeitet der Autor sich an diesem Schreckensszenario ab, das gefühlt sehr nah ist. Im ersten Kapitel an Tag 0 lernen wir den Europolkommissar Bollard und den italienischen IT-Spezialisten Manzano kennen. Die beiden Protagonisten werden fortan die Leserschaft durch die folgenden Kapitel begleiten und auf die Jagd nach den unbekannten Verursacher des kompletten Stromausfalls gehen. Dabei gibt es immer wieder kurze Abschnitte zum Beispiel aus dem Krisenstab in Berlin oder eines Kraftwerks, wo die Mitarbeiter mühsam versuchen, das Stromnetz wieder zum Laufen zu bringen. Ist an Tag 0 der Zusammenhalt der Bevölkerung noch hoch, spitzt sich die Lage zunehmen zu, als alle begreifen zu scheinen, das die Situation länger anhalten wird. Die Spülung der Toilette auch weiterhin nicht gehen wird, Duschen eine schöne Erinnerung, die Heizung kalt bleibt und die Lebensmittel langsam knapp werden und wie werden die überhaupt aufgewärmt? Spätestens an Tag 13 ist die Lage dann ganz gekippt und Plünderungen bleiben die harmloseren Taten. Marc Elsberg begleitet die Protagonisten, die in den kritischen Infrastrukturen arbeiten, also Polizei, Krisenstab der Regierung, Europol und Co. eng. Die Perspektive der „normalen“ Bevölkerung wird kaum erzählt, es sei denn, es handelt sich um Verwandte des Hauptprotagonisten Bollard. Ich hätte mir jedoch hier auch einen Blick in die Wohnzimmer einer „normalen“ Familie gewünscht, sei es auch nur mit einem kurzen Abschnitt pro Kapitel. Ansonsten empfand ich den Sog der Geschichte und die Erzählweise sehr spannend und fesselnd. Wie weit weg oder nah der Wissenschaftsthriller an einer möglichen Realität dran ist, vermag ich mir aber kaum vorstellen, bis zu dem Zeitpunkt, als in meinem Urlaub der Strom für fast 24 Stunden ausgefallen ist und der Roman das erste war, an das ich denken musste. In jedem Fall braucht das Buch die 800 Seiten, um die Geschichte ausführlich zu erzählen, die zwar auf eine Perspektive begrenzt wurde, aber deswegen nicht weniger spannend ist.

Fazit

Manche Geschichten benötigen Raum, um erzählt zu werden. Geschichten, die die Seitenzahlen ausfüllen, damit man als Lesende ganz auf Tauchstation gehen kann, ohne den Eindruck zu haben, dass etwas Wichtiges weggelassen wurde. Gleichzeitig gibt es auch Fälle, wo Geschichten unnötig gestreckt werden, um vielleicht ein bestimmtes Soll zu erfüllen. Ich habe festgestellt, dass mich die Geschichte leiten muss und es mir dann auch egal ist, wie viel Seiten ein Buch hat und wie viel Zeit ich benötige. Es kommt auf die Geschichte an, die erzählt wird. Und für diese Erkenntnis hat sich meine Teilnahme am Camp in jedem Fall gelohnt.

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