Buchmessengeblätter: Unser Leserückblick April 2023

Was für ein aufregender Monat, mit vielen ersten Momenten! Am letzten Wochenende waren wir auf unserer ersten gemeinsamen Leipziger Buchmesse. Und wir durften das erste Mal vor der Kamera stehen….


Unsere erste Kameraerfahrung: NDR Nordtour

Außerdem sind wir gemeinsam mit dem NDR zu einer außergewöhnlichen Stadt-Rallye – zu Literaturorten in Hamburg – aufgebrochen: Der Literatur-Stadtplan „Raus nur Raus! Die literarische Rallye durch Hamburg“, frisch herausgegeben vom Literaturhaus und der Kulturbehörde Hamburgs, bildet eine Ergänzung zum 2020 erschienen literarischen Stadtführer mit Lieblingsorten von Autor:innen und anderen Beteiligten des Hamburger Literaturbetriebs. Viele Orte unserer Wahlheimat Hamburg gibt es von einer neuen Seite zu entdecken. Drei davon haben wir begleitet von einem Kamerateam besucht. 

Den Kurz-Beitrag gibt es in der ARD-Mediathek.
Der Doku-Beitrag entstand in freundlicher Zusammenarbeit mit dem NDR.

Unsere erste gemeinsame Buchmesse:
Leipziger Buchmesse 2023

Besondere Buchmomente, Lesungen, Bloggertreffen mit viel Liebe vorbereitet und vor allem tolle Begegnungen mit anderen Buchmenschen: So sah unser erlebnisreiches Leipziger-Buchmessen-Wochenende aus. Praktisch, am Zu-Zweit-Bloggen ist, dass wir uns bei etwaigen Termin-Überschneidungen aufteilen können, so war Luise beim Dumont-Blogger-Event, Aline beim Verbrecher-Verlags-Bloggertreffen, bei denen uns jeweils das neue Herbstprogramm vorgestellt wurde und wir Autor:innen live kennen lernen konnten. Wiedergetroffen haben wir uns beim Bloggertreff zur Buchcommunity Reado, bei der wir Bloggenden bei der Präsentation auch neue Impulse und Tipps geben durften.

Ewald Arenz fordert die Blogger:innen auf, ehrlich zu sein:
„Ich kann nicht unbedingt sagen, dass ich für Kritik offen bin. Ehrlich gesagt, ich hasse Kritik. Aber auch das muss manchmal sein“.

Caroline Wahl über ihren Beginn beim Romanschreiben:
„Ich wollte eigentlich erst eine Geschichte für mich zu Ende erzählen und dann habe ich gemerkt, dass die gut werden könnte.“

Der Buchmessensonntag war noch einmal mehr fürs Stöbern an Verlagsständen vorgesehen. Neben der Kontaktpflege mit bekannten Verlagen haben wir auch nach uns noch unbekannten Verlagen geschaut. Sowie neben Publikumsverlagen haben wir natürlich auch kleine, unabhängigen Verlagen getroffen. Unsere Bücherausbeute kann sich sehen lassen (siehe Fotos). Bereits erschienene Bücher: Aminas Lächeln von Björn Becker und Olga Benario Prestes (eine Biografische Annäherung) von Anita Leocadia Prestes, Das achte Leben von Nino Haratischwili und 22 Bahnen von Caroline Wahl.

Zudem war die Podcastvorstellung zu „Die Bücher unserer Zukunft“ mit den Verlegerinnen Dr. Annika Bach (Seemann Henschel Verlagsgruppe) und Anne Friebel (Palomaa Publishing) mehr als inspirierend.

Das schöne an der Buchmesse? Vor allem Menschen, mit denen man meist online agiert, auch mal (wieder) persönlich treffen zu können – wir kommen wieder und planen bereits den nächsten gemeinsamen Messebesuch!


Unser Leserückblick

Neben all den Events haben wir aber auch zum Glück Zeit zum Bücherlesen gehabt! Hier findet ihr unsere vorgestellten Bücher aus dem April:

Daniela Krien: Irgendwann werden wir uns alles erzählen (Aline)

