Nachdem ich bereits bei „Dunkelgrün bis Schwarz“ und das „Licht ist hier viel heller“ von Mareike Fallwickls Schreibstil angetan war, aber vor allem „Die Wut, die bleibt“ mich begeistert und berührt hat, war ich sehr gespannt auf ihren neuen Roman. Da ich leider aus privaten und beruflichen Gründen nicht gleich zum Lesen des Buches gekommen bin, habe ich mich sehr bemüht, KEINE Rezensionen zu lesen, um nicht beeinflusst zu werden. Nur ganz so leicht ist es nicht, wenn das beliebte Buch in der Instagram-Timeline immer wieder hochgespült wird, mit beeindruckenden Fotos von auf den Boden liegenden Bloggerinnen, und die Zeitungen das Buch breitflächig besprechen. Es landet sogar auf der Bestsellerliste, wird aber kontrovers gesehen. Das bekam ich bereits mit. Und dass nun nach der Wut die Stille folgt, nach dem Sturm die Ruhe.
„Und alle so still“ von Mareike Fallwickl
Erschienen bei Rowohlt, April 2024 – Rezensionsexemplar
Das Gedankenspiel
In sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten vorwiegend Frauen, wie in Pflege- und Gesundheitsberufen oder in der Bildung, häufig unterbezahlt. Genauso die Haus- und Care-Arbeit übernehmen meist Frauen, unbezahlt und unsichtbar im Privaten.
Stell dir vor, die Frauen würden die Arbeit niederlegen und sich zu einem Protest zusammenfinden – allerdings nicht zu einer klassischen Demonstration mit Plakaten, Megaphonen und lauten Parolen, sondern still auf dem Boden liegend. Sie gehen nicht mehr nach Hause zur Familie, ins Krankenhaus oder in die Kita, sondern ziehen sich gemeinsam in geschützten Räumen zurück. Genau dieses Gedankenspiel greift Mareike Fallwickl auf. Von dieser provokanten Idee bin ich direkt angetan. Den Titel „Und alle so still“ kann man meiner Meinung nach in zwei Richtungen deuten: Einmal bezogen auf den stillen Protest, aber auch auf diejenigen, die die Care-Arbeit verrichten, als dass sie unsichtbar bleiben.
„Die Frauen liegen da wie hingeworfen, ihre Körper scheinen keinem Muster zu folgen. Sie sehen aus wie etwas Zerschmettertes. Aber verletzt sind sie nicht.“ (Elin, S. 96)
Es ist kein organisiertes Treffen, eher eine spontane Aktion an einem Sonntag. Doch innerhalb einer Woche wird es zu einem Lauffeuer und immer mehr Frauen schließen sich der Bewegung an. Das Kartenhaus wackelt, denn die Basis des gesellschaftlichen Systems, also die selbstverständlich geleistete und schlecht bis gar nicht bezahlte Care-Arbeit, gerät ins Wanken. Wir lernen in dieser Zeit Elin, Nuri und Ruth genauer kennen sowie ihre Perspektive zur aufkommenden Revolte:
Elin ist eine junge, erfolgreiche Influencerin. Nur immer mehr raubt es ihr die Energie, die fehlende Privatsphäre, die Hasskommentare. Sie hat einige Affären, bis sie eine Erfahrung macht, die sie verändert. Ob es Gewalt war? Sie ist sich nicht sicher. Die Gemeinschaft der Frauen gibt ihr neue Kraft. Sie wird ihre Reichweite nutzen und während des stillen Aufstands filmen. Nuri hat die Schule abgebrochen, versucht sich mit Zeitarbeitsjobs durchzuschlagen. Freizeit kennt er nicht, jede freie Minute wird mit Arbeit gefüllt. Er fügt sich dem System, will nicht auffallen. Gleichzeitig hat die Gesellschaft durchaus ein vorgefertigtes Bild von ihm. Er versucht widerwillig dem gewohnten Rollenbild eines Mannes gerecht zu werden. Die Revolte der Frauen lässt ihn die eigene Rolle hinterfragen, aber auch seine Verantwortung als Mann im Kontext der Frauenbewegung. Ruth ist alleinstehend und als Pflegerin die meiste Zeit im Krankenhaus eingebunden. Wegen Personalmangel schiebt sie immer wieder Vertretungsschichten. Die Revolte, der sich auch ihre Mutter und Nichte anschließen, berührt sie. Mental Load ist ihr nicht fremd. Früher hatte sie ein Kind mit Behinderung, das sie allein groß gezogen hat. Jedoch kann sie sich aus den bekannten, festgefahrenen Strukturen nur schwer befreien. Je mehr allerdings Kolleginnen fehlen, desto mehr kommt auch Ruth an ihre Grenzen.