Erstmals erschienen im ehemaligen Graf Verlag, 2022 neu bei Diogenes
Maria, fast 17 Jahre alt, lebt mit Johannes, ihrem Freund, auf dem Hof seiner Eltern. Sie ist ein zartes und verträumtes Mädchen, das lieber die Nase in ihre Bücher steckt, als zur Schule zu gehen. Auf dem Nachbarhof lebt der vierzigjährige, alleinstehende Henner, den eine tiefe Melancholie umgibt. Während eines heißen Sommertages kommt es zu einer zufälligen Begegnung, eine heimliche Berührung folgt und ab da ist es um Maria geschehen: Keine Sekunde möchte sie mehr ohne Henner verbringen, will für ihn kochen, ihm ein Kind gebären und so scheint es, als würden sie mit der Zeit immer tiefer in eine emotionale Abhängigkeit rutschen. Marias Liebe zu Johannes hingegen rückt immer weiter in den Hintergrund. Und obwohl die beiden direkt gegenüber wohnen, schaffen Maria und Henner es, sich immer wieder heimlich, ohne das die Familienmitglieder etwas ahnen, zu treffen. Bis es zu einem großen Unglück kommt. Als der Roman auserzählt ist, bleibt in mir ein innerlicher Zwiespalt zurück. Zum einen ist die da die reine, fast unschuldige Sprache, mit der Daniela Krien den Roman erzählt, eine betörend schöne Landschaft aufbaut und das Geschehen in die unruhigen Zeiten der Wendezeit 1989 verpackt. Zum anderen ist da die toxische Abhängigkeit der Hauptfiguren. Der Debütroman von Daniela Krien erschien 2011, die Kritiken betrachteten den Roman damals als Amour fou zwischen einem älteren Mann und einer 16-Jährigen, der von einer rohen Liebe in der einfach Welt erzählt. Amour fou klingt für mich jedoch schon fast verharmlosend, so zerstörerisch erscheint mir die destruktive Dynamik der zwei Hauptfiguren. Der Stoff ist alles andere als leicht, auch wenn er bildlich und sprachlich mitreißend ist. Jetzt wurde er verfilmt und ist seit April im Kino zu sehen. Der Trailer verspricht genau die Stimmung, die sich auch in meinem Kopf aufgebaut hat. Die Geschichte hingegen hat mich ganz schön fertiggemacht, daher bin mir noch unsicher, ob ich den Film sehen kann. Seid ihr vielleicht ähnlich hin und her gerissen wie ich?  


Maria Jansen: Schura (Luise)

Erschienen Februar 2023 im Ecco Verlag

Mit gemischten Gefühlen lässt mich das Gelesene zurück. Einerseits mochte ich den bereits unverwechselbaren Schreibstil der Debütautorin, der Tiefsinn und zugleich Leichtigkeit verkörpert – wie die Leichtigkeit der Sommer auf der Datscha im Roman. Die Figuren sind eigensinnig und zugleich nahbar. Andererseits tue ich mich in zeitgenössischen Romanen mit Übernatürlichem etwas schwer, das hier für mich die Intensität einer realen Verlustsituation nimmt: Jeden Sommer können sich Schura und ihre Brüder auf der Datscha ihrer Großeltern der Realität entziehen, bis der größte und ihr engster Bruder Kostja plötzlich verschwindet. „Niemand sagte: Er ist gestorben. Sie sagten: Er ist weggegangen. Richtig wäre es, zu sagen: Er ist nicht wieder aufgetaucht.“ Nur Schura will es nicht gelingen, mit dem Verlust abzuschließen. Jahre später, als sie Medizin studiert und erst glaubt, ihren Bruder in den Massen der Großstadt wieder entdeckt zu haben, liegt sein Leichnam plötzlich im Seziersaal der Uni. Von Kostjas Geist verfolgt, muss Schura seine Geschichte rekonstruieren, um ihn ins Jenseits zurückzuschicken und ihren eigenen Seelenfrieden zu finden. Ein doppelter Verlust überschattet die Familie: Der große Sohn und Bruder, der plötzlich verschwindet, nachdem bereits ein für die Familie prägendes politisches System verschwunden ist. Die Rubelkrise und Hyperinflation in Russland in den Neunzigern hat die Familie an den Rand des Existenzminimums getrieben. Die Situation der Familie vor und nach dem Zerfall der Sowjetunion als Spiegel der Gesellschaft wird insgesamt angerissen: „Du warst noch nicht geboren, da wusste ich schon, dass das Land verloren ist“. (Schuras Vater) Hier hätte ich mir allerdings noch eine engere Verzahnung der Familien- und Landesgeschichte gewünscht, vor allem um Russland in seinem Charakter zu verstehen, im Hinblick auf aktuell politische Konflikte. Für mich steckt in dem Roman noch nicht gänzlich ausgeschöpftes Potenzial, aber insgesamt ist es eine berührende Geschichte, über Verlust und Trauer und wie man daraus mit Willenskraft wieder herauskommen kann.