Ist das Szenario gelungen? Vielleicht.
Insgesamt bin ich gemischter Gefühle, nachdem ich den Roman beendet habe. Einerseits bin ich wieder durch die Seiten geflogen, Mareike Fallwickl hat eine bildhafte, poetische Sprache, die einen abtauchen lässt. Das Gelesene wird erfahrbar, erlebbar und wirkt nach.
Andererseits wurde ich diesmal weniger warm mit den Protagonisten. Zwar empfand ich sie vom Charakter her jeweils nicht als unsympathisch, allerdings etwas konstruiert und nicht immer ganz zielführend. Am ehesten konnte ich mich in Ruths Situation einfühlen. Sie kennt die Herausforderungen der Care-Arbeit und deren fehlende Anerkennung sowohl privat als auch beruflich. Eine alleinerziehende Mutter als Hauptfigur, die durch die nicht ausreichende Unterstützung (etwa durch den Staat) von ihren Anforderungen als Berufstätige und in der Familie erschöpft ist, hätte die Dringlichkeit des Protests sicherlich verstärkt. Ein schönen Twist fand ich wiederum, dass Lola, eine der Hauptfiguren des letzten Romans, als Nebenfigur erneut auftritt. Ich hätte sie mir sogar als Protagonistin wieder vorstellen können – denn sie schäumt förmlich vor Wut. Der Bruch zum stillen Protest wäre eklatant gewesen. Die Autorin verliert sich des Öfteren in langen, detailreichen Beschreibungen zu den Figuren. Sicher um die Belastung in den jeweiligen Berufen zu verdeutlichen, jedoch flacht für mich dadurch zwischenzeitlich die Spannung eines eigentlich hochexplosiven Plots ab. So ging die Wut teils verloren, die auch in diesem stillen Protest brodelt.
Eine Kritik, die ich im Nachhinein von Redakteurinnen in Leitmedien wie etwa der ZEIT oder auf Deutschlandfunk oder aber bei Bloggerinnen wie Hanseleserin und Isa.Literature.Love öfter gelesen habe, kann ich zustimmen: etwas zu viel Dramatik, zu viel Schwarz-Weiß-Denken bestimmen den Roman. Mein Empfinden: den guten Frauen, die Opfer, stehen die bösen Männer als Täter gegenüber. Eher ausgeblendet werden die Zwischentöne wie etwa überfordertes, männliches Pflegepersonal oder alleinerziehende Väter. Zwar entspricht Nuri nicht dem toxischen Männlichkeitsbild, wirkt aber wie die absolute Ausnahme. Die Frauen fühlen sich allesamt frei, wenn die Männer fernbleiben. Es gibt keinerlei Konflikte.
Die Autorin legt gerne den Finger in die Wunde und sicher ist die Zuspitzung ein bewusstes Stilmittel, um zu provozieren, zu schocken – was ich wichtig finde! In dem Roman wird sichtbar, wie ungerecht Care-Arbeit verteilt ist, und dass ihr die notwendige Anerkennung fehlt. Die wertvolle Arbeit, meist von Frauen ausgeübt, bleibt nicht mehr unsichtbar. So kann ich auch ein positives Fazit und Lobeshymen nachvollziehen, wie etwa von der Frankfurter Rundschau oder von den Blogger:innen Literaturentochter und QueerinLiterature. Zwischen den Kapiteln lässt Fallwickl „die Pistole“, „die Gebärmutter“ und „die Berichterstattung“ zu Wort kommen, die die jeweiligen Fakten zur Gewalt an Frauen liefern. Dieses Stilmittel finde ich intensiv und gelungen.
„So viel Fehlinformation, so viel Unwissen. Dass ich im Körper herumwandere, haben sie behauptet, dass ich mich am Gehirn festbeißen könnte und dass das die Ursache sei für die Hysterie der Frauen. Ein Wort, das auf mich zurückgeht, und stolz bin ich darauf nicht“. (Die Gebärmutter, S. 339)
Das Buch lässt mich definitiv nachdenklich zurück: Meint die Autorin das ernst? Könnte das so einen katastrophalen Lauf nehmen? Vielleicht. Aber die dystopischen Züge lassen mich als Alltagsfeministin etwas den Ball verlieren, an dem ich so gerne drangeblieben wäre. Letztendlich waren meine Erwartungen sicher hoch, vielleicht zu hoch nach „Die Wut, die bleibt“? In jedem Fall bleibe ich weiterhin eine Liebhaberin von Mareike Fallwickls Schreibstil und ihre Geschichten sollen nun einmal irritieren und laden zu Kontroversen ein. Zum Glück!
Danke an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.