Daniela Dröscher: Die Lügen über meine Mutter (Luise)

Erschienen im August 2022 bei Kiepenheuer & Witsch

„Lügen über meine Mutter“ als Shortlist-Titel des Dt. Buchpreis 2022 wurde bereits viel auf Bookstagram besprochen. Es ist die Erzählung aus der Perspektive eines Kindes über das Großwerden in einem beschaulichen Dorf im Mittelgebirge Hunsrück der 1980er. Durch diesen Erzählstil wirkt das Erlebte schonungslos ehrlich wiedergegeben. Die fixe Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, beherrscht das Familienleben. Ihm bleibe deshalb der soziale und berufliche Aufstieg verwehrt. Das Kind erfährt, wie Scham durch die eigenen Eltern beeinflusst werden kann, so auch gegenüber der Mutter, die sie doch eigentlich für ihre Stärke bewundert. Als Frau in den 80ern in Westdeutschland kämpft ihre Mutter stetig für ihre Selbstbestimmung – sie verdient eigenes Geld, wuppt den Haushalt und ist allein verantwortlich für die Kindererziehung sowie später für die Pflege ihrer Mutter und einem Pflegekind. 

Ich konnte mich in die Erzählerin gut hineinversetzen, da auch bei uns auf großen Familienfeiern Gewicht früher eine Rolle gespielt hat, ob jemand wieder „fetter“ oder „dürre“ geworden ist. Es ist unbegreiflich, wie wichtig ein „ideales“ Gewicht immer noch in der Gesellschaft ist, besonders bei Frauen! Es gab dennoch Phasen, in denen ich Mühe hatte, motiviert dranzubleiben. Normalerweise stört es mich bei Romanen nicht, wenn es keinen großartigen Spannungsbogen gibt. Warum hier? Womöglich ein falsches Timing, meine Gefährtinnen aus dem Lesezirkel waren begeistert.

Was ich durchaus nachvollziehen kann, auch die Nominierung zum Buchpreis: So wird nach jedem Kapitel aus der Geschichte herausgezoomt, es folgt eine Bestandsaufnahme, indem die erwachsene Ich-Erzählerin das subjektiv Erlebte aus der Kindheit mit einer erwachsenen Distanz einordnet. Es ist eine persönliche Reflexion: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Sowie eine kulturwissenschaftliche Reflexion: Was sagt das alles über unsere Gesellschaft aus? Eine Erzählform, die mir im Literarischen so noch nicht begegnet ist und ich gekonnt umgesetzt finde. 


Ayanna Lloyd Banwo: „Als wir Vögel waren“ (Aline)

Erschienen im April 2023 im Diogenes Verlag

Ayanna Lloyd Banwo ist ein Roman gelungen, der die Liebe und den Tod auf eine Art und Weise vereint, was die Tragik der beiden Phänomene in ihrer gemeinsamen Intensität verlieren lässt. Hier geht es zur vollständige Rezension. 


Bücher über Emotionales Erbe

Wie sehr Traumata- und Katastrophenerfahrungen auch nachfolgende Generationen beeinflussen können, diesem Thema versucht Aline sich aus zwei Perspektiven zu nähern, einmal aus einer Sachbuchperspektive und zum anderen aus einer Romanperspektive. „Emotionales Erbe“ von Galit Atlas und „Siegfried“ von Antonia Baum stellt sie auf dem Blog ausführlicher vor, nachzulesen hier.


Über den Tellerrand – Krimi und Thriller

Wir haben uns auch wieder unserem Über-den-Tellerrand-Projekt gewidmet, indem wir ein für uns selteneres Buchgenre lesen: Im April sollen es die Krimis und Thriller sein, ein Genre was die Deutschen scheinbar lieben. Schaltet man abends oder bereits im Vorabendprogramm den Fernseher ein, dann strahlt ein mindestens ein Ermittlerteam entgegen. Und auch in der Literatur ist der Krimi und Thriller ein beliebtes Genre. Aline hat sich ein klassisches Buch herausgesucht, Luise hat sich dem Genre mal anders, durch ein Hörspiel, genähert. In unserem Blogbeitrag stellen wir euch beide etwas näher vor.

Zu Ostern haben wir auf Instagram außerdem zum einen „Das Flüstern der Feigenbäume“ von Elif Shafak (Rezension von Aline), aber auch „DDR-Alltag in 200 Objekten“, inklusive Museumsbesuch (z.B. das DDR-Museum in Berlin) als Geschenktipps empfohlen. Hier findet am 10.05. die Buchpremiere statt. Und auch „99 herrliche Auszeiten für Zwischendurch“ haben wir dabei gehabt, die Geschenke passen auch wunderbar zum Mutter- und Vatertag – die beide im Mai stattfinden werden.

Ein Ausblick auf den Mai

Apropos Mai: Hier wollen wir uns einem weiteren Buchgenre widmen, das wir aktuell nur selten lesen: dem Historischen Roman. Auch hier freuen wir uns wieder über Buchtipps! Hier oder auch bei Instagram unter dem Lesemonats-Post oder als Direktnachricht.

Der Lesemonat enthält Rezensionsexemplare, wir bedanken uns bei den Verlagen für die Zusendung.

Kommentar verfassen